Geflüchtete in Lipa: Das immer gleiche Drama

Die verantwortlichen Po­li­ti­ke­r*in­nen schieben sich angesichts der Not der Geflüchteten die Verantwortung gegenseitig zu. Und tun nichts.

Männer mit dicken Jacken und Mützen stehen gedrängt hintereinander

Geflüchtete in der Kälte von Lipa Foto: Kemal Softic/ap

Sie stapfen in Flipflops durch eine zentimeterdicke Schneedecke, trinken verunreinigtes Wasser, schlafen bei Minusgraden unter freiem Himmel. Kleinkinder leiden an der Krätze, weil es keine Möglichkeit gibt, sich zu waschen. Erwachsene klagen über Schmerzen in ihren Organen, in ihren Muskeln, in ihren Knochen, die Kälte hat ihren Körper durchdrungen.

Das Coronavirus ist hier ihre kleinste Sorge. Die Menschen haben Angst, nachts einzuschlafen und einfach zu erfrieren. Einige von ihnen haben mehrfach versucht, ihr Menschenrecht auf Asyl in der EU zu beantragen, wurden vom europäischen Grenzschutz und von kroatischen Be­am­t*in­nen illegal zurück nach Bosnien-Herzegowina geschubst.

Die Rede ist von den Geflüchteten in dem eingeschneiten Camp Lipa in den bosnischen Bergen im Westen des Balkanlands an der EU-Außengrenze zu Kroatien.

Ein Team des Nachrichtenmagazins Spiegel konnte im und rund um das teilweise abgebrannte Camp filmen. Die Jour­na­lis­t*in­nen geben an, dass sie von den bosnischen Sicherheitsbehörden an ihrer Arbeit gehindert wurden. Es hat aber gereicht für eine ausführliche Dokumentation der Schande Europas. Wieder mal. Ich bin so müde. Zu diesem politisch gewollten, menschenverachtenden Elend kann ich kaum noch Neues schreiben. Es soll hier aber nicht um mich gehen, während Menschen in Lipa sterben. Das Drama wiederholt sich, und jene, die es ändern können, kümmern sich nicht darum oder freuen sich, dass ein paar Menschen (er)frieren. Das pure Böse in blau mit ein paar gelben Sternen. Was für eine hässliche Farbkombi.

Herzlose Ent­schei­de­r*in­nen

In der Spiegel-Reportage kommen auch einige An­woh­ne­r*in­nen aus Lipa vor, die eine Mahnwache halten und wollen, dass die Geflüchteten aus ihrem Dorf verschwinden. Sie dulden keine Geflüchteten in ihrer Nachbarschaft und drohen mit einem Aufstand „von bis zu 2.000 Menschen“, falls die Regierung in Sarajevo hier ein dauerhaftes Camp errichten sollte. Man kommt schnell in Versuchung, diese kaltherzigen Menschen zu verurteilen und ihnen eine Kolumne zu widmen … aber diese armen Lauchs, sie sind dann doch nichts gegen die herzlosen Ent­schei­de­r*in­nen in Brüssel, in Berlin, in Wien, in Zagreb und in Sarajevo.

Wie ich die verantwortlichen Po­li­ti­ke­r*in­nen verachte! Beim Blick nach Lampedusa, auf die Kanarischen Inseln, auf Lesbos oder jetzt auf Lipa, immer führen die Spuren zu Staats- und Regierungschefs, zu Par­la­men­ta­rie­r*in­nen oder Parteipolitiker*innen, die gemütlich in allen Fraktionen hocken, sich gegenseitig die Schuld zuschieben oder sich an der Not der Menschen erfreuen und auf ein paar Wahlstimmen von Rechtsextremen schielen.

Alle europäischen Politiker*innen, die diese Katastrophe direkt oder indirekt zu verantworten haben, sollten für 24 Stunden das durchmachen, was die Geflüchteten in Lipa durchmachen müssen. Denn Worte erreichen dieses Europa einfach nicht mehr.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mohamed Amjahid ist freier Journalist und Buchautor. Bei Twitter schreibt er unter dem Handle @mamjahid, bei Instagram @m_amjahid. Seine Bücher "Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken" und "Let's Talk About Sex, Habibi" sind bei Piper erschienen.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.