Demonstranten mit Waffe

Foto: dpa

Stimmauszählung in den USA:Nach Wahl Kampf

Eingeschworene Anhänger von Präsident Donald Trump wittern Wahlbetrug: Sie verlangen, die Auszählung der Stimmen sofort zu beenden.

Ein Artikel von

5.11.2020, 19:04  Uhr

Stop the Steal“ – beendet den Diebstahl – lautet der neueste Schlachtruf im rechten Lager der Vereinigten Staaten. Er ertönt vor Wahlbüros, auf den konkurrierenden rechten Fernseh- und Youtube-Kanälen, auf Facebook und in den fundamentalistischen Gebetskreisen von evangelikalen Christen quer durch die USA. Viele, die ihn rufen, schwingen gleich drei Sorten von Flaggen: eine US-Fahne, eine Trump-Fahne und eine schwarz-blaue Polizeifahne. Manche schultern zusätzlich Gewehre. 150 solcher Schusswaffen tragender Demokratieverteidiger versammelten sich am Mittwochabend in Maricopa County, Arizona, vor dem Büro, in dessen Inneren immer noch die Stimmen der Präsidentschaftswahl ausgezählt werden.

Der Hashtag, der unterstellt, dass der Diebstahl von Stimmen eine Tatsache wäre, geht auf eine Kampagne von Donald Trump zurück. Der Präsident findet seit Monaten die seltsamsten Argumente gegen die Briefwahl und behauptet, dass die DemokratInnen und die „Lügen-Medien“ massive Wahlfälschungen vorbereiten würden.

Tatsächlich sind Wahlfälschungen in den Vereinigten Staaten von Amerika so selten, dass sie statistisch kaum nachgewiesen werden können. Auch eine hochkarätig besetzte Untersuchungskommission, die zu Anfang von Trumps Amtszeit in seinem Auftrag Wahlbetrug dokumentieren sollte, musste ihre Arbeit ergebnislos einstellen. Der frisch gewählte Präsident hatte damals behauptet, „massive Wahlfälschung“ habe dazu geführt, dass seine Kontrahentin bei den Wahlen von 2016, Hillary Clinton, drei Millionen Stimmen mehr bekommen habe als er.

Arizona (11 Wahlleute) Einige US-Medien riefen bereits Joe Biden zum Wahlsieger aus. Bidens Sieg in Arizona vorausgesetzt, würde ihm bereits ein Bundesstaat wie Nevada den Gesamtsieg reichen. Biden führt knapp mit 50,5 Prozent.

Nevada (6 Wahlleute) 86 Prozent der Stimmen waren ausgezählt. Der Demokrat Biden liegt mit 49,3 Prozent knapp vor Trump mit 48,7 Prozent.

Pennsylvania (20 Wahlleute) 89 Prozent der Stimmzettel waren am Donnerstag ausgezählt. Trump hat demnach mit 50,7 Prozent einen Vorsprung vor Biden mit 48,1 Prozent. Mit der Auszählung der Briefwahlstimmen dürfte Biden zulegen. Ein Ergebnis soll am Freitag vorliegen.

Georgia (16 Wahlleute) Nach Auszählung von 96 Prozent der Stimmen hatte Trump in dem Südstaat einen Vorsprung von 59,6 Prozent gegenüber Biden mit 49,2 Prozent. Der Abstand zwischen beiden schmilzt jedoch.

North Carolina (15 Wahlleute) 95 Prozent der Stimmen waren bereits ausgezählt. Donald Trump liegt in Führung mit 50,1 Prozent, Biden bei 48,6 Prozent. Trmps Führung schmilzt derzeit. Briefwahlstimmen werden noch bis zum 12. November akzeptiert. (afp, taz)

Vier Jahre später beschuldigt Trump nun den Demokraten Joe Biden und seine Anhänger derselben erfundenen Straftat. Und Hunderttausende Trump-Anhänger glauben es. Sie kommentieren den Hashtag „StoptheSteal“ mit gehobenem Daumen und verbreiten ihn wie ein Lauffeuer auf den sozialen Medien weiter. Es stört sie nicht, dass Twitter Trumps Behauptungen als falsch und manipulativ markiert hat. Sie sind überzeugt, dass Trump nur verlieren könnte, wenn es eine massive Wahlmanipulation gibt. Und dass alle, wirklich alle, die etwas anderes sagen, lügen.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Der Verräter heißt Fox News

