HBO-Thrillerserie „Wasteland“: Das ganz normale Böse

Wenn ein Dorf am Ende ist: Die Serie „Wasteland“ ist herausragend. Sie bietet das ganz große Drama um menschliche Niedertracht.

Ein Mann und eine Frau schauen besorgt, Szene aus "Wasteland"

Suchen ihre Tochter: Hanka (Zuzana Stivinová) und ihr Exmann Karel (Jaroslaw Dušek) Foto: MDR/HBO

Es ist kein schönes Leben mehr im kleinen Ort Pustina (zu Deutsch „Wüste“) im tschechisch-polnischen Grenzgebiet. Die Region ist von Arbeitslosigkeit gebeutelt, Abhilfe scheint nur ein Großinvestor schaffen zu können, der den örtlichen Braunkohletagebau massiv ausbauen will. Dafür soll das Dorf weichen.

Den Bewohnern sind attraktive Entschädigungen für ihre Häuser angeboten worden, und die meisten sind geneigt, das Angebot anzunehmen. Bürgermeisterin Hanka Sikorová (Zuzana Stivínová) allerdings stemmt sich gegen die Pläne. Die Stimmung im Ort ist gereizt.

Da beginnen Dinge zu geschehen, die die Politik vorübergehend in den Hintergrund rücken lassen: Zunächst wird ein Esel, der zu Hankas Kindergarten gehörte, grausam getötet. Kurz danach verschwindet Hankas 14-jährige Tochter Míša auf dem Weg von der Schule nach Hause. In Verdacht gerät auch ihr Vater Karel (Jaroslav Dušek), ein ehemaliger Kunstlehrer mit psychotischen Schüben, der seine Arbeit sowie den Kontakt zur Familie verloren hat und in einer Datsche im Wald lebt.

Seine erste Szene zeigt ihn bei einem aggressiven Geschlechtsakt mit einer Prostituierten. Später kann er sich an nichts erinnern. Aber Karel Sikora ist nicht der einzige männliche Bewohner von Pustina mit einem Kon­troll­problem. Je genauer man die Personen von Folge zu Folge kennenlernt, desto deutlicher wird, dass kaum jemand das ist, was er auf den ersten Blick zu sein scheint.

Noch bis zum 11. 12. (Folge 1 und 2) bzw. 14. 12. (Folge 7 und 8) in der ARD-Mediathek

Der unscheinbare Fahrer des Schulbusses etwa ist in Wirklichkeit ein brutaler Schlägertyp, und der nette Freund von Klára (Eliška Křenková), der Schwester der verschwundenen Míša, kocht heimlich Drogen. („Das tut hier doch jeder“, rechtfertigt er sich lahm, als es irgendwann herauskommt.) „Wird es jetzt immer so sein?“, fragt Klára ihre Mutter verzweifelt. „Dass wir niemandem mehr trauen können?“

Wüstenähnliche Kulisse

Als zweiter großer Schauplatz neben dem Dorf fungiert ein Heim für Schwererziehbare, das in einem heruntergekommenen Renaissance-Schlösschen untergebracht ist. Das einst prachtvolle Gebäude, einsam auf einem Hügel vor der wüstenähnlichen Kulisse des Braunkohletagebaus gelegen, gibt eine grandiose visuelle Chiffre für die kulturpessimistische Grundierung des Ganzen ab.

Von seinen jugendlichen, sämtlich männlichen Bewohnern sind manche hier, weil ihre Eltern nicht mit ihnen fertig wurden, andere deshalb, weil sie zu jung für den Knast sind. Bei vielen, darunter auch Filip, dem heimlichen Ex-Freund von Míša, kann es beides sein.

Die Kriminalhandlung treibt das Geschehen voran, macht aus dem fesselnden Achtteiler aber noch lange keinen „Krimi“ – und aus dem Kommissar keinen Helden. Der Hauptmann, wie der Ermittler hier heißt, ist eine Nebenfigur, ein uncharismatischer Durchschnittstyp, der seinen Job macht, und der Pathologe ist ein bleicher Kellermolch in Badelatschen. Verbrechen machen diese Leute traurig, Profilneurosen liegen ihnen fern.

Niemand ist völlig schuldlos

Wahrscheinlich wissen sie längst, was auch wir spätestens nach dieser Serie einsehen müssen: dass es oft wenig Sinn ergibt, zwischen guten und schlechten Menschen zu unterscheiden, weil Menschen kaum jemals völlig schuldlos sind. Sogar zum Mörder werden könnte ein „guter“ Mensch im Affekt. (Aber das passiert hier zum Glück dann doch nicht. Dafür wird unter anderem gezeigt, wie jemand gleichzeitig ein gewalttätiger Narziss und ein Held sein kann.)

„Wasteland – Verlorenes Land“ bietet jedenfalls ganz großes Drama um die ganz normale menschliche Selbstbezogenheit, die zu zerstörerischer Niedertracht – und Schlimmerem – ausarten kann. Und dabei ist es auch noch großartig anzusehen. Eine sorgfältige Ästhetik setzt Schauplätze und Menschen bedeutungsvoll in Szene, oft aus einer distanzierten, gern auch mal abseitigen Position der Kamera heraus, was die Bilder gleichzeitig erhöht und dezent verfremdet. So lässt sich auch das Böse viel besser aushalten.

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