Verfassungsgericht zu „Berlin Werbefrei“: Direkte Demokratie sabotiert

Wiederholt ist ein beschämender Umgang mit Volksbegehren zu beklagen. Jetzt hat das Berliner Verfassungsgericht dem Senat die Leviten gelesen.

Großflächige Werbeplakate werben für die Berlinale in 2020

Werbung gibt es überall in der Stadt, meist viel zu viel – aber es gibt auch welche, die okay ist Foto: picture alliance/Paul Zinken/dpa

Hören Sie auf mit Ihren Sonntagsreden über die Stärkung direkter Demokratie! Tun Sie nicht mehr so, als würden Sie das Engagement Ihrer Bürger*innen wertschätzen!

Ja, Sie sind gemeint, rot-rot-grüne Mitglieder des Senats, insbesondere der Senatsverwaltung des Inneren. Seien Sie ehrlich: Die Möglichkeit direkter Demokratie ist Ihnen eine Last, der Sie mit Sabotage begegnen. Wie anders sollte man den Umgang mit Volksbegehren in dieser Legislaturperiode auch beschreiben.

Das prominente Beispiel: Mehr als 14 Monate hat sich die Verwaltung von Innensenator Andreas Geisel (SPD) Zeit gelassen, um einen simplen Antragstext der Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen zu prüfen. Dann entschied man sich, ihr eine Abschwächung aufs Auge zu drücken und den Text von einem Gesetzesauftrag zu einer formal unverbindlichen Aufforderung herabzustufen.

Aber es geht noch schlimmer: Wurde mit den Gegenr*innen des Immobilien­konzerns wenigstens noch gesprochen, so sind andere Versuche einfach direkt mit der Arroganz der Macht vom Tisch gewischt worden. Obwohl, von „direkt“ kann keine Rede sein, wenn es wie im Fall des Volksentscheids Berlin Werbefrei 16 Monate dauerte, bis der Senat entschied, das Gesetz verstoße gegen das Recht, und es ohne Rückkopplung mit den Streiter*innen für eine lebenswerte Stadt dem Verfassungsgericht vorlegte. Ebenso wurde mit einem Volksbegehren für mehr Videoüberwachung verfahren; da allerdings schon nach rekordverdächtigen sieben Monaten.

Der Rechtsstaat funktioniert

In beiden Fällen hat das Berliner Verfassungsgericht dem Senat seine sorgfältig geprüften Entscheidungen um die Ohren gehauen. Bereits im September wurde gerügt, dass der Senat seine Bedenken nicht mit den Überwa­chungs­freun­d*innen erörtert habe, obwohl er laut Abstimmungsgesetz genau dazu verpflichtet ist. Paragraf 17, Absatz 4. Schauen Sie mal nach, liebe Zuständige!

Paragraf 17, Absatz 4: Schauen Sie mal nach, liebe Zuständige!

Ein vergleichbares Urteil folgte nun diese Woche im Falle von Berlin Werbefrei. Auch hier hielt der Senat es nicht für nötig, zu kommunizieren, und versteifte sich stattdessen auf die absurde Position, das Anliegen sei unzulässig, weil mit den geforderten Verboten von Werbung im öffentlichen Raum und in öffentlichen Räumen zwei gänzlich unterschiedliche Forderungen gekoppelt würden. Netter Versuch, entschied das Gericht.

Der Rechtsstaat funktioniert, also Ende gut, alles gut?

Nein! Die Verzögerungstaktik und Ablehnungspraxis des Senats führt etwa im Fall der Wer­bungs­be­freier*innen dazu, dass sie nun zwar weitermachen können, eine Volksabstimmung parallel zur nächsten Wahl aber nicht mehr zu schaffen ist. Bei einem eigenständigen Termin aber die notwendige Anzahl von Berliner*innen an die Urnen zu holen, ist ein extrem schwieriges Unterfangen. Die Chancen für die engagierten Bürger*innen wurden minimiert – danken können sie den Sonntagsredner*innen.

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Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".

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