Kriminologin über Sicherheit von Frauen: „Die Angst ist da“

Über raumgreifenden Gang und vergessene Opfer: die Hamburger Kriminologin Pamela Kerschke-Risch über den Weg zu einem öffentlichen Raum ohne Angst.

Eine Frau geht mit ihrem Hand durch eine menschenleere Straße

Für viele Frauen noch weit entfernt: das Gefühl im öffentlichen Raum sicher zu sein Foto: Jonas Walzberg/ dpa

taz: Was würde den öffentlichen Raum für Frauen sicherer machen, Frau Kerschke-Risch?

Pamela Kerschke-Risch: Das ist schon einmal eine spannende Frage: Warum muss ein öffentlicher Raum für Frauen sicher sein – das heißt ja schon implizit, dass Frauen sich dort in einer unsichereren Lage befinden als Männer. Natürlich ist das subjektive Sicherheitsgefühl größer, wenn es nicht zu angsteinflößenden Situationen kommt: Das bedeutet klassischerweise, es ist dunkel, es ist eine einsame Bahnunterführung. Da kann eine bessere Beleuchtung ein Sicherheitsgefühl vermitteln. Wobei dann nicht unbedingt davon auszugehen ist, dass der öffentliche Raum dann sicherer ist.

Warum nicht?

Pamela Kerschke-Risch

ist Soziologin und Kriminologin an der Uni Hamburg und forscht unter anderem zu Prozessen von Viktimisierung in Europa.

Das soll ein subjektives Sicherheitsgefühl vermitteln. Wir kommen dann aber zu dem Punkt, dass der öffentliche Raum objektiv gar nicht so gefährlich für Frauen ist. Wenn es um sexualisierte Gewalt und sexuelle Übergriffe geht, besteht die größte Gefahr immer im häuslichen Umfeld.

Gleichzeitig sind wir darauf angewiesen, unserem alltäglichen Umfeld zu vertrauen und lagern die Angst nach draußen aus.

Das kann durchaus sein. Wir gehen davon aus, dass, wer Opfer einer Straftat wird, eine gewisse Mitschuld hat, das liegt in der Vorstellung einer gerechten Welt. Wenn also eine Frau Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden ist, kommt häufig etwas wie: Sie ist selber schuld, weil sie alleine abends durch den Park gegangen ist oder weil sie leicht angetrunken war.

Ist das nicht der Diskurs, der zunehmend hinterfragt wird?

Genau. Die spannende Frage ist: Was macht das mit Mädchen und Frauen, wenn sie so sozialisiert werden? Es ist immer noch in den meisten Köpfen, dass Frauen oder Mädchen besonders schützenswert sind. Darin manifestiert sich, dass wir ein Geschlechter- und ein Machtungleichgewicht haben: Frauen werden in der Öffentlichkeit vielfach noch – unbewusst – als das schwächere Geschlecht wahrgenommen.

Rein körperlich stimmt das ja in der Regel.

Wenn Frauen Opfer werden, dann sind sie nicht nur körperlich schwächer, sondern sie sind auch diejenigen, die im öffentlichen Raum weniger raumgreifend sind als Männer. Ich habe das gerade mit Studierenden diskutiert: Obwohl ich mir als Studierende der Kriminologie bewusst bin, dass Sozialisation eine große Rolle spielt, ist im Kopf: Ich muss mich im öffentlichen Raum schützen, ich habe Pfefferspray dabei oder eine Handy-App. Da ist das Gefühl: Ich könnte Opfer werden.

Obwohl die Gefahr de facto ja gering ist, zumindest was Vergewaltigung und Tötung anbelangt.

Die Anzahl der Morde nimmt kontinuierlich ab und die Gefahr, aus dem Hinterhalt vergewaltigt und ermordet zu werden, geht statistisch gegen null. Aber die Angst ist da und wird durch Sozialisation und Medien vermittelt.

Spielt bei den Frauen die Erfahrung mit, durch Blicke, Pfiffe, Anmache immer wieder zum Objekt gemacht zu werden?

Auf jeden Fall. Ich agiere nicht, ich reagiere. Und das ist so internalisiert, dass es gar nicht mehr reflektiert wird. Es gibt Selbstverteidigungskurse, körperlich und verbal – so etwas wird nicht für Männer angeboten.

Ändert sich da nicht allmählich das Bewusstsein?

Frauen werden sich dieses Machtungleichgewichts immer stärker bewusst, das zeigt auch die #MeToo-Debatte. Das klassische Beispiel ist, dass – man mag es kaum glauben – erst seit 1997 die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe steht.

Noch einmal zum öffentlichen Raum: Wie können Frauen da ganz konkret raumgreifender werden?

Wichtig sind eine selbstbewusste Körperhaltung und selbstbewusstes Auftreten, sich nicht klein machen, auch im übertragenen Sinn. Dabei können flankierende Maßnahmen wie eine bessere Beleuchtung, ein Handtaschenalarm oder Selbstverteidigungstechniken durchaus einen indirekten Einfluss auf das Auftreten haben. In dem Moment, in dem sich eine Person sicherer fühlt, wird sie auch sicherer auftreten. Darüber hinaus sollten sogenannt typisch weibliche Verhaltensweisen im öffentlichen Raum diskutiert werden. Dies fängt schon beim Ausweichen auf schmalen Wegen an: Wer geht zur Seite? Wir wissen von der Forschung zu sexuellen Übergriffen: Das ist normalerweise nicht die aufgebrezelte Frau in High Heels. Es sind oft Frauen, denen es in diesem Moment schlecht geht, Frauen, die schon einmal Opfer waren.

Der Begriff Opfer ist inzwischen ambivalent, weil er mit Schwäche und Passivität verbunden wird. Bei Initiativen wie ­#reclaimthesestreets scheint das Agieren ganz bewusst im Vordergrund zu stehen.

Der Opferbegriff ist ein zentraler Punkt. Was heißt es, wenn ich mich selbst als Opfer bezeichne, bringe ich mich da in eine passive Rolle? Wäre es besser, den Begriff Betroffene zu benutzen? Das ist auch in der Kriminologie nicht eindeutig. Mir ist er zu neutral.

Wann glauben Sie, werden Ihre Studentinnen die Frage nach Angst von Frauen im öffentlichen Raum nicht mehr verstehen, weil sie sie nicht kennen?

Es wird noch einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis wir in einer so geschlechteregalitären Welt leben. Was wir dabei nicht vergessen dürfen: Es gibt noch viele andere, viele Homosexuelle und Transpersonen, die Opfer von sexueller Gewalt werden – die werden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Das lässt sich medial nicht so gut vermarkten.

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