Interview mit Ibiza-Video-Macher: „Ich rechne mit dem Schlimmsten“

Julian H., der Drahtzieher der Strache-Aufnahmen, soll nach Österreich ausgeliefert werden. Wegen konstruierter Vorwürfe, sagt er.

Außenansicht der JVA Moabit in Berlin

Die JVA Moabit in Berlin, hier sitzt Julian H. in Untersuchungshaft Foto: Joko/imago

taz: Herr H., Sie gelten als der Macher des Ibiza-Videos …

Julian H.: Der bin ich. Das habe ich auch schon öffentlich bestätigt.

Nun sind Sie seit 10. Dezember in Berlin inhaftiert und sollen bald nach Österreich ausgeliefert werden. Wie blicken Sie auf Ihre Situation?

Offen gesagt, verbittert und ernüchtert. Es scheint, dass ein Grundrechtsschutz und der Anspruch auf ein faires Verfahren im EU-Strafrecht in meinem Fall nicht greift. Die deutschen Gerichte haben meinen Fall und die erhobenen Vorwürfe gar nicht inhaltlich geprüft, sondern verweisen nur auf die Zuständigkeit der österreichischen Justiz. In Österreich ist meine Beschwerde gegen die Haft seit dem 2. November 2020 überhaupt nicht bearbeitet worden. Die Deutschen winken die Auslieferung einfach durch. Ich bin damit momentan quasi rechtsschutzlos – obwohl die Vorwürfe gegen mich völlig konstruiert sind.

Sie sollen nicht wegen des Ibiza-Videos nach Österreich ausgeliefert werden, sondern weil Sie den früheren FPÖ-Chef Strache über einen Mittelsmann erpresst und zudem noch an Bekannte insgesamt 2,5 Kilogramm Kokain verkauft haben sollen.

Die Vorwürfe sind falsch. Die Drogenvorwürfe kommen von zwei früheren Mitarbeitern von mir, einen davon hatte ich im Streit gefeuert. Der warf mir schon direkt danach Industriespionage vor, eine frei erfundene Verleumdung, für die er auch angeklagt wurde. Der andere wurde selbst mit Drogen erwischt und hoffte offenbar auf eine mildere Strafe, wenn er mich belastet. Konkrete Beweise für meine angeblichen Drogengeschäfte gibt es nicht, auch sind die Aussagen völlig widersprüchlich. Andere Personen, die ich beliefert haben soll, dementieren das. Einige haben mich zum besagten Zeitpunkt noch nicht mal gekannt.

Sie wurden allerdings 2014 schon einmal von der Polizei wegen eines Drogenvorwurfs festgenommen.

Da ging es aber nur um Besitz. Im Zuge eines beruflichen Einsatzes wurden bei mir rund 20 Gramm Kokain gefunden und die Ermittler meinten, das habe eine Qualität, wie sie Großdealer verwendeten, und warfen mir Vorbereitung zum Handel vor.

Sie haben aber nie mit Drogen gehandelt?

Nein, um Himmels Willen!

Und was ist mit dem Erpressungsvorwurf?

Der Skandal: In einem Video, das 2017 in einer Villa auf Ibiza aufgenommen wurde, hatte der spätere österreichische Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der rechten FPÖ mit einer angeblichen russischen Oligarchin über illegale Parteispenden und Großaufträge gesprochen. Dabei wirkte er anfällig für Korruption. Strache bestreitet alles. Er tat den Abend als „b’soffene G’schicht“ ab.

Der Sturz: Die Veröffentlichung von Ausschnitten durch „Spiegel“ und „Süddeutsche Zeitung“ im Mai 2019 führte zum Rücktritt Straches aus der ÖVP-FPÖ-Regierung von Kanzler Sebastian Kurz und später zu Neuwahlen. (dpa)

Der ist noch absurder. Hier geht es wieder um einen der beiden früheren Mitarbeiter von mir. Der hatte tatsächlich Strache im Juni 2019 das komplette Ibiza-Video gegen Geld angeboten – aber ohne dass ich etwas davon wusste oder dies wollte, ganz im Gegenteil. Es gibt auch einen nachträglichen Chat, der das beweist: Darin fragte ich den Mann, mit wem er sich getroffen habe, und er wollte es mir nicht verraten. Und in einem aufgezeichneten Gespräch von ihm mit einem Ermittler beklagen beide, dass ich das Video nicht verkaufen will. Die Ermittler wissen also seit Juni 2019 ganz genau, dass es keinerlei Erpressung von mir gab.