Als nach der Nachrichtenagentur Associated Press auch der rechte TV-Sender Fox verkündet, dass der Demokrat Joe Biden – und nicht Trump – der klare Sieger in Arizona sei, richtet sich die Wut der Trump-Anhänger unmittelbar gegen Fox News. Sie spüren Verrat. Jahrelang galten für sie die großen Kanäle CNN und MSNBC als feindlich gesinnte Medien. In ihren eigenen Wohnungen flimmerte ununterbrochen Fox News vom Bildschirm, oft schon am frühen Morgen mit Telefon­interviews des Präsidenten im Programm. Aber am Mittwochabend in Maricopa County rufen sie: „Down with Fox.“

Auch Trump selbst ist wegen der Berichterstattung über Arizona sauer auf seinen Haussender Fox News. Auf dem rechten Kanal Newsmax erzählt dessen Chef Chris Ruddy, dass er mit dem Präsidenten gesprochen habe und dass der sich über die schlechte Praxis der Medien beklage. „Er ist enttäuscht von Fox.“ Ruddy fügt hinzu, dass Trump befürchte, „die Medien“ könnten die Wahlen stehlen. Aber dass er zugleich im „Kampfmodus“ sei, dass er sein Anwaltsteam zusammenstelle und dass er sich auf die Schlacht an den Gerichten vorbereite. „Er muss wie ein Präsident aussehen, nicht wie ein Kandidat“, ergänzt ihn der Moderator.

Joe Biden auf dem Weg zum Rednerpult

Albtraum der Trump-Fans: Joe Biden, hier bei einem Auftritt am Mittwoch Foto: Karolyn Kaster/ap

Zahlreiche rechte Medien sehen in diesem Moment auch eine Gelegenheit, auf Kosten von Fox News neue Zuschauer zu gewinnen. Sie wetteifern darum, wer am entschiedensten zu Donald Trump hält. Auf dem Sender America First tut das Sebastian Gorka. Er war kurzzeitig Berater von Trump. Dann hatte er ein ebenfalls kurzes Gastspiel bei Fox News. In diesen Tagen unterstützt er den Präsidenten auf America First. In Abwandlung eines Stalinzitats sagt Gorka dort, dass es nicht zähle, wer wie abstimme: „Wichtig ist, wer zählt.“ Wichtig sei außerdem, so Gorka, wer die „größere Hodenstärke“ (sic!) habe.

Dick Morris in seinem TV-Sender

„Es ist ein Grabenkrieg. Wir müssen um jeden einzelnen Stimmzettel kämpfen“

Auch ein einstiger Politikberater des Demokraten Bill Clinton ist laut an der neuesten Trump-Kampagne beteiligt. Dick Morris erklärt auf dem nach ihm selbst benannten Sender, „die Demokraten versuchen einen Staatsstreich“. Überall, wo die Gouverneure Demokraten seien, würden sie versuchen, bei der Stimmauszählung zu pfuschen. Dann zählt Morris die Swing Staats North Carolina, Pennsylvania, Wisconsin und Michigan auf, in denen es fast überall so aussieht, als könnte ­Biden gewinnen. Morris feuert seine Zuschauer an: „Es ist ein Grabenkrieg. Wir müssen um jeden einzelnen Stimmzettel kämpfen.“

So einheitlich der Hashtag „StoptheSteal“ klingen mag, so unterschiedlich sehen die Forderungen der Trump-Anhänger je nach ihrem Standort in den USA aus. Während sie in Maricopa County unterstellen, ihre Stimmen seien nicht berücksichtigt worden und verlangen, dass sie endlich auch gezählt werden, rufen sie andernorts den Schlachtruf: „Stop the Vote“ – Beendet die Stimm­auszählung. Auch dieser Spruch geht auf Donald Trump zurück. Nachdem der die Briefwahl diffamiert hatte, verlangt er jetzt, dass die Auszählung dieser Briefwahlstimmen sofort gestoppt wird. In einigen der entscheidenden Swing States ist klar, dass die Mehrheit der noch nicht völlig ausgezählten Stimmen aus großstädtischen Gebieten stammen, in denen die meisten Wähler traditionell demokratisch stimmen.

