Neues Album von Good Bad Happy Sad: Gib mir mal die Sonnenbrille

„Shades“, das Album der Band Good Sad Happy Bad um Komponistin Mica Levi, kratzt dem Wohlklang die Augen aus – und macht dennoch froh.

Die vier von Good Sad Happy Bad mit Mica Levi, ganz rechts

Der Stil ist eher casual: Good Bad Happy Sad mit Mica Levi, ganz rechts Foto: Tony Harewood

Lang gehaltene Saxofontöne, die ineinandergleiten. Erst sind sie warm, dann plötzlich ändert sich ihre Stimmung und die Musik klingt unangenehm eng, fast schon unheimlich. Erst mit dem Einsatz von Gitarre und Drums wird erkennbar, dass man sich im wohligen Gefilde eines Popsongs befindet. Einer, der sogar recht fröhlich wirkt. Ein Popsong, bei dem kurze Zeit später auch noch ein heller Gesang einsetzt, dessen Textzeilen aufs erste Hören beschwingt über die Sonnenseiten des Lebens reflektieren.

So beginnt „Shades“, Titelsong des neuen Albums der Londoner Band Good Sad Happy Bad. Gegründet von Mica Levi, Marc Pell und Raisa Khan machten diese drei Brit:innen bis 2016 unter dem Namen Micachu & The Shapes Musik. Das Trio hatte sich auf der Guildhall School of Music & Drama kennengelernt, einer der angesehensten Musikhochschulen Großbritanniens.

Sie studierten Violine, klassisches Piano, Schlagzeug und Komposition, arbeiteten aber meist allein. „Ich erinnere mich, dass wir es genossen haben, vom einsamen Produzieren am Computer wegzukommen“, erinnert sich Mica Levi an die Gründungsphase. Als Micachu & The Shapes ließen sie ihr digitales Equipment dann zwar auch nicht im Schrank, aber sie setzten es erst mal anders ein und verzichteten auf alles, was zu sehr nach musikalischen Konventionen klingen könnte.

Im Geiste von Punk treffen bei Good Sad Happy Bad digitale Geräusche auf abgedrehten Gesang; seltsam gestimmte Gitarren auf zweckentfremdete Alltagsgegenstände. Während Micachu & The Shapes auf den ersten beiden Alben „Jewellery“ (2009) und „Never“ von 2012 ausschließlich die Kompositionen von Mica Levi gespielt hatten, entstand ihr drittes Album 2015 gemeinsam bei einer ausgedehnten Jamsession.

Die Musik der Londoner Band klingt weder einfach noch sauber – ist dennoch ganz toll

Weil diese Arbeitsweise mittlerweile zentral für die Band geworden ist, hat sie sich nach ebendiesem Album umbenannt: Auf dem ersten Werk als Good Sad Happy Bad rückt Levi noch weiter aus dem Fokus. Die meisten Songs auf „Shades“ singt nun Keyboaderin Raisa Khan und das neue Bandmitglied CJ Calderwood spielt Saxofon.

„Beim Saxofon denkt man meist an Jazz“, kommentiert Calderwood Einflüsse und Inspiration. „Ich nähere mich dem Instrument eher von der elektronischen Musik an, mein Ausgangspunkt ist Clubmusik. Ich versuche, das Saxofon als elektronisches Instrument zu behandeln und synthetischer klingen zu lassen.“ So ist das Saxofon oftmals kaum von einem Synthesizer zu unterscheiden, die veränderten, übereinandergeschichteten Schleifen wabern durch die Songs, scheinen sich manchmal völlig losgelöst von ihnen zu bewegen und lösen sich nicht immer in Konsonanzen auf. Dieses schräge, oft verstörende Saxofon zeigt, dass hier unter der Oberfläche etwas ­brodelt.

Unheimliche Momente

Das unheimliche Moment dieser Musik erinnert dabei mitunter an das Klang gewordene Unwohlsein der Soundtracks von Mica Levi. Levi spielt nicht nur diese schräge Gitarrenmusik, sie ist auch als DJ gefragt, produziert Clubtracks, den elektronischen R&B der Londoner Sängerin Tirzah und komponiert Auftragsmusik für die Kinoleinwand. So versorgte Levi etwa Jonathan Glazers Spielfilm „Under the Skin“ mit einer Kakofonie aus zerhackten Streichern, die Scarlett Johansson als gleichsam verführerisches und mörderisches Alien begleitete.

Dafür bekam Levi 2014 den Europäischen Filmpreis, drei Jahre später war Levis Vertonung der dunklen Wolke, die in „Jackie“ über der von Natalie Portman gespielten Jackie Kennedy schwebt, sogar für den Oscar nominiert.

