Kein Bafög für Halle-Überlebende: Auf Todesangst folgt Existenzangst

Eine Studentin wurde Opfer des Terroranschlags in Halle. Nun wurde ihr das Bafög gestrichen, weil sie nicht mehr arbeiten kann.

Synagoge in Halle Saale, nach dem Terroranschlag

Die Tür der Synagoge in Halle, an welcher der Rechtsextremist scheiterte Foto: Christian Schroedter/imago

BERLIN taz | Agata Maliszweska war am 9. Oktober 2019 in der Synagoge in Halle, als ein Rechtsextremist versuchte, diese zu stürmen. Er warf Sprengsätze, schoss auf die Tür – und scheiterte an ihr. Anschließend zog der Angreifer weiter, tötete eine Passantin und kurz darauf einen Mann in einem Dönerimbiss. Maliszweska litt damals unter Todesangst, sie verfolgt seitdem eine posttraumatische Belastungsstörung.

Und nun hat die Studentin der Jüdischen Theologie an der Universität Potsdam noch ein Problem. Das zuständige Studentenwerk strich der Polin laut ihres Anwalts bereits im Sommer 2020 das Bafög, gut 700 Euro monatlich – weil sie wegen ihrer Erkrankung momentan keiner Arbeit mehr nachgehen kann.

Als ausländische Studierende muss Maliszweska aber eine geringfügige Beschäftigung nachweisen, um die Förderung zu erhalten. Zuvor arbeitete sie als Babysitterin. Eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft verlor sie aufgrund der Coronapandemie.

Maliszweska selbst äußert sich zu ihrem Fall momentan nicht, aber ihr Rechtsanwalt Mark Lupschitz tut es. Und laut ihm hat das gestrichene Bafög existenzielle Folgen für die Mittzwanzigerin: Bleibt es dabei, müsse sie ihr Studium abbrechen und zurück nach Polen gehen.

Attest über Traumatisierung konnte Amt nicht umstimmen

Auch ein ärztliches Attest über ihre Traumatisierung habe das Bafög-Amt nicht umgestimmt, so Lupschitz. „Die Entscheidung fiel vielleicht am Gesetz entlang, aber am Menschen vorbei. So mit einer Anschlagsbetroffenen umzugehen, geht nicht.“

Das Studentenwerk Potsdam äußerte sich auf Nachfrage aufgrund des „Sozialdatenschutzes“ nicht. Eine Sprecherin teilte aber mit, man könne davon ausgehen, dass das Bafög-Amt „im Rahmen seiner gesetzlichen Möglichkeiten immer versucht, das Bundesausbildungsförderungsgesetz zum Wohle der Studierenden anzuwenden“.

Deutlicher wird Brandenburgs Forschungsministerin Manja Schüle (SPD). „Das ist wirklich eine schlimme Geschichte, für die man sich nur entschuldigen kann“, erklärte sie öffentlich via Twitter. „Nach einigen Gesprächen bin ich aber sicher, dass es eine Lösung geben wird.“

Auch Anwalt Lupschitz bestätigt die Gespräche. Er sei „vorsichtig optimistisch“, dass es tatsächlich zu einer Lösung komme. Noch aber sei nichts fix. Für Lupschitz sollte der Fall Anlass sein, grundsätzlich zu prüfen, wie die Bafög-Ämter mit Härtefällen umgehen. „Es kann nicht sein, dass es hier keine Möglichkeiten für Härtefälle gibt, nicht einmal für Anschlagsbetroffene. Eventuell sollte das Gesetz hier überarbeitet werden.“

„Entscheidung am Menschen vorbei“

Druck kommt inzwischen auch aus der Politik. Nicole Gohlke, die hochschulpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, fordert in einem offenen Brief, Agata Maliszweska wieder ihr Bafög zu gewähren. Die Studentin sei wegen des Anschlags „vollkommen unverschuldet“ in ihre Notsituation geraten, die Ablehnung lasse „jegliche soziale Verantwortung vermissen“, heißt es darin.

Im Prozess zum Terroranschlag in Halle hatte Maliszweska als Zeugin ausgesagt. Mehrere andere Betroffene beklagten dort, dass sie von der Polizei oder Behörden rücksichtslos behandelt wurden. Der Betreiber des angegriffenen Kiezdöners berichtete von fehlenden staatlichen Hilfen für sein in Existenznot geratenes Geschäft.

Der Attentäter wurde Ende Dezember zu einer lebenslangen Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Er legte dagegen keine Revision ein. Die Verurteilung ist damit inzwischen rechtskräftig.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.