Paula White-Cain, Trump-Beraterin

„Betet inbrünstig (…), es gibt eine große Sorge, dass jemand diese Wahl stiehlt“

Trumps religiöse Beraterin Paula White-Cain hat sich in die Schlacht um die Stimmenauszählung eingemischt. In den Wochen vor der Wahl hat die Predigerin die evangelikalen Christen zur Wahl von Trump gedrängt. Mit mehreren dutzend Millionen Stimmen handelt es sich dabei um den größten zusammenhängenden Wählerblock der USA. Am Mittwoch twittert White-Cain: „Betet inbrünstig (…) es gibt eine große Sorge, dass jemand diese Wahl stiehlt.“ Aber im selben Tweet beruhigt sie, dass Gott alles wisse und dass er (Gott) dafür sorgen werde, dass „die Pläne seiner Feinde scheitern“.

Während in Maricopa County schon Waffen vor dem Auszählungslokal auftauchen, beschränken sich die Demonstranten andernorts noch auf Worte und Flaggen. Ebenfalls in Arizona sind Frauen für Trump zum State Capitol gezogen, um dort gegen die angeblich falsche Stimmauszählung zu demonstrieren. Wie die bewaffneten Männer vor dem Wahllokal tragen die meisten von ihnen keine Masken. Und wie sie geben sie sich als die Verteidigerinnen der Demokratie. „Schützt die Resultate“, rufen sie.

Derselbe Slogan ist auch auf der politischen Linken präsent. In Seattle, Portland, Minneapolis und New York demonstrieren Menschen seit dem Mittwoch dafür, dass jede Stimme ausgezählt wird. In Minneapolis besetzen Demonstranten mit Fahnen, auf denen „Revolution“ steht und „schafft das verdammte System ab“, einen Highway. Die Polizei räumt sie. In New York kesselt die Polizei am Mittwochabend friedliche Demonstranten im East Village ein. Die Polizisten tragen Kampfuniformen und benutzen ihre Fahrräder als Barrikaden. Mehr als 50 Menschen werden fest genommen.

In Philadelphia, wo weiterhin Stimmen ausgezählt werden, überträgt das Wahlbüro die Bilder aus der Behörde ins Internet. Trump-Anhänger in den sozialen Medien wittern jedes Mal, wenn ein Auszähler nach einem Taschentuch greift, dass es sich um einen Fall von versuchter Wahlfälschung handelt. Gleichzeitig versucht die republikanische Partei im Bundesstaat Pennsylvania den dortigen Justizminister zu desavouieren. Der Demokrat Josh Shapiro sei „befangen“, sagen sie und verlangen, dass er während der Auszählung zur Seite tritt. Die Journalisten der rechten Website Breitbart News dokumentieren das anschließend ausführlich.

In Detroit versuchen Trumps Unterstützter unterdessen in das Lokal zu kommen, in dem gerade gezählt wird. Wegen der Covid-Ansteckungsgefahr dürfen sie nicht herein. Die Polizei hält sie ab. Auch in Las Vegas versammeln sich dutzende Trump-Anhänger vor einem Lokal, in dessen Innern die Wahlhelfer versuchen, sich auf das Auszählen von Stimmen zu konzentrieren.

Es ist eine hausgemachte Krise. Und es ist der Moment für große Auftritte von Staatssekretären. Jeder Bundesstaat hat einEn davon. Sie sind zuständig für die Vorbereitung und Abwicklung von Wahlen. „Ich lasse keine Fälschung zu“, erklären die Staatssekretärinnen in Wisconsin und Michigan und andernorts. An den aufgeregten Trump-Unterstützern auf der Straße geht das vorbei. Sie wollen Köpfe rollen sehen, die Wahlvorsteher, die Justizminister und die Staatssekretäre. „Stop the Steal“, ruft jemand. Auf seinem T-Shirt steht: „BBQ, Beer, Freedom“. Sein Präsident verfolgt inzwischen einen anderen Slogan. „Stop the Count!“, schreibt Trump auf Twitter – Hört auf mit dem Auszählen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Am 3. November 2020 haben die USA einen neuen Präsidenten gewählt: Der Demokrat Joe Biden, langjähriger Senator und von 2009 bis 2017 Vize unter Barack Obama, hat sich gegen Amtsinhaber Donald Trump durchgesetzt.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.