Die Wahrheit: Fachdach für alles

Noch übernehmen derzeit HNO-Ärzte die Aufgaben von Friseur- und Nagelstudios. Ein Ortsbesuch bei einem frühneuzeitlichen Bader in Baden-Baden.

Ein Zahnarzt schaut in ein künstliches Gebiss hinein

In Doktor Holstens Praxis fühlt sich jeder Zahn pudelwohl Foto: Martin Meissner/ap

„Na, das hat sich ja gelohnt“, sagt Dr. Marlon Holsten zufrieden, als er die Nasenhaare des Reporters stilsicher bürstet und trimmt. Der abgedunkelte Praxisraum wird nur spärlich durch LED-Fackeln an den Wänden und dem Fernsehlagerfeuer von Netflix erhellt. In einer Ecke steht ein metallbeschlagenes Kambalaholzfass, mit dampfendem Wasser befüllt, daneben eine ferrarirote Trockenhaube. Ein in Laken gewandeter Badeknecht macht einen Knicks und wartet auf Anweisungen.

Holstens Inserat hatten wir ein paar Tage zuvor in einer Illustrierten entdeckt. „Doktor Holsten bietet Bader-Gesamtpaket.“ Frühneuzeitliche Wellness mitten im Lockdown? Das wollten wir sehen. „Kommen Sie gern bei uns in Baden-Baden vorbei“, so der Doktor am Telefon. Nach siebenstündiger Fahrt durch den grauen Spätwintermatsch erreichen wir ein backsteinrotes Gemäuer, über dessen Torbogen die Lettern „HANOBZZ“ prangen.

Dr. Holsten empfängt uns mit zwei übereinandergespannten FFP2-Masken. In der Vergangenheit, so berichtet er, habe er als HNO-Arzt oft allzu öde und tumbe Dienste verrichten müssen, etwa die Untersuchung der Speicheldrüsenausgänge oder brandgefährliche Entzündungen im Innenohr. Derzeit versteht sich Holsten vor allem als HANOBZZ, als Doktor für „Haar, Augen, Nasen, Ohren …“, Holsten holt Luft, „… plus Baden, Zähne, Zehennägel – ist doch ganz einfach.“ Wir entkleiden uns.

Schon Holstens Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Großvater soll sich in diesem krisensicheren Gewerbe betätigt haben. Damals noch unter der Bezeichnung „Balneator“ oder Bader schrubbte er bereits Napoleon, Clara Zetkin und sogar Kleopatra VII. den Rücken. Bader boten damals ein frühneuzeitliches Komplett-Wellnesspaket an. Sie zogen Zähne, feilten Nägel und bliesen beherzt in verschmandete Ohren. Als die Friseursalons, Nagelstudios und Wellnessbäder im Coronalockdown monatelang schlossen, entschied Dr. Holsten nun, alle Jobs unter einem Fachdach zu bündeln.

Der Pornobalken von Wilhelm II.

Erleuchtet begeben wir uns ins heiße Kambalaholzfass, während Holstens Scherge uns die lockdownbedingt viel zu langen Zehennägel abknipst. Namhafte Politiker aus der ganzen Republik stünden momentan Schlange, berichtet der Doktor. Winfried Kretschmann etwa, der seinen Green-Beret-Stoppelschnitt auf dem Kopf und in anderen Körperregionen nicht missen möchte – näher könne er da beim baden-württembergischen Ministerpräsidenten nicht ins Detail gehen. Aber ja, auch die Kanzlerin lasse sich hier im HANOBZZ verwöhnen, da bleibe das Handy sogar mal ausgeschaltet. Toni „Hippie“ Hofreiter von den Grünen soll sich einem Besuch hingegen bislang strikt verweigert haben.

Holstens Knecht widmet sich unserem Bart, den er mit der „Struwwelin Barttinktur“ einreibt, dazu befestigt er eine Dampfbartbinde. Die Frage, ob er unsere Nasenhaare zu einem stattlichen Nasenhaarbart, frei nach dem graziösen Pornobalken von Wilhelm II., erweitern solle, verneinen wir. Derweil löffelt Dr. Holsten genüsslich seine Macadamia-Eiscreme mit Salzkaramellsauce. Viele hätten ihn schon gefragt, wie es denn sein könne, dass der HANOBZZ geöffnet habe, aber Nagelstudios, Friseure und Saunabetriebe wegen des Coronalockdowns schon seit Monaten dicht sind.

„Vermutlich wegen meines Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Großvaters, der hier immer noch eine Nummer ist“, antwortet der Meister. Überhaupt erfülle sein gesamtes Etablissement hohe Hygienestandards. Kein Vergleich mit dem HNO-Scharlatan aus Sinsheim, der gefälschte Atteste ausstelle, die von der Maskenpflicht befreien, sagt Holsten und löffelt aufgewühlt sein Eis.

Dann erhebt er sich und kramt aus einer Ecke neben dem 4K-Lagerfeuer ein Lederköfferchen hervor. Ob wir einen Aderlass wollten, ganz in der Tradition der antiken Lehre der Körpersäfte? Dankend lehnen wir ab und fragen, wie es bei ihm nun weitergeht, wenn Anfang März die Friseursalons und Fußpflegeinstitute wieder öffnen dürfen. Doktor Holsten macht sich keine Sorgen: „Mein Bader-Konzept wird sich auch künftig durchsetzen, es ist ja ein Gesamtpaket, wie beim Osteopathen.“

Im Landesamt für Körperpflege

Eine Nachfrage bei den badischen Behörden bestätigt des Doktors Aussagen. Dessen Bader-Paradies sei ja ganz reizend, meint eine Sachbearbeiterin im Landesamt für Körperpflege. Saubere Zehennägel gäben den Menschen in Pandemiezeiten schließlich ihre Würde zurück, und überhaupt würden die Haare viel voluminöser als beim Friseur, wie mache der Mann das bloß? Auch die Macadamia-Eiscreme sei vorzüglich gewesen.

Nachdem uns Holstens Handlanger, der nebenbei auch den Beruf des Reibers ausübt, die Zähne poliert und uns ordentlich abgerubbelt hat, verabschieden wir uns. Auf dem Weg zur Autobahn verstopfen mehrere mit Kambalaholzfässern beladene Lastwagen die Straße.

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