Autorin über Abtreibungen in der DDR: „Für Weltfrieden und Frauenrechte“

In der DDR waren Schwangerschaftsabbrüche auch dank Inge Lange legal. Ihre Tochter, die Autorin Katja Lange-Müller, erzählt. Ein Protokoll.

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Foto: Lia Darjes/montage taz

Meine Mutter Inge Lange und ich sind uns nicht oft begegnet, sie war viel unterwegs. Unser Verhältnis war aus verschiedenen Gründen auch nicht das beste. 1976 hatte ich die Petition gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann unterschrieben. Danach hatte ich zu meiner Mutter keinen Kontakt mehr. 1984 reiste ich aus der DDR aus. Sie starb 2013. Meine Mutter war eine relativ kühle Person, einerseits distanziert, aber auch leidenschaftlich, wenn es um ihren politischen Willen und um die Frauen ging. 1972 war sie Leiterin der Abteilung Frauen des Zentralkomitees der SED. Sie und ihre Abteilung hatten beim Thema Schwangerschaftsabbruch das Vorschlagsrecht.

Das „Gesetz zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs“ wurde am 9. März 1972 verabschiedet. Es war der dritte Anlauf meiner Mutter, den Paragrafen 218 abzuschaffen. Von da an war es jeder Frau möglich, eine Schwangerschaft bis zur 12. Woche abzubrechen. Mit Krankenschein, kostenfrei und auf der Basis ihrer freien Willensentscheidung. Das alles war seit 1972 in der DDR gegeben. Punkt.

Dass sie das geschafft hatte, hielt meine Mutter für ihr höchstpersönliches Verdienst. Wenn ich ihr noch hätte begegnen können, hätte ich gesagt: Ja, Moment mal. Die Veröffentlichung im Stern und die Frauen im Westen – haben die nicht auch ein bisschen mitgeholfen?

Die „Wir haben abgetrieben“-Kampagne im Stern am 6. Juni 1971 hat in der Bundesrepublik einen Massenprotest ausgelöst. Die Frauen gingen auf die Straße – gerade in Westberlin, also direkt nebenan. Das hat meine Mutter für ihren dritten Anlauf zur Abschaffung des Paragrafen 218 genutzt. Es war Teil ihrer Polemik, darauf zu verweisen und zu sagen: Jetzt gibt’s mal die Chance, denen im Westen zu zeigen, was Demokratie ist, was Menschenrechte sind und was Gleichberechtigung ist. Das hat dann eigentlich den Ausschlag dafür gegeben, dass das überhaupt als beschlussreifer Entwurf von ihr vorgetragen werden konnte. Und das hat wahrscheinlich bewirkt, dass der Gesetzentwurf, abgesehen von 14 Gegenstimmen aus der CDU-Fraktion, angenommen wurde.

Umgekehrt dürfte dieser Beschluss der Regierung der DDR den Kampf der Frauen im Westen eher negativ beeinflusst haben. Hätte der damalige Bundesjustizminister Jahn den Frauen im Westen die gleichen Rechte einräumen können wie der Gegner im Osten? Wohl kaum. Auch die Frauenbewegung im Westen hat sich nicht auf die neue Gesetzgebung im Osten bezogen. Sie standen nicht auf der Straße und sagten: Wir wollen die gleichen Rechte wie die Frauen in der DDR. Das wäre ja möglich gewesen.

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Die Abschaffung des Paragrafen in der DDR war im Grunde leicht zu haben, weil man da nur mit ein paar reaktionären CDUlern, ein paar Blockflöten, herumstreiten musste. Ansonsten wurde der Paragraf einfach gestrichen. Den Bürgern andere Rechte zur Selbstbestimmung einzuräumen war ansonsten unmöglich, doch in dem Fall ging es mal.

