Coronapolitik von Bund und Ländern: Zu viele Köche

Die größten Fehler in der Coronapolitik gehen aufs Konto der Bundesregierung. Doch auch die Länder haben versagt – durch ihre Blockadehaltung.

Schatten von Angela Merkel an einer blauen Wand mit Bundesadler

Verantwortlich für die größten Fehler: die Bundesregierung und damit auch Kanzlerin Angela Merkel Foto: Michael Kappeler/dpa

Da stand es im Raum, das große Wort „Verzeihung“. Erkennbar wollte die Kanzlerin sich damit nicht nur als Märtyrerin vor die Umfragen-gebeutelte CDU werfen oder der Kritik am „Osterruhe“-Beschluss die Wucht nehmen. Angela Merkel sagte damit, dass sie sieht, wie wenig die Politik insgesamt der Herausforderung durch das Coronavirus gewachsen ist. Wie Merkel selbst am Tag nach dem großen Mea Culpa im Bundestag ausführte:

„Gravierende Schwachstellen“ habe die Pandemie offengelegt: „Wir müssen als föderales System besser und schneller werden.“ Da sind jetzt aber alle gespannt. Denn die Mängel sind ja in der Tat so groß, dass sie nicht mehr von Merkel selbst angegangen, geschweige denn behoben werden dürften. An der offensichtlich nötigen Reform des Föderalismus sind in der Vergangenheit schon mehrere Kommissionen gescheitert.

Behaupte nun niemand, dass die USA auch ein föderaler Staat seien – wo in der Pandemie vieles besser läuft –, oder Frankreich ein zentralistischer – wo vieles ebenso schlecht läuft. Das deutsche System muss sich am eigenen Anspruch messen lassen. Der lautet, dass 16 Mi­nis­ter­prä­si­den­t:in­nen irgendwie besser wissen, was bei ihnen zu Haus aus funktioniert. Nur: Die Belege dafür bleiben aus. Denn erkennbar möchten die meisten Mi­nis­ter­prä­si­den­t:in­nen für den Schutz vorm Virus nicht verantwortlich sein.

Sie geben lieber die leutseligen Lockerungs-Onkels (dieses Maskulinum ist hier gerechtfertigt). Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet behauptete diese Woche, „wir alle“ hätten gehofft, mit wärmerem Frühlingswetter ziehe sich das Virus zurück. Der Hesse Volker Bouffier erklärte, „vor acht Wochen“ habe niemand etwas von der neuen Gefahr durch die britische Mutante wissen können.

Ihr macht Gesundheit – wir Wirtschaft

Man fragt sich, ob die beiden oder wenigstens ihre Mit­ar­bei­te­r:in­nen seit Weihnachten auch nur ein einziges seriöses Medium konsultiert haben. Die beiden wohl größten Fehler der Pandemiebekämpfung, über die schon viel geschrieben wurde, sind klar der Bundesregierung zuzuordnen: Bis heute zu wenig Impfstoff – Deutschland hätte in Brüssel mehr bewegen können und müssen –, und allzu lange zu wenige Tests.

Dass wir aber kaum gebremst erst in die zweite Welle und nun in eine „im Grunde neue Pandemie“ (Merkel) hi­neingelaufen sind, daran sind vor allem die Mi­nis­ter­prä­si­den­t:in­nen schuld. Sie haben vergangenen Herbst und zuletzt Anfang März sinnvolle Beschlüsse verhindert. Die Mehrheit der Länderchefs glaubt, es gebe eine Rollenverteilung: Für die Gesundheit der Bevölkerung ist jemand anderes zuständig – sie aber für die heimische Wirtschaft.

Die kümmerlichen Umrisse eines solchen Amtsverständnisses ergänzen sich mit allem, was die föderale Republik zuletzt über sich lernen durfte: Digitaler Rückstand ist nicht nur ein Thema für IT-Messestände. Gesundheitsämter sind kein ulkiger Überrest des vergangenen Jahrhunderts. Womöglich ist die öffentliche Infrastruktur tatsächlich in dem beklagenswerten Zustand, der so lange schon in müffelnden Gewerkschaftszeitschriften beschworen wird.

Sieht alles danach aus, als dürften sich die Deutschen ihr Selbstbild vom Logistik-Weltmeister endlich abschminken. Es war längst hinfällig, dieses Surrogat von Patriotismus. Denn darum handelt es sich ja: Ein Wunsch nach Weltmeisterei in den Ausprägungen „härteste Währung“ (D-Mark-Patriotismus, hat sich erledigt), „beste Autos“ (Verbrennungsmotor-Patriotismus, auch erledigt) und zuletzt eben „straffste Organisation“ (Effizienz-Patriotismus).

Nun aber wenigstens Weltmeister im Staatsversagen sein zu wollen (Untergangs-Patriotismus), ist allerdings auch keine Lösung. Nach dem nächsten Lockdown werden sich Leute finden müssen, die darüber nachdenken, welche Rollen- und Aufgabenverteilung die Republik braucht, um echte Krisen zu bewältigen. Knapp über Mittelmaß würde schon reichen.

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Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.

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