Die Wahrheit: Kolonialer Strick

Neues aus Neuseeland: Im Parlament von Wellington wird mit Krawatten Politik gemacht. Doch jetzt rebelliert ein Abgeordneter der Maori.

Die Sommerpause ist vorbei, die Schule beginnt, das Kabinett tagt wieder. Und plötzlich wird es spannend im schläfrigen Wellington. Auch an diesem Ende der Welt hatten ein paar aufgepeitschte Verschwörungsidioten den Sturm auf den Beehive – unser Pendant zum Kapitol in Washington – angekündigt. Doch der Regierungssitz muss eine brenzligere Situation meistern. Darf man dort ohne Krawatte reden?

Mit zwei Sitzen ist die kleine, aber kämpferische Maori-Partei seit der Wahl im vorigen Jahr im Parlament. Einen davon bekleidet Co-Chef Rawiri Waititi. Ihn wiederum bekleidet ein Moko, das traditionelle Gesichtstattoo. Das ist in Aotearoa längst nichts Ungewöhnliches mehr. Nachrichtensprecherin Oriini Kaipara hat auch eins, jedoch – wie es sich für Frauen gehört – nur unter dem Kinn. Genauso wie unsere neue Außenministerin.

Als er ins 53. Parlament eingeschworen wurde, führte Rawiri Waititi dort einen Gebetsgesang auf, der als Protest gemeint war. Er sah nicht ein, warum er Queen Elizabeth II. die Treue schwören soll, wenn nicht parallel dem Treaty of Waitangi gehuldigt wird. Der besiegelte im Jahr 1840 die gleichberechtigte Partnerschaft zwischen Monarchie und Ureinwohnern in Aotearoa – und wurde ein gutes Jahrhundert lang mit Füßen getreten.

Im November spazierte Waititi mit der anderen Parteiführerin aus dem Parlament, weil ihnen keine fünfzehn Minuten Redezeit wie den größeren Parteien eingeräumt wurde. Richtigen Wirbel machte der Politiker jedoch Ende vergangenen Jahres mit seiner feurigen Antrittsrede. Er sprach darin auch über einen Vorfahren, der 1865 zu Unrecht beschuldigt wurde, den deutschen Missionar Carl Völkner umgebracht zu haben. Dafür gab es die Todesstrafe.

Die letzten Worte des Verhafteten vor dem Erhängen waren: „Nehmt die Schlinge von meinem Hals, damit ich mein Lied singen kann.“ Während er die bewegenden Worte auf Maori zitierte, zog Waititi seinen Schlips aus. „Ich werde mich daher mit den Schätzen meiner Vorfahren schmücken und den kolonialen Strick um meinen Hals entfernen, damit ich mein Lied singen kann“, sagte er. Das gesamte Parlament schluckte.

Trevor Mallard, der Sprecher des Repräsentantenhauses, ermahnte den Krawattenrebellen anschließend, dass die „Anforderungen für Geschäftskleidung“ von ihm befolgt werden müssen, bevor er wieder „in diesem Haus“ reden darf. Ob Waititi das befolgt oder die antikolonialistische Revolution gegen die Kleiderordnung ausruft, wird sich bald zeigen. Unterstützung hat er bereits von einem Grünen-Abgeordneten.

Zuletzt hatte der Maori­advokat erst mal Wichtigeres zu tun, als Schlipse zu binden. Über Weihnachten gab es einen Gefangenenaufstand in Waikeria wegen der inhumanen Zustände dort. Waititi sprang als Verhandlungsführer ein und machte sich für die Häftlinge stark. Sie gaben die Revolte auf. Seine steht noch bevor.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Anke Richter ist Wahrheit-Kolumnistin, Buch-Autorin und Mitglied von Weltreporter.net in Neuseeland. Zuletzt erschien von ihr die Auswanderersatire "Was scheren mich die Schafe. Unter Neuseeländern - Eine Verwandlung" (Kiepenheuer & Witsch).

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.