Roman „Asche ist furchtlos“: Ein staunender Außenseiter

Wo sich Clint Lukas auf eigene Erfahrungen im Nachtleben stützt, überzeugt sein Roman „Asche ist furchtlos“. Seine Frauenfiguren tun es weniger.

Umrisse von Menschen in einem Club, buntes Licht.

Der Autor war laut Kurzvita „jahrelang als Grenzgänger im Berliner Nachtleben aktiv“ Foto: Sophia Kembowski/dpa

Er sei bekannt dafür, nichts erfinden zu können, sagt der Autor Clint Lukas über sich selbst. Nur über Dinge, die er selbst erlebt habe, könne er schreiben. Dagegen ist nichts zu sagen. Hält man sich an Marcel Reich-Ranicki, sind es nur die Dilettanten, die erfinden. Echte Autoren dagegen finden.

In seinem neuen Roman „Asche ist furchtlos“, der in dem Indieverlag Periplaneta erscheint, schreibt der 35-Jährige dann allerdings doch über Dinge, die ihm nicht passiert sind, ihm nicht passiert sein können. Das tödliche Shoot-out rivalisierender Berliner Drogenbanden zum Beispiel, in dem sein Ich-Erzähler zwischen die Fronten gerät, hat es gar nicht gegeben. Lukas hat dabei schon Recht: Das Erfinden liegt ihm nicht. Gelungener ist sein Gefundenes, sind die autobiografischen Passagen, die den wesentlichen Teil der ersten Hälfte seines Romans ausmachen, und die vibrieren vor Schlagkraft und Tempo.

Lukas war „jahrelang als Grenzgänger im Berliner Nachtleben aktiv“, heißt es in der Kurzvita, die dem Roman beigefügt ist, ein Hinweis, der eher das Schlimmste befürchten lässt: Nicht noch ein ödes Hedonistentagebuch.

Perspektive eines Schüchternen

Aber Lukas umschifft so einige Klischeeklippen mit der Entscheidung, die Nachtlebeninitiation seines Alter Egos nachzuzeichnen, also aus der Perspektive eines Unbedarften zu erzählen, eines Schüchternen, eines Scheuen und Verkrampften, der noch nicht abgeklärt ist, der sich noch nicht auskennt, der das Halluzinogen DMT „TNT“ nennt, der nach dem Ziehen niest und Pulver vom Spiegel pustet, der auch nicht cool genug ist, um ohne Hilfe an Türstehern vorbeizukommen, der auf attraktive, mysteriöse Frauen angewiesen ist, die ihn an die Hand nehmen und an den Bouncern vorbeilotsen, denn aus irgendeinem Grund wollen sie alle unbedingt mit ihm feiern oder schlafen.

Jonas, so der Name des Ich-Erzählers, ist ein staunender Außenseiter, der das nächtliche Treiben mehr beobachtet als an ihm teilnimmt.

Clint Lukas: „Asche ist furchtlos“, Periplaneta, Berlin 2020, 256 Seiten, 20 Euro

Das ändert sich mit Nora, einer Frau von „unerträglicher Schönheit“. Nora ist eine Frau, wie es sie wohl nur in Büchern von Männern gibt: eine majestätische Erscheinung, ein romantisches Ideal, ein Engel ohne Eigenschaften, eine frauförmige Projektionsfläche. Sie ist Dealerin und sie zieht Jonas in die Scheiße. Denn natürlich, so will es die zwingende Konstruktion des Romans, fühlt sich dieses majestätische Wesen zum Normie-Erzähler hingezogen, verführt ihn, schläft mit ihm, lässt ihn letztlich sehnsüchtig und liebeskrank und mit ihrer gemeinsamen Tochter zurück.

Zu feenhaft, zu entrückt, zu unergründlich ist Nora, als dass sie eine berührende Figur sein könnte. Nun könnte man zu Lukas’ Verteidigung sagen, dass ihre Rolle als wandelnde Männerfantasie notwendig ist, weil der Erzähler eben Jonas selbst ist, der Nora nun einmal derartig idealisiert und nicht anders von ihr erzählen würde. Figurenrede aber hin oder her, nahezu auf Romanlänge ist sie von einem allzu bekannten, männlich-romantisch-berauschten Erzähler schwer zu unterscheiden.

Das klägliche Bild eines Vaters

Dass Lukas die Verklärungsarbeit seines Protagonisten als solche meint, zeigt die knappe Rahmenhandlung, in die Jonas’ langer Monolog eingebettet ist. In dieser ist Jonas’ Tochter, an dem Punkt ein Teenager, die Ich-Erzählerin, und sie beschreibt das klägliche Bild, das ihr Vater viele Jahre nach dem erzählten Erlebten abgibt.

Nach Noras abruptem Abschied kommt Jonas nicht von ihr los, er muss sie finden, er will sie begreifen, und so entwickelt sich die Geschichte zu einer Odyssee durch die Berliner Unterwelt, zu einem Gangsterthriller mit einer verlässlich konfuser werdenden Handlung. Die Stärken der ersten Hälfte werden hier deutlich. Denn in dieser hat Lukas die Topografie des Kreuzberger Nachtlebens noch glaubhaft und stimmungsvoll heraufbeschworen.

In der zweiten Hälfte, der Gangsterthriller-Schnitzeljagd-Hälfte, dominiert der Plot, und man hört einem immer größer werdenden Unterweltensemble nur noch beim Reden und Pläneschmieden zu, verliert den Überblick und das Interesse, oder besser: verliert das Interesse daran, den Überblick zu behalten, bis die Erzählung letztlich in einem Shoot-out eskaliert, einem sehr erfunden wirkenden Actionfinale.

Die Richtung, die Lukas einschlägt, ist so schade, weil es in dem Roman reizvolle Elemente gibt, die eine ausführlichere Betrachtung verdient hätten. Ciri, die Tochter von Jonas und Nora, bleibt beispielsweise ein Schatten von einer Figur, ein kleines Mädchen, das wenig mehr tut als zu existieren, dem keinerlei Persönlichkeit zugestanden wird.

Dabei wäre gerade diese Vater-Tochter-Beziehung, zumal ihre zentrale Bedeutung für die Konstruktion des Romans offensichtlich ist, eine wahnsinnig interessante gewesen, und übrigens eine, bei der Lukas aus dem eigenen Leben hätte schöpfen können: Das Spannungsfeld aus Vatersein und Nachtleben ist Thema seiner Kolumnen, die er unter anderem im Tagesspiegel veröffentlicht hat. Und ­schreiben über Dinge, die er erlebt hat, das kann er doch.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.