Sachsen-Anhalt
:

Magdeburger Lösung: Teurer als 86 Cent

Reiner Haseloff hat verhindert, dass in Sachsen-Anhalt über eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags abgestimmt wird. Doch seine Macht ist jetzt schon brüchig.

Für sie geht ein Adventswunsch in Erfüllung: Mitglieder der CDU-Fraktion in Magdeburg Foto: dpa

Aus Leipzig und Berlin Sarah Ulrich undStefan Reinecke

Fast hatte es so ausgesehen, als würde die Regierungskoalition in Sachsen-Anhalt an einem Cent­betrag scheitern, CDU-Mi­nis­ter­präsident Reiner Haseloff hat den Bruch nun vorerst abgewendet. Er verkündete am Dienstag in der Kabinettssitzung, dass er die geplante Abstimmung zur Zustimmung zum Staatsvertrag für die Anhebung des Rundfunkbeitrages zurückziehe. Zuvor hatte sich die CDU knapp einen Monat in der Frage intern zerlegt und mit ihren Koalitions­part­ner:in­nen von Grünen und SPD gerungen. Denn bei den Rundfunkbeiträgen hätte die CDU-Fraktion ansonsten wohl mit der AfD gestimmt. Unterdessen kann die Koalition in Sachsen-Anhalt auch nur weiterregieren, weil die Regierungs­part­ner:in­nen von SPD und Grünen nach eigenen Angaben einen Bruch zu Pandemie­zeiten verhindern wollen.

Schon lange ging es in Sachsen-Anhalt nicht mehr um den Anstieg der Rundfunkbeiträge um 86 Cent. In Magdeburg war in den vergangenen Wochen zu beobachten, wie die Kenia-Koalition langsam aber sicher auf eine Regierungskrise zusteuerte – nur sieben Monate vor der Landtagswahl und inmitten der Coronapandemie. Um zu verhindern, dass die CDU in die Lage kommt, gemeinsam mit der AfD gegen den Rundfunkbeitrag zu stimmen, handelte Haseloff nun im Alleingang.

Eigentlich wäre das Grund genug, den Koalitionsvertrag aufzukündigen. Grünen-Vorsitzende Cornelia Lüddemann zeigte sich empört über den Ausgang und sieht darin ein Zeichen für Regierungsunfähigkeit. „Das ist ein klarer Ausdruck des desaströsen Zustands der CDU“, sagte Lüddemann der taz. „Die internen Machtkämpfe haben hier total durchgeschlagen.“ Dennoch kündigte sie zähneknirschend an, die Koalition nicht zu Bruch gehen zu lassen.„Man darf dieser regierungsunfähigen CDU nicht das Land überlassen“, so Lüddemann.

Die SPD hält sich mit scharfer Kritik an der CDU zurück. „Wir hätten den Staatsvertrag mit der CDU gerne beschlossen. Das ist kein guter Tag für die Medienpolitik in Deutschland“, sagte Katja Pähle, SPD-Fraktionschefin in Magdeburg. Die SPD kritisiert, dass Sachsen-Anhalt nun den Staatsvertrag blockiert, die Landes-CDU aber habe ihr politisches Ziel erreicht: Es gibt keine gemeinsame Abstimmung im Landtag von CDU und AfD. Andererseits zerbreche die Kenia-Koalition nicht inmitten der Pandemie. „Haseloff hat gesehen, wie unverrückbar die Positionen von CDU, SPD und Grünen sind. Und er wollte, dass die Koalition zusammenbleibt. Deshalb hat er so entschieden. Wir nehmen das zur Kenntnis“, so Pähle zur taz.

Damit hat man, so sehen es die Sozialdemokraten, vermieden, sich direkt von Haseloff vereinnahmen zu lassen. Der Ministerpräsident hatte Anfang letzter Woche vorgeschlagen, dass die Kenia-Fraktionen im Landtag wegen der Pandemiekosten den Staatsvertrag von der Tagesordnung nehmen und Nachverhandlungen mit den anderen Bundesländern anstreben sollten – die allerdings keines der 15 anderen Länder will. Damit wäre die SPD direkt daran beteiligt gewesen, den Staatsvertrag zu versenken. „Das ist“, so Pähle mit Blick auf die Entscheidung Haseloffs, „schon ein deutlich anderes Verfahren.“ Das Ergebnis ist indes das Gleiche: Der Staatsvertrag ist vom Tisch. Nur der Weg dorthin sieht für die SPD etwas weniger hässlich aus.

Die Linksfraktion macht hinter den Deal zwei Fragezeichen. Das Verfahren, so Fraktionsvize Stefan Gebhardt, „sagt viel über das Demokratieverständnis der Kenia-Koalition aus. Der Staatsvertrag wurde durch die Hintertür gekillt.“ Außerdem bezweifelt die Linksfraktion, dass der Ministerpräsident das Recht hat, den Staatsvertrag zurückzuziehen, den die Koalition eingebracht hatte. Die Linksfraktion lässt nun vom Wissenschaftlichen Dienst des Landtags prüfen, ob auch das Kabinett den Staatsvertrag aus dem parlamentarischen Verfahren zurückziehen müsste. Dann aber müssten auch die Mi­nis­ter:in­nen von SPD und Grünen an der Beerdigung des Staatsvertrags aktiv mitwirken – und könnten nicht nur zur Kenntnis nehmen, was Haseloff tut. Linken-Fraktionsvize Geb­hardt weist zudem auf eine drohende Gefahr für Sachsen-Anhalt hin.

Die Regierungen des Saarlands, Bremens und Hessens prüfen wegen des 86-Cent-Vetos eine Klage – auch Medienhäuser wie der MDR haben dies bereits angekündigt.

„Das ist ein klarer Ausdruck des de­sas­trösen Zustands der CDU. Die internen Machtkämpfe haben hier total durchgeschlagen“

Cornelia Lüddemann, Grünen-Vorsitzende

Für Markus Kurze, den parlamentarischen Geschäftsführer und medienpolitischen Sprecher der CDU Sachsen-Anhalt, ist die Entscheidung Haseloffs eine „vernünftige Lösung“. Man habe unter Beweis gestellt, dass es eine „stabile Regierung“ gebe.

Profiteur des politischen Kammerspiel von Sachsen-Anhalt könnte langfristig die AfD sein. Ministerpräsident Haseloff verfolgt seit jeher den Kurs, keine Zusammenarbeit mit der AfD zuzulassen. Diese Einstellung teilen jedoch nicht alle in seiner Partei. Erst vergangenen Freitag entließ Haseloff den Innenminister Holger Stahlknecht (CDU), weil dieser sich in einem Interview für eine Minderheitsregierung der CDU ausgesprochen hatte. Eine Option, die zwangsläufig auf eine Zusammenarbeit mit der AfD hinausgelaufen wäre.

Während die Koalition sich über eine notwendige Abgrenzung zu den Rechten zerstreitet, wittert die AfD Stimmenzuwachs bei der kommenden Landtagswahl am 6. Juni. Der Fraktionsvorsitzende Oliver Kirchner kritisierte die Politik der CDU und sagte der taz, er glaube, die AfD werde „gestärkt aus der Debatte herausgehen“.

Schon jetzt zeigen die Umfragewerte in Sachsen-Anhalt für die Rechten nach oben, während die Zustimmung bei der CDU immer weiter sinkt. Neueste Zahlen von Anfang Dezember trennten die beiden Parteien lediglich sechs Prozentpunkte. Prozentpunkte, die für eine Landtagswahl entscheidend sein könnten.