Tod im Polizeigewahrsam in Delmenhorst: Qosay K. bekam keine Luft

Die Eltern von Qosay Khalaf fordern öffentlich Aufklärung. Für ihre Anwältin ist klar, dass er an Sauerstoffmangel starb.

Menschen stehen auf einem Platz und halten Transparente mit den Aufschriften "Das war kein Einzelfall" und "Justice fpr Qosay"

250 Menschen demonstrierten auf dem Delmenhorster Marktplatz wegen des Todes von Qosay Foto: Michael Trammer

DELMENHORST taz | Auch einen Monat nachdem der 19-jährige Qosay Sadam Khalaf in Delmenhorst im Polizeigewahrsam kollabiert und später gestorben ist, sind viele Fragen offen. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat Ermittlungen aufgenommen. Für die Hinterbliebenen stellen sich Fragen: Woran starb Qosay Khalaf? Wie ist der Polizeieinsatz abgelaufen? Wurde Qosay Khalaf ärztliche Hilfe verweigert? Was geschah im Polizeigewahrsam und warum wurde der 19-Jährige überhaupt dorthin gebracht?

Etwa 250 Menschen folgten am Ostersamstag dem Aufruf des „Bündnis in Erinnerung an Qosay – Solidarisch gegen Polizeigewalt!“ auf den Rathausplatz von Delmenhorst. Sie forderten Erinnerung und Gerechtigkeit. Zum ersten Mal äußerten sich die Eltern und ein Cousin öffentlich. Bisher hatten die Hinterbliebenen ihr Vertrauen in die Behörden bekräftigt und darum gebeten, von Demonstrationen abzusehen – nun geht auch die Familie auf die Straße.

Auf kurdisch wandte sich der Vater des jungen Mannes, Sadam Khalaf, an die Teilnehmer*innen. Mit ernster, durchdringender Stimme und einer weißen Rose in der Hand bedankte er sich für die zahlreiche Anteilnahme. „Hier zählt nur das Herz – und dass alle für Gerechtigkeit da sind“, übersetzte Cousin Barsan Mehdi seine Worte.

Wenig später wandte sich auch die Mutter des Jungen, Sameera Haji, an die Menge und erzählte, dass Qosay am Nachmittag des 5. März noch kerngesund gewesen sei und zu Hause gegessen habe. Um 0.40 habe dann die Polizei an ihrer Tür geklingelt – und ihr mitgeteilt, dass ihr Sohn in einem kritischen Zustand sei.

Als die Mutter in der Klinik ankam, war Qosay „quasi“ tot

Qosays Vater sei zu dem Zeitpunkt nicht zu Hause gewesen. Die Geflüchtete musste mit ihrem zweiten Sohn in das etwa 40 Kilometer entfernte Krankenhaus fahren. Als sie dort schließlich ankam, sei Qosay voller Blut und quasi tot gewesen, übersetzte Barsan ihre Schilderung der Ereignisse. Sie werde alles für Gerechtigkeit geben.

Die Bremer Anwältin Lea Voigt, die zusammen mit ihrem Kollegen Cahit Tolan die Familie vertritt, nahm ebenfalls an der Kundgebung teil. Sie versteht das geschilderte, „unsensible“ Vorgehen der Polizei nicht.

Lea Voigt, Rechtsanwältin der Familie von Qosay Khalaf

„Laut dem Obduktionsgutachten, welches die Familie in Auftrag gegeben hat, starb Qosay K. an einem sauerstoffmangel­bedingten Herz-Kreislauf-Versagen“

Zunächst hatte es keine Ermittlungen gegen die eingesetzten Po­li­zis­t*in­nen gegeben. Doch die An­wäl­t*in­nen der Familie stellten Strafantrag. Nun werde „wegen aller in Betracht kommender Straftaten“ gegen die eingesetzten Po­li­zis­t*in­nen und Ret­tungs­sa­ni­tä­te­r*in­nen ermittelt, teilt die Staatsanwaltschaft Oldenburg mit. Diese seien noch nicht namentlich bekannt. Das Ergebnis einer toxikologischen Untersuchung fehlt ebenfalls immer noch. Das Anwält*innen-Team der Familie wartet momentan noch auf Akteneinsicht.