Und warum werden die Vorwürfe dennoch bis heute aufrechterhalten?

Weil die österreichischen Ermittler sie brauchen, um mich doch noch für das Ibiza-Video dranzukriegen. Nur damit konnten sie in Deutschland meine Telefone überwachen lassen, meine Konten abfragen, Flugdaten und Funkzellen auswerten und mich letztlich verhaften.

Das ist ein schwerer Vorwurf: Sie unterstellen der österreichischen Justiz, manipuliert zu ermitteln.

Ich will nicht behaupten, dass Österreich kein Rechtsstaat wäre, aber es beklagte ja zuletzt sogar eine frühere Staatsanwältin der Wiener Korruptionsstaatsanwaltschaft eine politische Beeinflussung ihrer Ermittlungen. Auch dem leitenden Oberstaatsanwalt im Fall Ibiza hängen Vorwürfe der Manipulation an. Und in Österreich gibt es das Weisungsrecht des Justizministeriums und der Oberstaatsanwaltschaft, das Ermittlungen beeinflussen kann. Wenn in meinem Fall der Vorwurf des Drogenhandels gemacht wird, würde man doch erwarten, dass zuerst mal die Käufer vernommen werden. Aber das ist monatelang nicht passiert – weil die Vorwürfe sonst nämlich entkräftet worden wären. Auch ich selbst habe bis heute keine Vorladung zur Aussage bekommen. Die Ermittler aber wollen diese Vorwürfe nutzen, um ihre Strafverfolgungsmaßnahmen durchzusetzen. Für das Video hätten sie die in Deutschland nie gekriegt.

40, ist Wiener Sicherheitsfachmann und Macher des „Ibiza-Videos“ über Strache. Seit Dezember sitzt er in der JVA Moabit in Auslieferungshaft. Das Interview fand telefonisch statt.

Der Oberste Gerichtshof Österreichs erklärte die Veröffentlichung des Ibiza-Videos für rechtmäßig, da es einen „außergewöhnlich großen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse“ darstelle. Die Richter unterstellten Ihnen aber auch, Sie hätten vorgehabt, die Aufnahmen gewinnbringend zu verkaufen.

Das stimmt aber nicht. Das Ganze begann mit einem früheren Bodyguard von Strache, der Material über dubiose Geldzuwendungen und Spesenabrechnungen von ihm gesammelt hatte. Davon erzählte der Bodyguard 2015 einem Freund von mir, einem Wiener Anwalt. Als dieser die Sache an das österreichische Bundeskriminalamt meldete, aber nichts passierte, bat er mich um Hilfe, um Strache die Korruption selber nachzuweisen. Und dann entstand die Idee mit dem Video. Ich habe da anfangs nur mitgemacht, um ihm einen Gefallen zu tun.

Sie organisierten Anbahnungstreffen und lockten Strache auf eine verwanzte Villa nach Ibiza – ein hoher Einsatz für einen Freundschaftsdienst.

Je mehr ich mich mit der Sache beschäftigte, umso mehr handelte ich auch aus Überzeugung und Empörung. Ich war überrascht, wie offen Straches Vertrauter Johann Gudenus vom ersten Treffen an war, obwohl wir hier russisches Schwarzgeld offerierten. Und ich merkte, dass etwas faul ist im Staate Österreich. Es gibt ein System, Wirtschaftsinteressen mit Parteispendenkonstruktionen durchzusetzen. Versuche, die Medien zu steuern. Undurchsichtige Kontakte nach Russland. Und so hoch war der Aufwand für mich gar nicht. Die verdeckten Kameras habe ich im Internet bestellt. Zusammen mit dem Essen und mit Leihwagen im Vorfeld, der Finca und den Flügen hat das alles vielleicht 100.000 Euro gekostet.

Das ist jetzt nicht ganz wenig.

Aber weniger als immer kolportiert wird. Im Vergleich zu früheren Projekten von mir war das überschaubar.

Wer machte alles bei dem Video mit?

Die Idee stammte von dem Anwalt und mir. Auf Ibiza waren nur ich und die vermeintlich russische Oligarchin. Ein paar Bekannte hatte ich noch um technische Hilfe gebeten, aber die hatte ich nicht eingeweiht.

