Ringen um neue Regierung in Italien: Unerwarteter Zuspruch für Draghi

Der Ex-Notenbanker bekommt beim Versuch zum Aufbau einer Regierung positive Signale. Eine Überraschung gab es im bisherigen Regierungslager.

Mario Draghi, früherer Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), winkt beim Verlassen des Palazzo Montecitorio

Draghi nach Gesprächen im Palazzo Montecitorio, dem Sitz der Abgeordnetenkammer des Parlaments Foto: dpa

ROM taz | Alle wollen Mario Draghi. Der am Dienstag von Staatspräsident Sergio Mattarella mit der Regierungsbildung betraute Ex-Notenbanker bekam in den Sondierungsgesprächen mit den Parteien einen Zuspruch von links bis rechtsaußen, wie ihn im Vorfeld niemand erwartet hat. Im für ihn günstigsten Fall darf Draghi mit 590 der 630 Stimmen im Abgeordnetenhaus und 290 der 315 Stimmen im Senat rechnen.

Die erste große Überraschung gab es im bisherigen Regierungslager, das das Kabinett unter dem scheidenden Ministerpräsidenten Giuseppe Conte getragen hatte. Nur die kleine Mitttepartei Italia Viva unter Matteo Renzi, die den Koalitionsbruch vollzogen und damit Contes Sturz herbeigeführt hatte, hatte sich als begeisterte Verfechterin Draghis positioniert. Die gemäßigt linke Partito Democratico (PD) dagegen stand dieser Lösung mit großen Bauchschmerzen gegenüber, vor allem, weil sie befürchtete, darüber werde ihre Allianz mit dem Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) zerbrechen.

Denn dass die im Parlament stärkste Regierungspartei nach dem Scheitern Contes – der den Fünf Sternen nahesteht – ausgerechnet Draghi stützen könnte, erschien eigentlich ausgeschlossen. Der galt den Fünf Sternen immer als Protagonist jenes Establishments, das die Bewegung bekämpfte. Ein „Apostel der Eliten“ sei er, giftete denn jetzt auch Alessandro Di Battista, der wichtigste Kopf des Fundi-Flügels, ganz im altgewohnten Sound der Bewegung.

Drei Personen sorgten dann für den rasanten Kurswechsel: der PD-Vorsitzende Nicola Zingaretti, der bisherige Ministerpräsident Conte – und der Komiker Beppe Grillo, Gründer und Übervater der Fünf Sterne, der sich eigentlich seit fast drei Jahren völlig aus dem Tagesgeschäft der M5S heraushält.

Conte: „Ich bin nicht der Saboteur“

Kaum war Draghi mit der Regierungsbildung betraut, berief Zingaretti in der letzten Woche einen Krisengipfel der PD, des M5S und der kleinen radikal linken Liste Liberi e Uguali (LeU – Freie und Gleiche) ein, der drei Koalitionspartner also, die bis zuletzt treu zu Conte gestanden hatten. Auf diesem Gipfel machte er den Partnern deutlich, dass die PD die Allianz mit M5S und LeU auch mit Blick auf zukünftige Wahlen fortführen will.

Auf dieses Signal reagierte wiederum Conte mit einer Erklärung vor der Presse. Der parteilose Jurist tat kund, er stehe einer Regierung Draghi keineswegs feindlich gegenüber: „Ich bin nicht der Saboteur“. Zugleich machte der in der Bevölkerung hoch populäre Conte deutlich, dass er sich als zukünftiger Frontmann der Fünf Sterne sieht: Seinen „Freunden“ teilte er mit, „ich bin da und ich werde da sein“. Mehr noch, er trat auch als überzeugter Verfechter der Dreier-Allianz M5S-PD-LeU auf, die als „Allianz für nachhaltige Entwicklung“ eine Zukunft habe.

Wie immer bei radikalen Wenden der Fünf Sterne ging es jedoch nicht ohne Grillo. Der hatte im Sommer 2019 – nachdem die rechtspopulistische Lega unter Matteo Salvini die erste Regierung Conte hatte platzen lassen – den Schwenk des M5S zur Koalition mit der bis dato verhassten PD durchgesetzt.

Diesmal kam Grillo nach einem mehrstündigen Telefonat mit Draghi gleich persönlich nach Rom, und persönlich führte er die M5S-Delegation in das Sondierungsgespräch mit dem designierten Regierungschef. Von ihm wünscht er sich die Schaffung eines „Ministeriums für ökologischen Umbau“. Doch für das Ja der Fünf Sterne dürfte schon ausreichen, dass Draghi zusicherte, er werde nicht an der allgemeinen Grundsicherung rühren, die das M5S in seiner Regierungszeit durchgesetzt hatte.

Rechte Lega macht 180-Grad-Kehrtwende

Eine mehr als überraschende Volte gab es aber auch in der von den harten Populisten dominierten Rechtsopposition. Dort inszeniert sich Silvio Berlusconi mit seiner Forza Italia (FI) zwar schon seit Monaten als Verteidiger Europas; dass er jetzt FI in die Regierungsmehrheit führen will, war zu erwarten.

Wirklich erstaunlich dagegen ist, dass auch Salvini eine 180-Grad-Kehrtwende hingelegt hat und jetzt jenen Mann stützen will, der als EZB-Präsident bis Oktober 2019 der oberste Hüter des Euro war. Jene Lega, die gerne mit Europa-feindlichen und „Italien zuerst!“-Tönen Propaganda machte, drängt jetzt ins Regierungslager.

Als wäre das nicht genug, erklärte Salvini, er werde „keine Bedingungen stellen“, weder bei Sach- noch bei Personalfragen. Und so verlautet denn auch aus seinem Gespräch mit Draghi, er habe dort mit keinem Ton sein Lieblingsthema, die Politik der für Mi­gran­t*in­nen „geschlossenen Häfen“ erwähnt. Vor der Presse wiederum erklärte Salvini auf die Nachfrage nach seinem Verhältnis zur EU trocken, „wir sind in Europa“.

Genau um diesen Punkt geht es ihm wohl: Die Unterstützung einer Regierung Draghi bietet ihm die große Chance, seine Lega einem Imagewechsel zu unterziehen und so aus der Schmuddelecke herauszukommen, in der sie bisher an der Seite der AfD und Marine Le Pens hockt.

Fünf Sterne müssen in den saueren Apfel beißen

Italien könnte so eine wirklich bizarre Regierungsallianz sehen: eine Allianz, in der vorneweg die Fünf Sterne in den sauren Apfel beißen, nicht nur Berlusconi, sondern auch Salvini an ihrer Seite zu wissen. Aber auch die PD ist von der sich abzeichnenden Lösung „not amused“. Sie hofft immer noch, Draghi könne mit einer markant pro-europäischen Ausrichtung der Lega die Zustimmung verleiden. „Niemals“ werde die PD an der Seite von Rechtsnationalisten regieren, hatte Parteichef Zingaretti noch vor wenigen Tagen erklärt. Doch das Wort „niemals“ gehört anscheinend quer durch die politischen Lager der Vergangenheit an.

Und die Bür­ge­r*in­nen scheinen die Wende zu goutieren: Draghi hat einen Zustimmungswert von 71 Prozent und schlägt damit seinen Vorgänger Conte, der auf „nur“ 58 Prozent kommt.

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