News-Algorithmus bei Facebook: Neue Nachrichtendiät

Facebook entwickelt ein Tool, das journalistische Beiträge zusammenfassen soll. Das bereits nutzlose Überangebot wird weiter vorgekaut.

Eine Person steht vor einer Mauer am Facebook-Campus. Das Wandgemälde zeigt einen Facebook-Pullover, der am Reißverschluss aufgezogen wird. Darunter ist Technik zu sehen

Content, Content, Content ist das Geschäftsmodell bei Facebook Foto: Jeff Chiu

Eine Flut an Nachrichten ist das Grundrauschen digitaler Kommunikation, die Texte und Bilder am Fließband produziert und konsumiert. Wer will schon zurückbleiben, nicht Bescheid wissen, die neueste Nuance der zeitlupenhaften Apokalypse verpassen? Der „Doomscrolling“ getaufte exzessive Nachrichtenkonsum in Zeiten der Krise kann dabei durchaus effizienter werden. Die Entscheidung, welchem journalistischen Produkt ein Anteil an der kostbaren Aufmerksamkeit der Leser*in zuteil wird, ist schließlich keine leichte. Überschriften, Teaser, den ersten Absatz vielleicht lesen, und dann? Lesedauer: 4 Minuten. Oder weniger, wenn es nach Facebook geht.

Auf dem Jahresendmeeting des Netzwerks wurde bekanntgegeben, dass ein Algorithmus ausgerollt werden soll, der journalistische Beiträge zusammenfassen kann. Die wichtigsten Stichpunkte auf ein paar Zeilen, mundgerecht im Facebook-Feed. Der Arbeitstitel des Werkzeugs ist das gängige Netzakronym TLDR, „too long, didn’t read“ (etwa „zu lang, nicht gelesen“).

Software ist schon längst entwickelt genug, Textsorten hinreichend gut zu erkennen. Signalworte, Inhalt und Intentionen daraus zu destillieren, ist kein großes Kunststück. Angesichts der relativ harten Konventionen, nach denen vor allem Nachrichtenstücke konstruiert sind, darf davon ausgegangen werden, dass sich das Ergebnis technisch wird sehen lassen können. Und ob der Wegfall schmückenden Beiwerks, der Phrasen, Füllwörter und Eitelkeiten der Autor*innen so ein großer Verlust sein würde, kann getrost bezweifelt werden. Ganz auf Seiten des vermuteten Bedarfs der Leser*in wird also optimiert.

Der Überfluss an Informationen bei begrenzten Ressourcen zu ihrer Verarbeitung ist kein neues Problem. Die zunehmende Unfähigkeit der qualitativen Bewertung und Gewichtung ist auch kein dem Netz exklusives Defizit, durch die Funktionsweise der großen Plattformmonopolisten aber wird es massiv verstärkt. Die müssen als überlebensnotwendiges Prinzip die Aufmerksamkeit des Publikums mit Content, Content, Content fesseln.

Bombardement der Banalitäten

Das permanente Bombardement der Banalitäten, dieser quietschbunte Selbstbedienungsladen voller – als gleichwertig dargestellter – Snippets völlig unterschiedlicher Qualitäten ist nie dazu dagewesen, Menschen zu informieren. Ihre Reaktionen, Likes und Klicks sind es, aus denen ein riesiges Soziogramm erstellt wird, das mit ein bisschen Marketingvodoo als Stein der Weisen der Werbewirtschaft teuer verkäuflich ist. Ein völlig aufgeblähtes, sich immer wieder selbst bestätigendes Milliardengeschäft ist so entstanden.

Dass Information und ihre Einordnung dabei in immer knapperen Bulletpoints präsentiert werden, hat natürlich eine zunehmend aggressive Marktschreierei zur Folge. Diskurs als Austausch von Zitatkacheln im Corporate Design. Und selbst deren Nutzen soll nun mittels TLDR reduziert werden. Links auf eure Artikel? Pustekuchen.

Facebook wird nicht einmal mehr zitieren müssen, und mit seinen Exzerpten nebenbei dem endlosen Urheberrechtsstreit mit den Verlagen eine nette neue Wendung geben. Viel faszinierender jedoch ist, dass keine noch so minimale menschliche kuratorische Leistung mehr hinter der Nachrichtendiät stehen würde, nur der neutrale, alles durchdringende Algorithmus. Vor dem sind alle gleich – und genau deshalb sehr unterschiedlich.

Das durchdachte Argument hatte es nie leicht

Das durchdachte, vielleicht sogar noch zweifelnd vorgetragene Argument hatte es gegen populistische Verkürzungen noch nie besonders leicht, auch nicht in traditionellen Medien, denn die haben ihre Einnahmen nicht mit dem Verkauf kluger Essays, sondern mit teuren Werbeplätzen verdient. Die Chance für im positiven Sinne abseitige Inhalte, überhaupt durchzudringen, stieg einen historischen Wimpernschlag lang mit dem Beginn des Internets, selbst moderierten Diskussionsgruppen, Blogs und dergleichen. Mit dem kometenhaften Aufstieg der großen Plattformen wurden sie aber unter einem riesigen Berg algorithmisch vorgekosteten Mists, frei Haus geliefert nicht zuletzt von Zeitungen, begraben.

Diesem völlig nutzlosen Überangebot nun wiederum mit technologischen Mitteln Herr werden zu wollen, lässt sich nicht einmal mehr als naiv beschreiben. Es ist die willentliche Ablenkung davon, wie sehr Facebook Teil des Problems ist. Der nächste Layer im Grundrauschen, das uns vor den Bildschirmen hält, soll also die automatische Zusammenfassung von Nachrichtenartikeln sein? Der übernächste wird dann wohl sinnvollerweise die vollautomatisierte Erstellung derselben.

TLDR: Kapitalismus macht absichtlich dumm. Facebook verdient unter Ausnutzung und Verstärkung dieses Umstands eine Menge Geld.

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