Mäandernde Schulpolitik in der Pandemie: Eltern sind weich gekocht

Dass nur wenige gegen die Schulöffnungen protestieren, liegt nicht daran, dass die Mehrheit zustimmt. Das Hin und Her hat zu Resignation geführt.

Ein weich gekochtes Ei

Schule auf, Schule zu: Eltern, Schü­le­r*in­nen und Lehrkräfte sind weich gekocht Foto: Myriam/pixabayCC

Seit Montag sind die Bremer Schulen wieder geöffnet: In Grundschulen besteht Präsenzpflicht für alle Kinder, in den weiterführenden Schulen ist die Teilnahme in Halbgruppen Pflicht. Jeweils die eine Hälfte lernt zu Hause, die andere in der Schule.

Weil die Infektionszahlen in Bremerhaven sehr viel höher sind als in der Stadt Bremen, müssen dort nur Grundschulkinder in den Wechselunterricht kommen. Die anderen sollen jetzt doch zu Hause bleiben, wie der Magistrat am Montagabend mitteilte.

Größere Proteste von Eltern oder Lehrkräften gegen diese im Bundesvergleich weitreichende Öffnung der Schulen bleiben aus. So fand eine Petition auf der Plattform openpetition.de, die sich für Maskenpflicht und Wechselunterricht in Bremer Grundschulen ausspricht, innerhalb von knapp zwei Wochen gerade mal 2.072 Unterschriften, davon 1.700 aus Bremen (Stand von Dienstagvormittag).

Das ist ein verschwindend geringer Anteil, denn es gibt rund 23.000 Grundschulkinder im Land Bremen – und damit annähernd 46.000 mögliche Unterschreiber*innen. Die Petition läuft seit einer Woche jetzt noch einmal auf der Bremischen Bürgerschaft: 486 Unterschriften.

Auch nur schleppend in Gang kommt eine Aktion auf Twitter: Unter dem Hashtag #bremenfuerhalbgruppen sollen seit vergangener Woche Use­r*in­nen fordern, dass auch in der Stadt Bremen in Grundschulen nur in halben Klassen im Wechselmodell unterrichtet wird. Gestartet hatte dies die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vergangene Woche. Die Resonanz blieb bis Dienstag bescheiden.

Irrlichternde Senatspolitik

Es ist möglich, dass der überwältigende Teil von Eltern und Leh­re­r*in­nen die Schulöffnungen in dieser Form begrüßt. Vielleicht sind viele aber auch einfach zu weich gekocht vom vielen Hin und Her des letzten Jahres, um sich noch über die neuesten Pandemie-Regelungen aufzuregen oder gar dafür einzusetzen, dass andere getroffen werden.

Gründe zur Resignation gibt es reichlich. Für einige kann der rot-rot-grüne Senat nichts. Die allgemeinen Lebens- und Arbeitsbedingungen in einer Pandemie machen müde. Aber die teils arg irrlichternde Politik hat es nicht leichter gemacht, die Unsicherheiten zu ertragen, die entstehen, wenn ein neuartiges Virus mit Weltherrschaftsambitionen auf komplett unvorbereitete Systeme trifft.

In Bremen lässt sich dies eindrücklich an der Bildungspolitik beobachten. Schulen auf, Schulen zu, halbe Klassen, ganze Klassen, mit Präsenzpflicht oder ohne – und das alles mehr oder weniger unabhängig vom aktuellen Infektionsgeschehen.

So waren die Schulen im November quasi normal geöffnet. Zu einem Zeitpunkt, an dem die Stadt Bremen mit einer Inzidenz über 200 – so wie jetzt Bremerhaven – die höchste Zahl an wöchentlichen Neuinfektionen des ganzen Pandemiejahres verzeichnete und das Bundesland die Tabelle der am stärksten vom Infektionsgeschehen betroffenen Bundesländer anführte.

Einzig die Maskenpflicht wurde damals ausgeweitet: Auch Schü­le­r*in­nen ab der siebten Klasse mussten seit Mitte November nun auch im Unterricht einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Zu diesem Zeitpunkt galt in Schleswig-Holstein – eins der Bundesländer mit dem niedrigsten Infektionsgeschehen – die Maskenpflicht ab Klasse eins, sobald ein Landkreis die Inzidenz von 50 überschritten hatte.