Und wer spielte die Oligarchin?

Das sage ich nicht. Auch weil ich niemandem die Probleme und Hetze wünsche, die mir zuteil wurden. Für mich ist diese Frau jemand, dem die Republik Österreich auf ewig Dank schuldet, auch weil sie völlig uneigennützig handelte.

Kann man das glauben: Ein Privatdetektiv wird zum politischen Aktivisten?

Richtig, ich war zuvor kein politischer Aktivist. Und ich habe auch lange mit mir gerungen. Ich war nicht heiß darauf, mit dem Video rauszugehen. Ich war auch nicht blauäugig. Wer rennt schon freiwillig in seinen Untergang? Ich hatte vieles, was später passiert ist, befürchtet. Mir wäre es lieber gewesen, jemand mit öffentlichem Standing hätte das Video veröffentlicht. Aber es fand sich niemand und es gab irgendwann kein Zurück mehr. Strache versuchte als Vizekanzler umzusetzen, was er angekündigt hat in Ibiza: Mediengleichschaltung, Bevorzugung von ihn politisch fördernden Unternehmern.

Sie wollten kein Geld mit dem Video machen? Laut Berichten soll dieses österreichischen Parteivertretern und dem Bau-Unternehmer Hans-Peter Haselsteiner angeboten worden sein, für Millionenbeträge.

Es stimmt, dass der Anwalt versucht hat, das Video vor der Veröffentlichung zu verkaufen. Aber nur um den Bodyguard abzusichern, damit der seine Aussage machen kann. Ich selbst habe solche Gespräche nie geführt. Als die Gespräche fehlschlugen, gab der Anwalt auf. Ich hielt die Veröffentlichung aber weiter für richtig und wichtig. Und so landete es beim Spiegel und der Süddeutschen – ohne jede Bezahlung.

Es floss wirklich kein Geld?

Nein. Und ich habe das Video auch danach nicht verkauft, obwohl es viele Möglichkeiten gegeben hätte. Das wollten ja viele haben: andere Medien, Strache oder Leute aus dem Glücksspielsektor. Auch mir wurden da Millionenbeträge geboten. Ich habe das Video aber nicht verkauft, auch wenn ich das Geld gut hätte gebrauchen können.

Aber Sie hätten damit doch jetzt den Bodyguard absichern können?

Der Bodyguard hatte sich inzwischen zurückgezogen. Der wollte nicht mehr.

Sie stürzten mit dem Video die österreichische Regierung aus ÖVP und FPÖ. War Ihr Ziel damit erreicht?

Ich hatte keine umstürzlerische Aktion vor und ich hatte das auch nicht erwartet. Ich dachte, dass es einen Skandal gibt, vielleicht einen Rücktritt oder auch U-Ausschuss. Vor allem aber hatte ich Angst, weil die FPÖ das Innenministerium hielt und so die Polizei und Geheimdienste unter sich hatte. Als es dann aber diese Kundgebung vor dem Kanzleramt gab und die Leute dort getanzt und gejubelt haben, war das sehr emotional für mich. Ich hatte dieses Video zwei Jahre mit mir rumgetragen, in ständiger Angst, konnte darüber mit niemandem sprechen. Und dann sah ich, dass es etwas Positives bewirkte. Was ich allerdings unterschätzte, war die öffentliche Diffamierungskampagne gegen uns. Selbst seriöse Medien waren bereit, irgendwelche Schundinformationen aus rechten Kreisen über uns zu verbreiten. Plötzlich war ich der Drogendealer, der Spion, der Mafiaboss.

Wohl auch, weil Sie eben keine vorstrafenfreie Vita haben.

Wie gesagt: Alles, was an Vorwürfen gegen mich hervorgebracht wird, ist widersprüchlich und widerlegt. Auch wenn das bei manchen Schnappatmung verursacht: Für mich war diese Aktion ein patriotischer Akt, aus Sorge um mein Land und die Demokratie. Mir war von Anfang an klar, dass das nicht vorteilhaft wird für meine Karriere und mein Leben. Aber das so mit mir umgegangen wird, hätte ich nicht erwartet.

Sie würden die Aktion nicht noch einmal machen?

