Grüne und Eigenheime: Intellektuelle Flurbegradigung

Die Debatte um neue Einfamilienhäuser wird mit schlichten Reflexen abgewürgt. Stattdessen sollten alte Konsumgewohnheiten hinterfragt werden.

Ein Einfamilienhaus im Bau mit Gerüsten

Für die einen ein Horror, für andere ein Traum: Das Einfamilienhaus Foto: Patrick Pleul / dpa

Die hitzigsten Debatten sind die, die ganz ohne ­Wirklichkeitsbezug auskommen. Wenn manche Liberale, Konservative, AfDler und die Bild-Zeitung den Grünen vorwerfen, Einfamilienhäuser verbieten und deren Besitzer enteignen zu wollen, hat das mit der Realität nichts zu tun – und viele der angeblich erbosten Protagonisten wissen das natürlich. Aber es ist einfach zu verlockend, den Grünen wieder mal das Label „Verbotspartei“ anzuheften.

Nun könnte man darauf vertrauen, dass die deutsche Mittelschicht klug genug ist zu wissen, dass Anton Hofreiter ihr nicht das geliebte Häuschen per Zwangsverordnung wegnehmen will. Und, ja, selbstverständlich ist es sinnvoll, in einer Großstadt wie Hamburg angesichts explodierender Mieten und knapper Flächen auf Geschosswohnungsbau zu setzen statt auf Einfamilienhäuser, wie es SPD und Grüne vor Ort tun. Wer daraus ableitet, die Grünen wünschten sich DDR-Plattenbauten mit rationierter Quadratmeterzahl für alle, wie es mancher FDPler herbeifantasiert, entlarvt sich selbst.

Aber leider produziert diese postfaktische Form der öffentlichen Auseinandersetzung Kollateralschäden für die Demokratie, die ernst zu nehmen sind. Statt über Flächenfraß, Artensterben und Zersiedelung zu sprechen, diskutiert halb Twitter über ein Verbot, das keiner gefordert hat. Diesen Luxus kann sich das Land eigentlich nicht mehr leisten, und vor einem solchen Wahlkampf kann einem Angst und Bange werden. Nebenbei wird so für eine intellektuelle Flurbegradigung gesorgt, die es in sich hat.

Ob es um Fleischverbrauch geht, ums Autofahren oder eben um Einfamilien­häuser: Der Verbotsparteivorwurf kommt verlässlich dann, wenn lieb gewonnene Konsumgewohnheiten zaghaft hinterfragt werden. Das Dilemma ist nur leider, dass die Steigerung von Konsum und Ressourcenverbrauch angesichts eskalierender ökologischer Krisen schlicht verantwortungslos ist. Man kann andere Lösungsvorschläge als die Grünen haben, aber besprechbar sollte dieses Problem schon sein.

Doch jene, die sonst über linke Cancel Culture klagen, erklären den Status quo mit der immer gleichen Leier für sakrosankt.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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