Ablehnung von Wechselunterricht

Viele Eltern, Schü­le­r*in­nen und Leh­re­r*in­nen wünschten sich spätestens zu diesem Zeitpunkt den Unterricht in Halbgruppen. Doch von einer pauschalen Regelung für alle wollte der Senat nichts wissen. In Bremen führte die Schü­le­r*in­nen der Oberstufe einer Schule diesen auf eigene Faust ein. Auf diese Weise, so die Idee, ließen sich im Klassenraum Abstände zueinander wahren. Und wenn sich jemand infiziert, wäre nur jeweils die Hälfte der Klasse betroffen.

Bereits im Sommer hatte die GEW den Wechselunterricht in Halbgruppen gefordert. Der könne, so die Argumentation der Gewerkschaft, für eine stabile Situation sorgen, damit sich die Betroffenen für einen längeren Zeitraum auf ein System einstellen können.

Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD) teilte zwar die Einschätzung, dass es „Frust“ erzeugt, wenn sie „alle vier bis sechs Wochen neue Regeln aufstellt“, wie sie der taz Anfang Dezember im Interview sagte. Aber verbindlichen Wechselunterricht führte Bremen erst zum 1. Februar ein – als die 7-Tages-Inzidenz in der Stadt Bremen niedriger war, als in den Wochen und Monaten zuvor. Das führte zu der kuriosen Situation, dass jetzt bei geringem Infektionsgeschehen weniger Schü­le­r*in­nen in den Klassen saßen als bei starkem.

Denn Mitte Dezember hatte Bremen zwar die Präsenzpflicht aufgehoben, aber in den Grundschulen kamen bereits Mitte Januar im Durchschnitt zwei Drittel der Schü­le­r*in­nen in den Unterricht, in den weiterführenden Schulen ein Drittel. Und viele Grundschulen – vor allem in den wohlhabenden Vierteln – waren kurz vor Einführung des Wechselunterrichts voll belegt.

Ausrichten wollte der Senat seine Bildungspolitik stets an den Schwächsten: Kinder aus benachteiligten Familien sollten durch Bildungslücken nicht noch weiter abgehängt werden. Das Problem: Genau diese Kinder und Jugendlichen blieben oft aufgrund der aufgehobenen Präsenzpflicht der Schule fern.

Psychisch krank aus Angst vor Ansteckung

Zudem argumentierte der Senat damit, dass man nicht nur das Infektionsgeschehen betrachten dürfe, sondern das Gesamtbild. Zum Beispiel psychische Folgen. Doch dieses Credo gilt immer nur dann, wenn es in die Linie passt. So hatte der Senat die Forderungen nach Wechselunterricht mit dem Verweis darauf zurückgewiesen, dass die Ansteckungsgefahr in Schulen vergleichsweise gering sei.

Nicht miteinbezogen wurde dabei die Angst, sich und andere anzustecken, die viele umtreibt. Auch sie wirkt sich auf die psychische Gesundheit aus. Doch wenn die Bildungssenatorin sorgenvoll über die Zunahme von Depressionen und Angsterkrankungen bei Kindern und Jugendlichen spricht, glaubt sie, diesen am besten damit zu begegnen, dass sie möglichst viel zur Schule gehen.

So sinnvoll einzelne Entscheidungen des Senats zu Schule in der Pandemie gewesen sein mögen: Insgesamt waren sie von außen undurchschaubar und nicht nachvollziehbar, im zeitlichen Verlauf mäandernd.

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Seit 2003 bei der taz als Redakteurin. Themenschwerpunkte: Soziales, Gender, Gesundheit. M.A. Kulturwissenschaft (Univ. Bremen), MSc Women's Studies (Univ. of Bristol); Alumna Heinrich-Böll-Stiftung; Ausbildung an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin; Lehrbeauftragte an der Univ. Bremen; in Weiterbildung zur systemischen Beraterin.

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