Vielfalt des Diskurses: Neue Welten

Lange Zeit scheute sich unsere Autorin davor Sachbücher zu lesen. Doch nun erschließen neue Au­to­r:in­nen das Feld – gegen Widerstände der Mehrheit.

Alice Hasters spricht auf einer Bühne und gestikuliert dabei

Alice Hasters löste mit ihrem Buch „Was Weiße nicht über Rassismus hören wollen“ Diskussionen aus Foto: Oliver Schaper/imago

Erst seit etwa drei Jahren lese ich gerne Sachbücher. Ich fand Sachbücher davor meist langweilig und führte das darauf zurück, dass ich vielleicht nicht klug genug bin, um sie zu verstehen. Das ist insofern ungewöhnlich, als dass ich Deutsch studiert habe, im Schnitt ein Buch pro Woche lese und als Journalistin unglaublich gern dazulerne.

Meine Begeisterung für Sachbücher begann mit Margarete Stokowskis „Untenrum frei“. Darin beschreibt sie die Konsequenzen des Patriarchats, die mich in Gendervorlesungen an der Uni aufgrund der akademischen Sprache davor nicht erreichten.

Populärwissenschaftliche Literatur und Sachbücher zur Diskriminierung verschiedener marginalisierter Gruppen gab es natürlich schon davor, man denke nur an Noah Sow und Tupoka Ogette, aber nicht in der Fülle, in der es sie jetzt gibt. Plötzlich führen Namen wie Aladin El-Mafaalani, Alice Hasters, Mohamed Amjahid, Kübra Gümüşay Bestsellerlisten an, und zwar nicht mehr einmal alle fünf Jahre, sondern parallel.

Allein in den letzten zwei Wochen habe ich Neuerscheinungen von Emilia Roig, Asal Dardan und Solmaz Khorsand gelesen und mein Herz geht auf, wenn ich sehe, wie sie einander zitieren, aufeinander aufbauen und damit wiederum von der breiten Bevölkerung in wissenschaftlichen Arbeiten, Talkshows, Buchclubs, Feuilletons, privaten Gesprächen am Frühstückstisch, Firmensettings und im Parlament zitiert werden.

Konfliktpotenzial steigt

Personen ohne Diskriminierungserfahrung empfinden diese geballte Ladung an für sie neuem Wissen als einschüchternd, warnen plötzlich vor einer „linken Identitätspolitik“ und einem „gefährlichen akademischen Narrativ“. Etablierte Redaktionen zitieren Au­to­r:in­nen völlig aus dem Zusammenhang gerissen, verorten sie in einem Eck, in dem sie gar nicht stehen. Das führte unlängst dazu, dass Alice Hasters, die mit „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“ eine längst überfällige Rassismusdebatte im Mainstream entfachte, ihre Social-Media-Kanäle stilllegte. Weil es zu viel für sie wurde. Um es mit Oprah zu sagen: „Were you silent, or were you silenced?“

Weiße Intellektuelle werfen Au­to­r:in­nen mit Diskriminierungserfahrung vor, zu spalten, wenn sie doch in Wirklichkeit versuchen, Welten zu vereinen. Wenn Sie in Wirklichkeit Menschen wie mich erstmals an Sachbücher herangeführt haben. Um den Autor Aladin El-Mafaalani zu zitieren: „Das was passiert, ist das, was passieren muss, nämlich, dass das Konfliktpotenzial steigt, weil mehr Interessen in den Diskurs eingespeist werden und weil Dinge in Frage gestellt werden. […] Und das führt dazu, dass auch die anderen Widerstände leisten.“ Vielleicht müsste jemand ein Handbuch für die Mehrheitsgesellschaft schreiben, wie sie lernt, ihre Widerstände zu hinterfragen und nicht so aggressiv zu reagieren – Au­to­r:in­nen, die dafür infrage kommen, gibt es genug.

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Autorin "Generation haram", Journalistin, ehemalige Lehrerin, lebt in Wien

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