Langeweile im Lockdown: Ein deutsches Mädel weint nicht

Das Rezept gegen die Ereignislosigkeit: Künstlich aufgebauschte Eckpunkte im Lockdownleben. Um sich daran durch die Ödnis zu hangeln.

Eine junge Frau trinkt aus einer roten Tasse und schaut aus dem Fenster - Regentropfen an der Scheibe

Zerstreuungsprogramm als Hilfsmittel gegen die Tristesse des Lockdowns Foto: Alberto Menendez/imago

Es ist schon deprimierend. Zwar gibt es immer was zu tun, aber es ist halt auch immer dasselbe. Den Staubsauger in seiner Ecke scharf anzublicken. Die CD-Sammlung nicht zu sortieren. Schläfchen auf dem Sofa zu halten. Kein Brot zu backen. Einen Metatext darüber zu schrei­ben, was alles nicht passiert. Auf dem einen Friedhof mit X spazieren zu gehen, auf dem anderen Friedhof mit Y, Hauptgesprächsthemen: Nix los, nix zu tun und nix zu wollen.

Es gibt Tage, da mich das alles zermürbt, obwohl es mir während der Pandemie vergleichsweise gut geht. Eigentlich darf ich nicht jammern. Andere sind alleinerziehend, Barbesitzer oder haben Granatsplitter im Unterleib. Nur die haben die Lizenz zum Jammern. Die Jammerkapazitäten sind nun mal beschränkt, und stimmungsmäßig mal ein bisschen durchzuhängen gilt nicht als anerkannter Jammergrund. An dieser Stelle kommt in Deutschland stets verlässlich der alte Nazi-Appell, man solle sich doch mal „zusammenreißen“. Ein deutsches Mädel weint nicht.

Doch zum Glück habe ich ein Rezept gefunden, meine persönliche „Exitstrategie“: Bewusst kreiere ich eine Reihe von Events, als künstlich aufgebauschte Eckpunkte in meinem Lockdownleben, an denen entlang ich mich durch die Ödnis hangle. So zum Beispiel die Nabu-Wahl des Vogels des Jahres. Natürlich habe ich längst gewählt, die Blaumeise, die Königin der Hecke bei den Mülltonnen, wen sonst. Doch bis zur Verkündung des amtlichen Endergebnisses mache ich fleißig Stimmung gegen all die anderen Vögel.

Das ist eine Super­be­schäf­tigungs­therapie: Wutsmileys, die Konkurrenz verächtlich machende Hetzkommentare, vor allem unter das Rotkehlchen, denn irgendein Algorithmus spült mir den kleinen Cocksucker immer wieder in die Timeline. Was soll das? Natürlich könnte man sich auch auf einen ungeliebten Kandidaten einigen, um mit konzertierter Kraft die Wahl der Stadttaube zu verhindern, so wie man in Frankreich Macron als kleineres Übel gegen die Rechtsradikalen gewählt hat. Aber nicht mit mir. Was will ich mit dem neoliberalen Rotkehlchen Macron? Blaumeise oder Untergang.

Das kleine Arschloch in mir

Ein weiteres Element des Excitement-Programms sollte das angekündigte Interview der abtrünnigen Royals Meghan und Harry bei der US-Talktante ­Oprah Winfrey sein. Was die wohl erzählen würden? „Die Queen ist voll die Pfeife, der Palast stinkt …“, huiuiui, in gehässiger Vorfreude rieb ich mir die Hände. Ich bin zwar nicht der große Klatschonkel, aber tief in mir drin wohnt eben doch ein kleines Arschloch, das mit Gossip gefüttert werden möchte, kein schönes Bild, aber dafür immerhin schief.

Wochenlang fieberte ich der Nacht des Interviews entgegen. Ich wollte mir sogar den Wecker stellen wie für so einen geboosteten Schwergewichtskampf – in Zaire, früh um vier. Meghan und Harry gegen das Haus Windsor. Leider kam das Ganze nicht auf Kika, sondern nur bei CBS, und das kriegte ich nicht rein.

Also vereinbare ich als zusätzliches Zerstreuungsprogramm noch ein paar Arztbesuche. So schlage ich auch zwei Fliegen mit einer Klappe. Ich habe nämlich das Gefühl, zunehmend aus dem Leim zu gehen, obwohl (oder vielleicht auch weil?) ich zurzeit notgedrungen recht gesund lebe – wenig Stress plus wenig Spaß macht wenig Alk und Nikotin.

Das Schlussfeuerwerk der gesammelten Arztbesuche soll eine echte Darmverspiegelung bilden. Oder Darmspiegelung – ich glaube, so heißt das korrekt. Das wird sicher sehr schön, zumindest jedoch unterhaltsam. Und das ist es schließlich, worauf es mir in diesen Zeiten ankommt.

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Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.

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