Jene Qualität, die Levis Soundtracks so eindringlich macht, inkorporieren also auch die neuen Songs der Band, die nun Good Sad Happy Bad heißt. Sie mögen manchmal happy, gar beschwingt klingen, doch erkunden sie ebenso die anderen Spektren, die der Bandnahme bereithält. „Unsere Songs fühlen sich am Anfang oft ganz anders an als am Ende“, erklärt Mica Levi. „Good Sad Happy Bad heißt auch, die verschiedenen Kombinationen dieser Elemente immer präsent zu haben. Ich glaube, es ist realistischer, wenn auf mehreren Ebenen gleichzeitig verschiedene Sachen passieren.“

Ein Tag im Park

So etwa beim Titelsong „Shades“, in dem sich die ineinandergleitenden Saxofontöne des Anfangs immer wieder erheben und einen Kontrast bilden zum hellen Gesang von Raisa Khan und den unaufgeregten Drums von Marc Pell. Das Video dazu zeigt die Band an einem Sonnentag im Park, allerdings sind Farben und Lichter vollkommen verdreht. Auch die Gitarre schlingert wie so oft hin und her. Bilder und Musik suggerieren: Hier ist nicht alles so schön, wie es scheint. Und auch die Sonnenseiten, die dem lyrischen Ich angeraten werden, zu sehen, sind eine Chiffre.

Der Text geht weiter: „These bright sigths are hurting my eyes / Pass me my shades.“ Übersetzt in etwa: „Die Sonnenseiten blenden mich, reich mir meine Sonnenbrille.“ Aber natürlich klingt im Titel „Shades“ auch die Sehnsucht nach dem Schatten an, den viele nach einem weiteren Jahrhundertsommer benötigen.

So wird aus dem Persönlichen sogar noch etwas Politisches: „In ‚Shades‘ ging es eigentlich darum, sich mit Dingen abzufinden, auch wenn man nicht wirklich überzeugt ist“, erklärt Keyboarderin und Texterin Raisa Khan. „Darum, die Welt um sich herum zu verbessern. Und dann ist irgendwie ein Song über den Klimawandel daraus geworden. Das macht Sinn, denn da tun wir nicht genug.“

Saxofon in der Küche

Auch im Auftaktsong des Albums vermengen sich zunächst Levis schlingernde Gitarre und einige helle Tupfer, die aus einer Blockflöte stammen. Calderwood spielt diese, wie das Saxofon, intuitiv. Noten lesen, anzählen – das machen die anderen. „Ich habe ein Saxofon geerbt und dann damit angefangen, Musik zu machen. Mittlerweile spiele ich auch andere Instrumente, aber ich hab mir diese selbst beigebracht.“ Calderwood war bei den Jams, in denen das Album entstanden ist, nicht anwesend, hat das Saxofon bei sich in der Küche aufgenommen. „Deswegen klingt es oft etwas grob und mürrisch, ich hatte kein besonders gutes Mikrofon“, erklärt Calderwood.

An anderer Stelle erinnert das Saxofon an Punk und Post-Punk, spielt abgehackte Stakkatos auf treibendes Schlagzeug und Gitarren. „Pyro“ ist ein kleiner Punk-Kracher mit mehreren Tempowechseln und Call-and-Response-Gesang. „Universal“ beginnt mit einer grungigen E-Gitarre, die in Konversation mit dem Saxofon steht, bevor beide von Raisa Khans hellem Gesang kontrastiert werden. Die Texte muten dabei ähnlich assoziativ an wie die Jamsessions, in denen „Shades“ entstanden ist.

Oft wiederholt Raisa Khan nur wenige Zeilen, Gedanken, die ihr im Alltag begegnet sind. In „Blessed“ heißt es etwa: „You know how hard I tried / But still I let you down / I’m always letting people down / If only they knew much I let myself down.“ Und dann beginnt das Ganze wieder von vorn. Ein Mantra der Selbstbefragung, das in zerschnipselten Sample-Fetzen zusätzlich einen verdrehten Background-Gesang bildet.

Diese durch Improvisation entstandene Musik ist weder einfach noch sauber geputzt. Was sich früher spinnefeind war, vereinen Good Sad Happy Bad. Punk und klassische Musikausbildung gehen Hand in Hand, ebenso wie grantige Gitarren und heller Gesang oder beschwingte Melodien und schräge Saxofone. Auf „Shades“ umarmt die Londoner Band die Uneindeutigkeiten. Good Sad Happy Bad haben ein Album voller Gegensätze und Kontraste kreiert, mit dem sie großartige Unruhe schüren.

Good Sad Happy Bad: „Shades“ (Textile Records/A-Musik/Cargo)

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.