Geflüchtete in Bosnien und Herzegowina: Der Kälte schutzlos ausgeliefert

Auch Wochen nach dem Brand im Lager Lipa verharren Hunderte Menschen in notdürftigen Zelten. Jetzt droht eine Kältewelle.

Ein Geflüchteter füllt im verschneiten und abgebrannten Lager in Lipa an einem Brunnen Wasser in Plastikflschen

Nach wie vor gibt es keine Wasserversorgung im abgebrannten Lager Lipa – jetzt droht eine Kältewelle Foto: Kemal Softic/ap

Im Nordwesten Bosnien und Herzegowinas fällt der Schnee. In ein paar Tagen soll eine extreme Kältewelle das Land heimsuchen, das Thermometer soll dann unter die Minus-20-Grad-Celsius-Marke fallen. Die meisten der auf mehrere Tausend geschätzten Flüchtlinge, die auf ihrem Weg in die Europäische Union in Bosnien und Herzegowina gestrandet sind, werden diesen Temperaturen schutzlos ausgeliefert sein. Auch über drei Wochen nach dem Brand im Lager Lipa bleibt die Situation für die Menschen aussichtslos.

Zwar hat die Armee des Landes in dem Ende Dezember zerstörten Lager Zelte aufgestellt, die leidlich beheizt werden können. Sie bieten den 750 Menschen, die ins Lager Lipa zurückgekehrt sind und dort der Kälte trotzen, immerhin etwas Schutz. Auch Essen wird verteilt. Doch nach wie vor gibt es keine Wasserversorgung, wie die Internationale Organisation für Migration (IOM) sie schon seit Errichtung des Lagers im Mai diesen Jahres fordert.

Das Ziel der Menschen ist das Europa der Europäischen Union. Als am Mittwoch wieder eine Delegation aus EU-Diplomaten das Lager Lipa besuchte, forderten sie größere Anstrengungen der bosnischen Seite, mit der Situation fertig zu werden.

Josep Borell, der Außenbeauftragte der EU, versuchte sogar den serbischen Nationalistenführer Milorad Dodik zu überzeugen, Migranten auch in dem serbisch dominierten Teilstaat unterzubringen und nicht nur in die muslimisch-bosniakischen Gebiete abzuschieben. Doch er erreichte nichts.

„Überall ist Müll und Schlamm“

Auch die EU bewegt sich nicht. Vor allem CDU- und CSU-Politiker wie Unionsfraktionsvize Thorsten Frei treten bei einer internationalen Lösung auf die Bremse: Die Probleme sollten vor Ort gelöst werden. Der bosnische Staat ist mit dieser Situation jedoch heillos überfordert. Das Finanzministerium weist Berichte zurück, wonach die EU in den letzten Jahren 80 Millionen Euro für Migranten bereitgestellt habe.

Was der zerrüttete bosnische Staat nicht lösen kann, versuchen freiwillige Helfer aus Deutschland und anderen Ländern vor Ort aufzufangen – etwa der Arzt und Professor für Sozialmedizin Gerhard Trabert, der sich vor allem um die außerhalb des Lagers Lipa befindlichen Menschen kümmert.

Dort würden circa 110 Menschen hausen, die meist aus Pakistan kommen, schrieb Trabert auf Facebook. „Überall ist Müll und Schlamm, Rauchschwaden ziehen von den offenen Feuerstellen durch dieses fragile Gebäude.“ In der Ruine eines Altersheims in Bihać behandelt er mit einem fünfköpfigen Team aus freiwilligen Helfern die zahlreichen Patienten.

„Wir behandeln Hauterkrankungen, Pilzerkrankungen und Wunden, teilweise schwer infiziert und vereitert. Viele Menschen kommen mit Erkrankungen der oberen Atemwege, Harnwegsinfekten, Bluthochdruck, Magenbeschwerden und Zahnschmerzen zu uns“, erzählt Trabert. Einige von ihnen würden schon Jahre hier leben – „in dieser Hölle und dies mitten in Europa“.

Auch Menschen in Bihać helfen

Engagiert ist auch Axel Grafmanns von einer Hilfsorganisation aus Berlin-Brandenburg, der sich seit Tagen in der Region aufhält und vor allem mit dem Roten Kreuz in Bihać zusammenarbeitet. „Wir kaufen Lebensmittel und Kleidung in Bihać ein, denn wir wollen ja auch die Stadt unterstützen“, sagte Grefmanns der taz.

Die Spendenbereitschaft in der Region Berlin-Brandenburg sei erstaunlich hoch, freut sich seine Kollegin Miriam Tödter. Vielen Menschen sei vor der Brandkatastrophe nicht klar gewesen, welche Tragödie sich seit Langem in Bosnien abspielt.

Vehement widerspricht Axel Grefmanns Presseberichten, wonach die Bevölkerung der Region die Geflüchteten unisono ablehne. „Es gibt viele Leute in Bihać, die helfen. Viele Bürger zeigten Empathie mit den Menschen, die jetzt unter erbärmlichen Umständen leben müssen.“ Jetzt starten auch die Hilfsorganisationen Help, Action Medeor und NAK-karitativ eine gemeinsame Winterhilfe und verteilen warme und regenfeste Stiefel, Schlafsäcke, Hygienepakete und Salben gegen Hautkrankheiten.

Es sei höchste Zeit, dass die Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen und das Flüchtlingsrecht angewendet werden, fordert Karin Settele, Geschäftsführerin von Help. „Die Menschen haben ein Anrecht darauf, dass ihr Asylgesuch geprüft wird“, fordert sie von der EU.

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