Coronaprovokateure im Bundestag: „Ein absoluter Tabubruch“

Die AfD hat Störer in den Bundestag eingeschleust, die Abgeordnete bedrängt haben. Das Parlament prüft nun rechtliche Schritte – auch gegen Parlamentarier.

Die Fraktion der AfD im Bundestag. Sie sitzen auf ihren Stühlen und schauen böse. wegen Corona sind Plätze zwischen den Abgeordneten frei. Die haben sie mit Bändern geschmückt, als wären sie Teil einer Trauergemeinde.

Stört: die AfD-Fraktion Foto: Michael Kappeler/dpa

BERLIN taz | Die Störer bedrängten Abgeordnete im Bundestag, filmten und beschimpften sie – als Gäste von AfD-Politikern. Was am Mittwoch im Reichstagsgebäude geschah, hat nun ein Nachspiel. Im Ältestenrat des Parlaments drängten die Vertreter aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD darauf, alle Sanktionsmöglichkeiten zu prüfen.

Es sei eine „sehr intensive Aussprache“ gewesen, sagte im Anschluss die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann. Die Vorfälle im Reichstag seien ein „absoluter Tabubruch“ gewesen, der nicht hinnehmbar sei. Auch ihr Kollege von der Linkspartei, Jan Korte, sprach von einem einmaligen Vorgang. „Das muss Konsequenzen haben. Und das wird auch Konsequenzen haben.“ Haßelmann forderte, dass auch Sanktionen gegen Abgeordnete geprüft würden, die dafür verantwortlich seien. Sie gehe von einer „konzertierten Aktion“ aus.

Nach taz-Informationen hatten die Parlamentarischen Geschäftsführer aller Fraktionen, außer der AfD, Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) zu einer harten Reaktion gedrängt. Das ist ungewöhnlich: Normalerweise handelt das Gremium eher zurückhaltend. Die FDP-Fraktion prüft zudem eine Strafanzeige gegen die drei AfD-Abgeordneten. „Denkbar ist die Beihilfe zur Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans“, erklärte deren Parlamentsgeschäftsführer Marco Buschmann.

Der Bundestag beruft eine Aktuelle Stunde ein

Die Regierungsfraktio­nen beantragten für Freitag auch eine Aktuelle Stunde im Bundestag zu den Vorfällen. Titel: „Bedrängung von Abgeordneten verurteilen – die parlamentarische Demokratie schützen“.

Am Mittwoch hatte die rechte Aktivistin Rebecca Sommer – parallel zur Abstimmung über das neue Infektionsschutzgesetz im Bundestag und Protesten von Coronaverharmlosern davor – Abgeordnete auf den Parlamentsfluren bedrängt und sie mit einer Kamera nach ihrem Abstimmungsverhalten gefragt. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) beschimpfte sie dabei als „Arschloch“ und „aufgeblasener, kleiner Wanna-be-König“. Auch Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter und der FDP-Abgeordnete Konstantin Kuhle wurden von Sommer bedrängt.

Zumindest zeitweilig begleitet wurde sie von den Youtubern Ilia T. und Daniela S. sowie dem Verschwörungsideologen Thorsten Schulte, der auch unter dem Pseudonym „Silberjunge“ auftritt. Die Aktivisten bewegten sich unbegleitet im Bundestag und filmten einen Livestream. Dort begrüßten sie auch herzlich die nach rechts abgedriftete frühere Bürgerrechtlerin Angelika Barbe, die ebenfalls als Besucherin vor Ort war.

Laut einem Sicherheitsbericht des Bundestags drangen die Gruppe zusammen mit Barbe später auch in Büroräume im sechsten Stock des Jakob-Kaiser-Hauses ein und filmte von dort die Corona-Kundgebung – „trotz der Proteste der anwesenden Bürobeschäftigten“. Die Bundestagspolizei sei darauf eingeschritten und habe die Gruppe aus dem Haus begleitet.

Drei AfD-Männer luden die Störer ein

Laut des Berichts waren die vier Aktivisten von AfD-Abgeordneten eingeladen worden: Rebecca Sommer von Petr Bystron, Ilia T. und Thorsten Schulte von Udo Hemmelgarn und Daniela S. von Hansjörg Müller. Alle drei AfD-Männer stehen den Coronaprotestierenden nahe und hatten teils auch die Kundgebung vor dem Bundestag besucht.