Es sei aber klar, sagt Voigt, dass der Sohn ihrer Man­dan­t*in­nen gesund war und im Zuge des Polizeieinsatzes so schweren gesundheitlichen Schaden nahm, dass er starb. „Laut dem Obduktionsgutachten, welches die Familie in Auftrag gegeben hat, starb Qosay K. an einem sauerstoffmangelbedingten Herz-Kreislauf-Versagen“, so die Anwältin.

Ein Zeuge hatte schon früher berichtet, Qosay K. habe bereits im Park gesagt, er bekomme keine Luft. „Ihm wurde offensichtlich nicht geholfen, das wurde nicht erkannt – oder man wollte das nicht erkennen“, sagt Voigt.

Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hatte in einer ersten Stellungnahme äußere Gewalt als Todesursache ausgeschlossen. Woran der 19-Jährige dann gestorben ist, lässt sie weiterhin offen. Die zweite Obduktion zeige klar: „Es gab äußere Gewalt“, so Anwältin Voigt. An verschiedenen Stellen des Körpers gebe es Einblutungen, die auf Gewalteinwirkung hinweisen.

Das zeigen auch Fotos aus dem Krankenhaus, die der taz vorliegen. Auf den Bildern sind Abschürfungen, blutige Wunden und dunkle Flecken auf der Haut zu sehen. Voigt geht deswegen davon aus, dass Zwangsmittel eingesetzt wurden. „Wann, wo und wie genau, ist unklar.“

Der 19-jährige Qosay hatte sich am frühen Abend des 5. März mit einem Freund im Wollepark im niedersächsischen Delmenhorst getroffen. Zi­vil­po­li­zis­t*in­nen wollten ihn wegen „mutmaßlichen Betäubungsmittelkonsums“ kontrollieren. Laut einer Pressemitteilung der Polizei sei Qosay weggelaufen. Dabei soll es zu einer Konfrontation mit den Be­am­t*in­nen gekommen sein. Die Polizei setzte Pfefferspray ein und „fixierte“ den jungen Mann.

Die Schilderungen der Ereignisse gehen an dieser Stelle auseinander. Ein Augenzeuge sagt, die Polizei habe Qosay Wasser verweigert und die Sa­ni­tä­te­r*in­nen hätten ihn nicht richtig versorgen wollen. Die Polizei behauptet, der junge Mann habe die ärztliche Hilfe abgelehnt. Im Polizeigewahrsam soll Qosay gegen 20 Uhr kollabiert sein. Am Samstagabend verstarb er dann in einem Krankenhaus in Oldenburg.

Vor dem Völkermord des IS geflüchtet

Barsan Mehdi, der Cousin von Qosay, erzählt, dieser sei als Jugendlicher von seinem Vater aus Südkurdistan nach Europa geschickt worden, um dem Völkermord an den Ye­zi­d*in­nen durch die Terrormiliz Islamischer Staat zu entgehen. In Delmenhorst angekommen, habe Qosay in der Pizzeria der Familie von Barsan Mehdi gearbeitet. Sein Erspartes habe sein Cousin immer zu seiner im Krisengebiet verbliebenen Familie geschickt.

Mit seinem Anwalt habe er dann einen Familiennachzug eingeklagt. Nur Qosays Schwester musste im Irak bleiben, weil sie schon volljährig war. „Er wird sie in diesem Leben nie wieder sehen“, sagt Mehdi. Nun versuche die Familie erneut eine Familienzusammenführung. Die Stadt wolle sie unterstützen.

Das „Bündnis in Erinnerung an Qosay“ will auch zukünftig für lückenlose Aufklärung und Gerechtigkeit auf die Straße gehen. „Wir wollen gemeinsam ein Zeichen gegen Polizeigewalt setzen – denn es geht auch um unsere Sicherheit, um unsere Zukunft und um die unserer Kinder“, sagte Barsan Mehdi. Mindestens 181 Tote habe es schon in Deutschland in Polizeigewahrsam gegeben. „Rassismus und Polizeischikanen“ müssten aufhören.

Die Polizei hielt sich während der Kundgebung zunächst im Hintergrund auf. Als Männer mit in die Luft gereckten Fäusten um eine Gedenktafel mit Qosays Foto standen, filmten Be­am­t*in­nen aus einem Fenster des Delmenhorster Rathauses die Menge und auch die mit zum Himmel erhobenen Armen schluchzende Mutter des Jungen – um mögliche Verstöße gegen die Corona-Schutzverordnung zu dokumentieren, wie die Polizei auf taz-Anfrage mitteilte.

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