(überlegt) Doch. Ich hielt es damals für wichtig und ich tue es auch heute noch. Aber ich würde es vielleicht anders machen. Was mich belastet, sind die vielen Leute, die durch diese Aktion unschuldig in Mitleidenschaft gezogen wurden. Und dass sich politisch nicht viel verändert hat.

Nicht viel verändert? Heute regieren ÖVP und Grüne in Österreich, die FPÖ ist dezimiert, Strache politisch im Abseits.

Das stimmt. Aber im Großen sehe ich in Österreich immer noch autokratische Tendenzen. Es gibt weiter Schlupflöcher bei verdeckten Spenden, daran haben auch die Grünen nichts geändert. In prominenten Fällen ermittelt die Justiz weiter nicht unabhängig. Die Medien werden immer noch gegängelt. Es bleibt eine Tendenz in dieser Republik, Probleme zuzudecken, statt sie aufzuklären. Ibiza bot die Möglichkeit für wichtige Reformschritte, für eine Selbstreinigung. Aber das wurde versäumt. Und es gibt Leute, die professioneller agieren als Strache. Strache war ein Tölpel. Diese Entwicklung halte ich weiter für sehr gefährlich.

Warum sind Sie nach der Videoveröffentlichung eigentlich nach Berlin geflüchtet?

Ich bin nicht geflüchtet. Natürlich hatte ich nach der Veröffentlichung kein Interesse, von allen sofort gefunden zu werden. Ich habe mit Racheaktionen gerechnet. Aber ich war über meine Anwälte immer für die Behörden erreichbar. Ich habe auch ganz normal Therapien absolviert oder Steuerberatungstermine. Nach Berlin bin ich gegangen, weil ich hier unter einer rot-rot-grünen Landesregierung und einem grünen Justizsenator auf eine rechtsstaatsnahe Politik und Justiz gehofft habe. Aber das hat sich nicht erfüllt.

Das Berliner Kammergericht und die Generalstaatsanwaltschaft haben Ihrer Auslieferung mit Verweis auf die Drogen- und Erpressungsvorwürfe zugestimmt. Eine politische Verfolgung sahen sie nicht. Der Justizsenator betonte, dass Österreich ein Rechtsstaat sei.

Dass die deutsche Justiz keine politische Dimension in meinem Fall erkennt, hätte ich nicht erwartet. Wir haben noch einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht laufen. Wenn da aber nicht schnell noch was passiert, bin ich wohl diese Woche auf dem Weg nach Österreich. Dabei kann ich mich noch gut erinnern, wie Frau Merkel nach dem Ibiza-Video erklärte, man müsse sich entschlossen gegen Kräfte stellen, die unsere Werte zerstören wollen. Ich glaube, das habe ich getan.

Sie sitzen derzeit in der JVA Moabit ein. Wie werden Sie da behandelt?

Ich habe Untersuchungshaftbedingungen. Die Mitarbeiter der JVA behandeln mich anständig.

Erst am Freitag sagten Sie im Bundestag im Wirecard-Untersuchungsausschuss aus. Auch dazu haben Sie Kenntnisse?

Ich sehe hier Schnittmengen mit der Ibiza-Affäre und ich habe auch das Wirecard-Auftreten in Österreich verfolgt. Einige handelnde Personen sind die gleichen, in beiden Fällen existieren undurchsichtige Geldflüsse und Verbindungen nach Russland. Auch von der Idee von Wirecard-Vorstand Jan Marsaleks, eine Miliz in Libyen aufzubauen, hörte ich schon 2019.

In Österreich tagt derzeit ein Untersuchungsausschuss zur Ibiza-Affäre, auch er würde Sie gerne als Zeuge hören. Werden Sie dort aussagen?

An sich würde ich das sehr gerne tun, aber meine Anwälte raten mir davon ab. Sonst würden mir womöglich wieder neue Vorwürfe angehängt.

Was befürchten Sie nach einer Auslieferung nach Österreich?

Meine Angst ist, dass ich dort erst mal lange in Untersuchungshaft gesteckt werde. Und ich rechne auch nicht mit einem fairen Verfahren. Das Deprimierende ist, dass das kaum jemanden interessiert außer mir. Ehrlich gesagt, rechne ich inzwischen mit dem Schlimmsten. Die Frage ist nur, wie schlimm das Schlimmste wird.

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