Die Wahrheit: Der verschwundene Ring

Ist es ein Menetekel? Ein Warnzeichen in düsteren Zeiten? Kurz vor dem Valentinstag ist der Ehering weg. Das Schneetreiben hat ihn sich geholt.

Als ich meine Handschuhe auszog, bemerkte ich es sofort: Der Ring ist weg. Verdammt! Mein goldener Ehering. War das die Strafe für den Verstoß gegen die Regeln des Lockdowns? Oder gar ein Menetekel in diesen düsteren Zeiten? Hatte mich mein Glück so kurz vor dem Valentinstag verlassen?

Ich wusste sofort, wo ich ihn verloren hatte. Nur einmal, vor dem U-Bahn-Eingang, hatte ich die Handschuhe abgestreift. Wir wollten ein befreundetes Paar besuchen. Ein Verstoß gegen die Pandemieregeln. Und so taperte ich auf dem Weg zu der verbotenen Verabredung mit einigen Getränken schwer bepackt und dick vermummt im dichten Schneetreiben durch die glatten Straßen und versuchte, durch die beschlagene Brille halbblind, die wacklige Ticket-App auf dem Handy zu aktivieren. Dabei war der Ring wohl vom Finger ins weiche Weiß gefallen. Es hatte keinen Zweck, ihn zu suchen, wir taten es dennoch – erfolglos.

Nachts fühlte ich den Phantomschmerz und mich buchstäblich nackt, weil ich permanent die leere Stelle betastete, wo ich sonst den Ring gern notorisch drehte und drehte. Doch da war nichts – nur Gedanken, die mich wachhielten. Bilder aus der Vergangenheit blitzten auf. Die Hochzeit in Las Vegas. Little Church of the West. Dieselbe Kapelle, in der Angelina Jolie und Billy Bob Thornton geheiratet hatten. Und der zehnte Hochzeitstag im letzten Sommer vor Corona. Der Hubschrauberflug zum Champagner-Picknick im Grand Canyon.

Das Glück der Dekadenz. Das die neuen Puritaner mit ihrem Tugendterror gern in den Schlamm der Politisierereien zerren. Während sie an der Welt leiden, genieße ich es, wie ein Dandy der Belle Epoque zu verschwenden. Ist doch Verschwendung eine Kunst und der Beginn aller Kultur. Nur deshalb leben wir nicht mehr auf Bäumen und nagen keine Rinden ab. Aber war das die Zukunft nach der Pandemie? Statt an edlen Drinks zu nippen, bald wie die Generation Apokalypse schalen Rindensaft hinunterwürgen zu müssen?

Um auf andere Gedanken zu kommen, erklomm ich mein Indoor Speedbike. Mitten in der Pandemie hatte ich mir ein Zimmerrennrad zugelegt und satte zwölf Kilo abgenommen. Meine schmerzenden, weil dünner gewordenen Gichtgriffel schonte ich mit gepolsterten Halbfingerlingen, die ich jetzt ablegte. Denn meine Gattin stand betrübt vor mir. Die Zukunft hängt nicht an einem Stück Gold, versicherte ich ihr, aber es muss ein neuer Ring her, der diesmal enger ist, damit er nicht so leicht abrutscht. Ich hielt ihr die Hand hin und … was war das?! Das konnte nicht sein! Der Ring steckte am Finger!

Wie aus dem Nichts, wie von Zauberhand war er wieder da. Wir sahen uns verblüfft an. Er musste gestern nach dem täglichen Biken bereits beim Abziehen des engen Sporthandschuhs unbemerkt darin hängen geblieben und dann heute beim Überziehen exakt an seinen gewohnten Platz zurückgekehrt sein. Wir umarmten uns erleichtert. Das Glück würde uns so schnell nicht verlassen.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1961, lebt in Berlin-Friedenau und ist seit dem Jahr 2000 Redakteur für die Wahrheit-Seite der taz.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.