Schwedens Versäumnisse in Coronapandemie: Zu spät, zu lasch, zu unentschieden

Ein Untersuchungsbericht kritisiert die Strategie der schwedischen Regierung in der Pandemie. Alte Menschen seien unzureichend geschützt worden.

Eine alte Frau mit Stock läuft durch die Altstadt von Stockholm

Kritik an der Coronastrategie der schwedischen Regierung: zu wenig Schutz für ältere Menschen Foto: Amir Nabizadeh/reuters

STOCKHOLM taz | Mit der Strategie zum Schutz der älteren Bevölkerung sei Schweden gescheitert und viele der inzwischen getroffenen Maßnahmen seien zu spät gekommen – so lässt sich der erste Teilbericht einer Untersuchungskommission zum Umgang des Landes mit der Corona-Epidemie zusammenfassen, der am Dienstag in Stockholm präsentiert wurde.

7.667 Coronatote meldete Schwedens Gesundheitsbehörde am Dienstag. Rund 90 Prozent waren älter als 70 Jahre und mehr als drei Viertel von ihnen lebten in Alten- und Pflegeeinrichtungen. Mit dieser Personengruppe, bei der die Sterblichkeitsrate jedenfalls bis zum Spätsommer besonders stark über der in vielen anderen europäischen Ländern lag, befasste sich der jetzige Bericht der von der Regierung eingesetzten Kommission.

Die AutorInnen des 318 Seiten langen Berichts sehen Gründe für das schwedische Scheitern auf mehreren Ebenen. Die meisten davon seien seit Jahren durchaus bekannt gewesen, weshalb letztendlich sowohl die jetzige als auch früheren Regierungen dafür die Verantwortung trügen.

Im Zentrum stehe dabei die Situation in den Alten- und Pflegeeinrichtungen selbst. Sowohl in öffentlicher als auch privater Verantwortung habe es bei diesen große Mängel bei der Anzahl des Personals, Kompetenz und der Versorgung mit Hilfsmitteln gegeben. 40 Prozent aller der in diesem Sektor Beschäftigten würden nicht über die erforderliche Ausbildung verfügen, über 25 Prozent seien Teilzeitkräfte. In keinem anderen skandinavischen Land sei das Ausbildungsniveau und zugleich die Zahl des Personals so niedrig wie in Schweden.

Problematische Aufteilung im Gesundheitswesen

Obwohl das Land ausgesprochen schlecht auf eine Krisensituation vorbereitet war, habe man den Kommunen den Umgang mit der Pandemie im Wesentlichen allein überlassen. Es habe nur allgemeine Richtlinien gegeben, wie wichtig der Schutz gerade dieser Bevölkerungsgruppe sei. Dabei wären klare Anweisungen angebracht gewesen. Wichtige Kanäle zwischen den zentralen Gesundheitsbehörden und den Kommunen hätten aber gefehlt.

Ein anderes strukturelles Problem sei, dass in Schweden die 290 Kommunen für die Altenvorsorge zuständig sind, für die medizinische Versorgung aber die 21 Regionen des Landes. Den Kommunen ist sogar verboten, selbst medizinisches Personal anzustellen.

„In keinem unserer Nachbarländer gibt es eine solche Aufteilung“, konstatiert die Kommission und schildert eine Konsequenz: Das medizinische Personal in den Alteneinrichtungen sei zu langsam verstärkt worden. Krankenschwestern seien auch nach Ausbruch der Pandemie nur zu den „normalen“ Dienstzeiten anwesend gewesen, in vielen Einrichtungen sei deshalb nachts und an Wochenenden überhaupt kein medizinisches Personal erreichbar gewesen. Eine Verlegung von akut erkrankten CoronapatientInnen in Krankenhäuser sei deshalb oft verspätet oder gar nicht erfolgt.

„Jahrzehntelange Versäumnisse“

Das Resultat: Erforderliche Maßnahmen zum Schutz der Menschen in diesen Einrichtungen seien zu oft unterblieben. Zwar habe sich zwischenzeitlich einiges verbessert, so dass Schweden bei der 14-Tage-Inzidenz der Todeszahlen nun niedriger liege als viele Länder, betont die Kommission, aber grundsätzliche Probleme müssten gelöst werden.

Sozialministerin Anna Hallengren machte „jahrzehntelange Versäumnisse“ für Schwedens Misslingen verantwortlich. Man wolle nun sofort sicherstellen, dass den Einrichtungen rund um die Uhr Zugang zu ärztlicher Versorgung gesichert werde. Ministerpräsident Stefan Lövfen kündigte ohne auf Einzelheiten einzugehen an, „natürlich wird es Konsequenzen geben“, und der konservative Oppositionsführer Ulf Kristersson sagte: „Ich übernehme im Namen meiner Partei Verantwortung für das, was seit den 1990er Jahren gemacht oder nicht gemacht worden sei.“

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