Forscher über Corona-Ursprung: „Weitere Pandemien lauern schon“

Naturzerstörung macht Seuchen wahrscheinlicher. Der Zoologe Peter Daszak hält die Gefahr für beherrschbar – sofern ein globales Umdenken stattfindet.

Ein Wissenschaftler befreit eine Fledermaus aus einem Netz in einer Höhle in Thailand

Coronaforschung in Thailand: Das Überspringen des Virus ist nicht Schuld der Fledermäuse Foto: Sakchai Lalit/ap

taz: Herr Daszak, seit vielen Jahren weisen Sie und andere Forscher darauf hin, dass Naturzerstörung das Pandemierisiko erhöht. Anfang 2020 wurde dieser Zusammenhang öfter diskutiert, zuletzt kaum noch. Wird die Wissenschaft da gehört?

Peter Daszak: Zu Beginn wirkte das Virus vom Westen aus wie etwas weit Entferntes. Für viele erklärte der Verzehr wilder Tiere in Asien alles. Ich fürchte, es wird in der aktuellen Krise schnell vergessen, dass sie durch globale ökologische Veränderungen wie Klimawandel und Artensterben verursacht wurde. Wenn sich daran nichts ändert, werden solche Krankheiten uns künftig immer häufiger, schneller und schlimmer treffen.

Sie sind Hauptautor eines Berichts des Weltbiodiversitätsrats. Er basiert auf über 600 Studien und schätzt: In der Tierwelt schlummern bis zu 1,7 Millionen unentdeckte Viren, von denen 827.000 den Menschen infizieren könnten.

Dass weitere Pandemien schon lauern, macht es einfach, den Weltuntergang zu beschwören. Und Corona sollte durchaus als Weckruf verstanden werden. Ich möchte aber das Positive betonen: Im Prinzip wissen wir, wo diese zoonotischen Erreger herkommen, von welchen Arten sie auf uns überspringen können und welches menschliche Verhalten das befördert. Wir könnten also Viren-Gensequenzen ermitteln, Impfstoffe präventiv vorbereiten oder die Lokalbevölkerung dabei unterstützen, Ausbrüche zu verhindern. Vor allem aber ermächtigt uns das Wissen um die globalen Ursachen für Naturzerstörung wie dem Überkonsum dazu, dagegen vorzugehen. Wir alle können etwas tun, indem wir unseren ökologischen Fußabdruck reduzieren.

Corona hat 2020 Überraschendes fertiggebracht: Pop-up-Radwege, Diskussionen über die Resilienz von Lieferketten oder Artenschutz als Schutz der Gesundheit.

Die taz fragt Expert:innen, wie nachhaltig das Umdenken war. Am 5. 1. erschien: Wasilis von Rauch über den Radfahrboom.

Das geht sehr weit über virologische Fragen hinaus.

Die Öffentlichkeit hat oft ein Bild von Forschern in weißen Kitteln, die mit Pipetten im Labor stehen. Aber wir brauchen auch Sozialwissenschaftler, die vor Ort verstehen, warum Leute teils viel Geld für den Konsum von Wildfleisch ausgeben, obwohl sie die Gefahren kennen. Oder Ökonomen, die erklären können, warum die globalisierte Wirtschaft Umweltzerstörung vorantreibt, und Ökologen, die das Verhalten von Fledermäusen kennen. Eine sehr komplexe Angelegenheit, die Natur und Mensch in verflochtener Weise umfasst. Unser Report ist ein interdisziplinärer Wissensschatz, der auch auf Erfahrungen mit anderen Epidemien aufbaut und das alles in Beziehung setzt.

Sie sagen, wir sollten nicht erst handeln, wenn es eigentlich zu spät ist. Was genau muss sich ändern?

Wenn man wie wir jetzt in einer Pandemie steckt, muss man sie natürlich eindämmen. Aber es gibt viel, was man zusätzlich als Prävention machen kann. Man muss zunächst verstehen, wie Pandemien entstehen: durch Eingriffe wie Abholzung von Tropenwäldern oder industrielle Viehzucht. Dann kann man gezielten Naturschutz fördern, zum Beispiel indem man in armen tropischen Ländern mit hoher Biodiversität Entwicklungshilfe, Gesundheitssysteme und Wildtiermonitoring stärkt. Die Gesundheit von Umwelt, Tieren und Menschen muss zusammengedacht werden.

Sie empfehlen auch die Schaffung eines hochrangigen zwischenstaatlichen Rates zur Pandemieprävention.

Der könnte globale Anstrengungen zur Verhinderung künftiger Ausbrüche koordinieren. Unter anderem müssten verschiedene UN-Akteure und weitere internationale Institutionen vertreten sein, vielleicht unter Leitung der Weltbiodiversitätskonvention.

Peter Daszak, 55, ist Zoologe und internationaler Experte für neuartige Infektionskrankheiten. Er leitet die EcoHealth Alliance, eine NGO in den USA, die sich für Gesundheit, Naturschutz und Entwicklungszusammenarbeit einsetzt. Seit er in den 2000ern den Ursprung von SARS untersuchte, beschäftigt sich Daszak mit Coronaviren.

Die hat zuletzt kein einziges ihrer globalen Ziele erreicht.