Bystron und Müller hatten am Vormittag zunächst bestritten, die Aktivisten eingeladen zu haben. Hemmelgarn hatte eine Einladung nur für Schulte eingeräumt. Das Beschimpfen von Altmaier lehne er „komplett ab“, sagte er der taz. Auch die AfD-Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland sprachen von einem „inakzeptablen Verhalten“. Die AfD-Fraktion habe aber nie Gäste mit dem Ziel eingeladen, Abgeordnete an ihrer Arbeit zu behindern.

Am Nachmittag änderte der AfD-Abgeordnete Bystron seine Aussage. Rebecca Sommer sei ursprünglich von einem anderen Abgeordneten eingeladen worden, sagte er nun der taz. Als dieser erkrankt fehlte, habe sein Büroleiter „behilfsweise“ die „Journalistin“ eingeladen. Das Bedrängen von Altmaier relativierte Bystron: Rebecca Sommer habe viele Abgeordnete „interviewt“, ohne Probleme. „Dass Herr Altmaier vor ihr geflüchtet ist, zeigt, dass er unbequemen Fragen ausweichen wollte.“

Sicherheitsvorkehrungen waren verschärft

Wegen der Coronaproteste hatte der Bundestag am Mittwoch seine Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Dürfen Abgeordnete sonst sechs Gäste auf eigene Verantwortung mit ins Parlament nehmen, wurden an diesem Tag alle Besucher angemeldet – und waren so klar den sie einladenden Abgeordneten zuzuordnen. Laut Sicherheitsbericht gab es bei den vier Provokateuren nur bei einer Person Einträge in der Datei der Bundestagspolizei. Diese habe beim Betreten eine polizeiliche Ansprache erhalten und sei auf die Einhaltung der Hausordnung hingewiesen worden.

Wirtschaftsminister Altmaier plane keine Strafanzeige, hieß es aus seinem Ministerium. Der CDU-Politiker äußerte sich aber „bedrückt“, dass Abgeordnete bedrängt wurden. Er selbst hatte auf Bedrängen von Rebecca Sommer seine Zustimmung zum Infektionsschutzgesetz geäußert, weil seine Wähler dies so wollten. Darauf hatte die Aktivistin ihn als „völlig abgehoben“ beschimpft.

Sommer war bereits bei Veranstaltungen der AfD und Werteunion aufgefallen und wandelte sich von einer Flüchtlingshelferin zu einer Rechtsaußen-Vertreterin. Der Verschwörungsideologe Thorsten Schulte hatte bereits im Vorfeld auf seinem Telegram-Kanal angekündigt, am Mittwoch im Bundestag zu sein, um sich dort gegen die „Merkel-Speichellecker“ einzusetzen. Er und andere seien „ordnungsgemäß angemeldet“.

Auch Bundestagsbüros aufgesucht

Die Bundestagspolizei geht weiter zudem Hinweisen nach, wonach Corona-Verharmloser am Mittwoch auch Bundestagsbüros aufgesucht haben sollen. Laut Sicherheitsbericht seien am Mittag zwei Personen mit laufender Kamera unangemeldet in einem Bundestagsbüro aufgetaucht und hatten dort eine Petition abgeben wollen. Sie sollen sich als Mitarbeiter einer anderen Fraktion ausgegeben haben.

Der AfD-Abgeordnete Johannes Huber hatte am gleichen Tag ein Video veröffentlicht, in dem er sich von einer anderen Person filmen ließ, wie er die Büros der SPD-Abgeordneten Karl Lauterbach und Rolf Mützenich sowie des CDU-Fraktionschefs Ralph Brinkhaus aufsuchte und versuchte „Petitionen“ von Gegnern der Corona-Maßnahmen zu übergeben. In dem Video kritisiert auch Huber einige der Politiker als „unbelehrbar“.

Inzwischen hat sich Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) in einem Brief an alle Abgeordneten gewandt. Er spricht darin von „sehr ernsten Vorfällen“, die bei Abgeordneten und Mitarbeiter:innen „vielfältige Befürchtungen und Ängste“ ausgelöst hätten. „Das dürfen wir im deutschen Bundestag nicht zulassen“, heißt es in dem Schreiben, das der taz vorliegt. Er habe daher die Verwaltung gebeten, „alle rechtlichen Möglichkeiten zu prüfen, gegen die Täter und diejenigen vorzugehen, die ihnen Zugang zu den Liegenschaften des Bundestages verschafft haben“, so Schäuble weiter. Darüber hinaus lasse er prüfen, wie das Regelwerk des Bundestags ergänzt werden könne, um wirkungsvoller gegen Missbrauch wie am vergangenen Mittwoch vorzugehen. Ab neun Uhr wird der Bundestag an diesem Freitag über die Vorfälle debattieren.

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