Umgang mit Kremlgegner Alexei Nawalny: Amnesty sorgt für Irritationen

Die Menschenrechtsorganisation kündigt im Fall Nawalny eine interne Prüfung an. Der Kremlgegner wurde derweil in ein Straflager verlegt.

Demonstranten halten ein Plakat hoch, in dem sie die Schließung Guantanamos fordern.

Mit Guantanamo-Häftlingen solidarisch, mit Nawalny nicht? Protest vor US-Botschaft in Berlin 2013 Foto: Björn Kietzmann

BERLIN/MOSKAU taz | Der Beschluss von Amnesty International, dem inhaftierten russischen Oppositionspolitiker Alexei Nawalny den Status des „gewaltfreien politischen Gefangenen“ (Prisoner of Con­science) zu entziehen, sorgt weiter für Wirbel. Die Sache sei „schiefgelaufen“, gab Amnesty-Generalsekretärin Julie Verhaar am Samstag zu und kündigte eine interne Untersuchung an.

„Während die Propaganda des Kreml keine Rolle bei unserer Entscheidungsfindung spielte, ist es völlig klar, dass wir Ziel einer Verleumdungskampagne der russischen Regierung geworden sind“, erklärte Verhaar. Amnestys Verfahrensabläufe hätten „versagt“, und „wir werden eine interne Untersuchung darüber durchführen, was schiefgelaufen ist und wie wir in diese Lage geraten sind“.

Zuvor war Amnesty auch aus den eigenen Reihen scharf dafür kritisiert worden, Nawalny fallenzulassen, nachdem eine von kremltreuer Seite beförderte Lobbykampagne dessen frühere rassistische Äußerungen thematisiert hatte.

Unter anderem sorgte für Unverständnis, dass Verhaar und weitere leitende Amnesty-Mitarbeiter in London auf einen russischen Komödianten hereingefallen waren, der sich via Zoom als Nawalnys Stabschef Leonid Wolkow ausgab und dem gegenüber sie bedauerten, Nawalnys Sache zu „untergraben“. Der richtige Wolkow sagte, allein das müsse für die Amnesty-Führung ein Rücktrittsgrund sein.

Aus Moskau verlegt

„Amnesty hat Putin einen PR-Erfolg geschenkt“, schrieb der britische Labour-Abgeordnete Chris Bryant und legte seine Amnesty-Mitgliedschaft nach 35 Jahren nieder.

Die Menschenrechtsorganisation „Index on Censorship“ erklärte, sie stehe weiter zu Nawalny. „Seine Äußerungen als junger Mann mögen wir abscheulich finden, aber seine Handlungen als Dissidentenführer stehen außer Frage“, erklärte Index-Chefin Ruth Smeeth. „Nawalny ist ein politischer Gefangener, er ist ein Dissident, er verdient unsere Solidarität.“

Derweil sickerte am Sonntag durch, dass Nawalny aus dem Moskauer Untersuchungsgefängnis „Matrosenstille“ in das Verwaltungsgebiet Wladimir überstellt worden ist. Sein genauer Aufenthaltsort seit Bekanntwerden seiner Entfernung aus der Moskauer Haft am Freitag ist bislang nicht genannt worden.

Anwälte und Aktivisten vermuten, Nawalny könnte zunächst in der Strafkolonie IK-2 in Pokrowa, 80 Kilometer von der Gebietshauptstadt Wladimir entfernt, in Quarantäne gehen.

Gedenken an Nemzow-Mord

Unabhängige Beobachter einer gesellschaftlichen Überwachungskommission halten die Kolonien in der Region Wladimir für „besonders repressiv“ im Umgang mit Häftlingen. Offiziell zählt die Strafkolonie IK-2 zu den Einrichtungen eines „allgemeinen Regimes“, das keine verschärften Haftbedingungen stellt.

Anwältin Maria Eismont bezeichnete die Kolonie jedoch als Ort, wo „alles darauf ausgerichtet ist, den Inhaftierten die völlige Abhängigkeit von der Verwaltung (der Kolonie) spüren zu lassen“. In keiner anderen Kolonie habe sie bis zu sechs Stunden warten müssen, um zu Insassen vorgelassen zu werden. „Zur Isolation politischer Gefangener wird dort alles unternommen.“

Am Samstag gedachte Moskau des Oppositionspolitikers Boris Nemzow, der vor sechs Jahren in unmittelbarer Nähe des Kreml ermordet worden war. Bis zum Abend sollen 11.000 Menschen den Anschlagsort besucht und Blumen niedergelegt haben.

Wie in den vergangenen Jahren fand kein Gedenkmarsch statt – er war offiziell wegen der Coronapandemie verboten worden. Auch Vertreter der USA, Großbritanniens und der EU fanden sich ein.

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