Es ist tatsächlich schwer, optimistisch zu bleiben, wenn man sich die Entwicklung des Planeten in den letzten dreißig Jahren anschaut. Vor allem die Umsetzung solcher Beschlüsse lässt sehr zu wünschen übrig. Aber wenn wir sie nicht hätten, wäre es noch schlimmer.

2020 sollte das Jahr der Biodiversität werden mit einer wichtigen Vertragsstaaten-Konferenz, die coronabedingt verschoben wurde. Hat die Pandemie auch gute Effekte?

Es ist ironisch, dass sie zunächst den Gipfel zerschlug, der genau dort stattfinden soll, wo das Virus wahrscheinlich herkam, nämlich Südchina. Was dies für das neue Abkommen bedeutet, bleibt abzuwarten. Es war ein schlimmes Jahr, aber ich denke, dass es bald ein Zeitfenster geben wird, in dem man auf echte Veränderungen drängen kann – wenn das Schlimmste vorüber, aber noch nicht vergessen ist. Die Krise könnte durchaus positive Folgen haben. Es werden nicht nur Airlines gerettet, es gibt auch Investitionen wie die „Green Recovery“-Maßnahmen der EU. Das Bewusstsein wächst, und es haben bereits andere Organisationen auf unseren Report reagiert.

Der argumentiert auch, dass die Kosten der Pandemie 100-mal so hoch sind wie Prävention. Wenn das so klar ist, warum passiert bisher so wenig?

Das mag an der Psyche des Menschen liegen, der oft erst in akuten Krisen handelt. Außerdem wären kurzfristig die Profite der Privatwirtschaft betroffen, wenn sie sich um mehr biologische Sicherheit kümmern würde.

Im Kapitalismus werden Kosten externalisiert.

Deswegen brauchen wir Regierungen und Organisationen wie die Vereinten Nationen. Die Wirtschaft wird einlenken, spätestens wenn man sie zwingt – auch durch Öffentlichkeit und umweltbewusste Konsumenten. Es macht mir Hoffnung, dass eine neue Generation heranwächst, die mit Themen wie Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit zunehmend Druck auf die Politik ausübt.

Sie sind auch Teil eines internationalen Teams, das im Auftrag der WHO nach China reisen soll, um den Ursprung von Sars-CoV-2 zu untersuchen. Warum ist das wichtig?

Wir haben zwar eine allgemeine Vorstellung von der Entstehung der Pandemie, aber es fehlen Details. Der Huanan-Markt in Wuhan hat wohl eine wichtige Rolle gespielt, aber vielleicht kursierte das Virus schon Wochen oder Monate vorher. Womöglich stammt es sogar aus einem Nachbarland wie Laos oder Myanmar. Für das gezielte Verhindern künftiger Epidemien kann dieses Wissen wichtig sein. So etwas herauszufinden ist aber nicht einfach und dauert oft lange.

Wie gehen Sie vor?

Wir arbeiten mit erfahrenen chinesischen Kollegen zusammen und versuchen, jegliche Spuren von dem Markt aus zurückzuverfolgen, beispielsweise Handelsrouten und Hinweise auf frühere kleine Ausbrüche.

Rechnen Sie mit Problemen bei der Datensammlung?

Keine Regierung ist scharf darauf, sich in so einer Angelegenheit vom Rest der Welt Vorwürfe machen zu lassen. Es ist natürlich politisch sehr aufgeladen, aber ich glaube nicht, dass es Zensur geben wird. Dafür gibt es auch zu viel öffentliches Interesse, und langfristig würde das China auch gar nicht nutzen.

Aber hätte man nicht schon viel früher beginnen müssen?

Von Januar bis April hatte China selbst mit einem starken Ausbruch zu kämpfen. Seitdem waren dort und in den meisten Ländern alle Wissenschaftler damit beschäftigt, die Pandemie zu kontrollieren. Der WHO-Auftrag wurde im Frühsommer erteilt, und es gab bereits eine Phase der Zusammenarbeit per Telefonkonferenz. Wir sind erst jetzt richtig bereit, vor Ort mit der detaillierten Arbeit zu beginnen.

Diese Woche wurde die Reise jedoch zum wiederholten Mal verschoben, als zwei der zehn Experten sogar schon unterwegs waren. Die offizielle Begründung aus Peking klang etwas hohl, der WHO-Direktor gab sich sehr enttäuscht.

Vergessen Sie nicht, dass alle derartigen Untersuchungen im Nachhinein erfolgen. Sie können erst beginnen, wenn Fälle identifiziert sind. Und das sind in der Regel nicht die Menschen, die die Krankheit tatsächlich als Erstes hatten. Selbst ein gutes Jahr später können wir noch viel untersuchen, zum Beispiel archivierte Proben aus Krankenhäusern oder Aufzeichnungen über den Tierhandel.

Was ist denn der aktuelle Kenntnisstand?

Die nächsten Verwandten des Virus wurden bei Fledermäusen nachgewiesen. Ein anderes infiziertes Tier wie Pangolin, Nerz, Schleichkatze oder auch ein Mensch könnte die Verbindung zum Markt gewesen sein. Dass es direkt von Fledermäusen übersprang, ist unwahrscheinlich, weil sie dort nicht oder selten verkauft wurden. Es gibt wie bei jeder Epidemie auch Mutmaßungen, das Virus sei einem Labor entfleucht, das halte ich für sehr fragwürdig. Aber wir werden im Sinne der Wahrheit jeglichen Indizien folgen und alles veröffentlichen.

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