Parlamentswahl in Myanmar: Votum mit Demokratiedefiziten

Niemand zweifelt am Sieg der Nationalen Liga für Demokratie von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Die Minderheiten sind frustriert.

Vor einem Wahllokal in Yangon gibt ein Mann seine Stimme ab

Stimmabgabe bei der vorgezogenen Abstimmung der Parlamentswahlen am 8. November in Yangon Foto: Shwe Paw Mya Tin/reuters

BERLIN taz | Im Schatten der US-Wahl wird am 8. November auch in Myanmar gewählt. Ein erneuter Sieg der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi scheint gewiss. Doch werden mehrere Sitze frei bleiben, wenn die neuen Volksvertreter*innen des südostasiatischen Landes im Frühjahr ins Parlament ziehen: Die Stimmen von mehr als einer Million Menschen werden nicht repräsentiert sein.

Das ist allerdings nicht der einzige Grund, warum nach Meinung lokaler wie internationaler Beobachter die Wahlen nicht internationalen demokratischen Standards entsprechen. So steht ein Viertel aller Sitze nach wie vor nicht zur Wahl und ist stattdessen dem Militär vorbehalten.

„Es ist ein Meilenstein für Myanmar eine zweite Wahl unter Beteiligung mehrerer Parteien abzuhalten. Aber wie lange die Schlangen an den Wahllokalen auch sein werden, diese Wahl wird fundamentale Fehler haben“, sagt Brad Adams, Asien-Direktor von Human Rights Watch.

Die Wahlkommission sagte aus Sicherheitsgründen bereits für 57 Bezirke die Stimmabgabe ganz oder teilweise ab. Es war bereits erwartet worden, dass in Konfliktregionen die Abstimmungen wie schon 2015 nicht stattfinden werden. Doch wird jetzt die von der Regierung ernannte Wahlkommission für ihre intransparente Entscheidungsfindung kritisiert.

In Rakhine dürfen zwei Drittel der Bevölkerung nicht wählen

Im westlichen Krisenstaat Rakhine, in dem sich seit fast zwei Jahren zum Leidwesen der Zivilbevölkerung das Militär und Rebellen der Arakan Army (AA) Gefechte liefern, dürfen fast zwei Drittel der Wähler*innen ihre Stimme nicht abgeben.

Doch ist dort Wahlkampf ohnehin kaum möglich. Denn wegen der Coronapandemie und des bewaffneten Konflikts sind sowohl die Bewegungsfreiheit als auch seit mehr als einem Jahr der Zugang zum Internet eingeschränkt. Experten fürchten, dass sich die angespannte Situation dort, aber auch in anderen Konfliktregionen des Landes, weiter zuspitzen könnte.

„Es ist kontraproduktiv für Frieden und Versöhnung in Myanmar den Mitgliedern ethnischer Gruppen den Zugang zur politischen Sphäre zu erschweren. Das führt nur zu noch mehr Konflikten“, sagt Nang Zun Moe vom in Thailand ansässigen Think Tank Progressive Voice.

Von der Wahl ausgenommen sind ohnehin auch fast zwei Millionen Rohingya. Den Angehörigen der muslimischen Minderheit war schon vor Jahrzehnten die myanmarische Staatsbürgerschaft aberkannt worden.

Nach den Wahlen von 2015 erhofften sich viele Rohingya von Aung San Suu Kyi ein Ende der jahrzehntelangen Verfolgung durch das Militärregime. Doch die Friedensnobelpreisträgerin ließ die muslimische Bevölkerungsgruppe im Stich. Im Dezember 2019 verteidigte sie gar das Militär, dem ein Genozid an den Rohingya vorgeworfen wird, vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag.

„Es kann keine echte Demokratie geben in einem Land, das seine Rolle in der Verfolgung seiner Bürger nicht anerkennt,“ schreibt der in Großbritannien lebende Aktivist und Rohingya Tun Khin in der Washington Post. Sein Großvater war vor dem Militärputsch 1962 noch Abgeordneter im Parlament gewesen.

Anders als 2015 wurde der Wahlkampf jetzt von Gewalt überschattet. Bei Zusammenstößen mit einem Mob der Opposition starb ein Unterstützer der NLD. Im Krisenstaat Rakhine wurden drei NLD-Kandidaten der Arakan Army entführt.

Corona als Vorwand für Einschränkung der Pressefreiheit

Mit mehr als 50.000 Covid-19-Fällen ist Myanmar in Südostasien eines der am stärksten betroffenen Länder. Alle Parteien mussten deshalb im Wahlkampf mit Beschränkungen zurechtkommen. Aber manche traf es härter als andere.

Mitten im Wahlkampf wurden Journalisten zur nicht-essentiellen und damit plötzlich vom Lockdown betroffenen Berufsgruppe erklärt. Viele Zeitungen mussten ihr Erscheinen einstellen, während die staatlichen Propagandablätter weiter zirkulieren konnten.

Bei der Wahl am Sonntag treten 92 Parteien an. Als größte Partei tritt neben der NLD die vom Militär unterstützte Union Solidarity and Development Party (USPD) an. Die regierende NLD ist bei der Mehrheitsbevölkerung der buddhistischen Bamar (Birmanen) weiter beliebt. Bei den ethnischen und religiösen Minderheiten hingegen, die seit der letzten Wahl weder von wirtschaftlicher Entwicklung noch einem Frieden profitieren konnten, hat die Partei Unterstützer eingebüßt. Aus Frust über die von Aung San Suu Kyi autoritär geführte NLD haben frühere Parteimitglieder die People's Pioneer Party (PPP) gegründet.

„Die NLD ist nicht mehr die Lösung für Myanmar“, sagt die PPP-Vorsitzende Thet Thet Khine. 2020 rechnet die Geschäftsfrau für ihre Partei noch nicht mit einem herausragenden Ergebnis. „Aber nach der Ära Suu Kyi wird die NLD am Ende sein.“

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