Wahrscheinlich spielte auch eine Rolle, dass die Frauen als vollwertige Arbeitskräfte gebraucht wurden. Damit die Frauen arbeiten konnten, möglichst in drei Schichten und mindestens 8 Stunden am Tag, brauchte es all diese Einrichtungen: die Krippen, die Kindertagesstätten und die Abschaffung des Paragrafen 218. Als ich 1984 in den Westen kam und hörte, wie das hier funktioniert, habe ich mich gewundert. Kinder frühestens 10 Uhr in die Kita bringen und 14 Uhr wieder abholen – was soll man in den paar Stunden machen?

„Die Partei war mein Leben“, sagte meine Mutter

Die Abschaffung von 218 war kein Geschenk. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau war auch in der DDR eine Verfassungsgrundlage. Und zur Gleichberechtigung gehört, dass Frauen und Männer gleiche Bedingungen haben, dass die Frauen das Recht haben, ein Kind zu bekommen, wenn sie es wollen und nicht, wenn sie es müssen. Mit der Wiedervereinigung wurde diese Errungenschaft für die Ostfrauen hinfällig. Im Mai 1993 erklärte das Bundesverfassungsgericht des vereinten Deutschlands dieses DDR-Gesetz zum straffreien und barrierelosen Abbruch von Schwangerschaften für verfassungswidrig.

Das bis heute geltende eingeschränkte Recht auf Abtreibung ist für mich nicht vereinbar mit dem Gleichheitsgrundsatz, der ja auch in der Verfassung der Bundesrepublik steht. Solange sich Gynäkologen strafbar machen, die eine Abtreibung vornehmen ohne diese Zwangsanhörung und Frauen verpflichtet sind, das schriftlich dokumentiert vorzulegen, so lange ist in meinen Augen der Paragraf 218 nicht abgeschafft.

Die Abschaffung war ein dringendes politisches Anliegen meiner Mutter. Dafür hat sie alles getan, was in ihrer Macht stand. Das hatte sicherlich auch mit persönlichen Erfahrungen zu tun. Meine Mutter hatte zwei- oder dreimal abgetrieben. Mithilfe von Essigsäurebädern, auf die sich die Frauen dann setzten, bis ihr Hintern rot war. Ich sehe sie noch, da war ich ein kleines Kind, im Badezimmer hocken auf so einem Eimer mit kochend heißem Essigwasser. Das riecht man ja in der ganzen Hütte. Später hatte sie zwei pubertierende Töchter, von denen sie nicht wusste, wie lange die ungeschwängert durch die Welt wandeln.

Kein Gespräch, kein Brief

Es gibt ein Tonband über das Parteiausschlussverfahren führender SED-Genossen 1990. Dort sagt meine Mutter: „Die Partei war mein Leben.“ So war es auch. Wir haben als Kinder akzeptiert, dass der Kampf für den Weltfrieden und die Frauenrechte wichtiger ist, als sich mit uns beiden zu beschäftigen. Sie hatte für unsere Wünsche und Bedürfnisse wenig Verständnis und keine Zeit.

Ich heiße Katja nach der kommunistischen Widerstandskämpferin Käthe „Katja“ Niederkirchner. Meine Mutter verehrte Clara Zetkin und Rosa Luxemburg. Die Frauenbewegung war ihr eine Herzensangelegenheit. Sie war aber auch eine Ignorantin, nahm nur zur Kenntnis, was ihr in den Kram passte. Wenn ich ihr erzählte, wie es auf der Ost-Psychiatrie zugeht, sagte sie: Das kann ja gar nicht stimmen, sonst wüsste die Partei davon.

Ich habe meine Mutter seit 1976 nicht mehr gesehen. Wir haben seither nicht mehr gesprochen, kein Brief. Ich glaube, im letzten Handbuch der Volkskammer der DDR tauche ich nicht mal mehr als Tochter auf.

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Dieser Text ist Teil der Sonderausgabe zum feministischen Kampftag am 8. März 2024, in der wir uns mit den Themen Schönheit und Selbstbestimmung beschäftigen. Weitere Texte finden Sie hier in unserem Schwerpunkt Feministischer Kapmpftag.

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