Rechte Proteste gegen Infektionsschutzgesetz: „Querdenker“ mit Gewaltvirus

Am Mittwoch wollen die „Querdenker“ den Beschluss des Infektionsschutzgesetzes im Bundestag verhindern. Die Polizei ist vorgewarnt.

Demonstrant mit Deutschlandfahne, im Hintergrund Polizisten

Mindestens eine Seite will die Konfrontation Foto: dpa

BERLIN taz | Für die rechte Mischszene aus Querdenken, Impf­gegne­r*innen, Teilen der AfD und Neonazis scheint die Zeit der schnöden Demonstrationen vorbei zu sein. So radikal wie nie zuvor mobilisiert das Spektrum am Mittwoch nach Berlin, um den Beschluss des Infektionsschutzgesetzes im Bundestag zu verhindern. Aufgerufen wird zu Blockaden der Zufahrtswege zum Reichstagsgebäude oder gleich zum Sturm des Parlaments. Gewalt erscheint vielen gerechtfertigt, um ein neues „Ermächtigungsgesetz“ zu verhindern. In Facebookgruppen rufen User dazu auf, sich zu bewaffnen oder Berlin „brennen“ zu lassen.

Mit Angstszenarien puscht die Szene den Termin zum ultimativen Tag des Widerstands gegen eine drohende Diktatur – ein Tag X, von dem die extreme Rechte schon seit Langem träumt. Vereinzelte Abgrenzungsversuche aus dem Querdenken-Spektrum gegen die Teilnahme organisierter Neonazis bleiben ohne Resonanz, während etwa ein Sharepic, das die Unterstützung durch NPD, Pegida, Identitäre Bewegung und ähnliche Gruppen ankündigt, viral geht. Auf den Straßen ist der Schulterschluss zwischen dem radikalisierten bürgerlichen Spektrum und der Naziszene eh schon längst vollzogen – wie zuletzt am vorletzten Samstag in Leipzig.

Die Berliner Kommunika­tionsstelle Demokratischer Widerstand, der erste organisatorische Zusammenschluss von Corona-Leugner*innen, der sich „antifaschistisch“ nennt, schreibt in ihrem Newsletter von dem Versuch, „uns final in die totalitärste Kontrolldiktatur der Menschheitsgeschichte zu stürzen“. In Hunderten Chatgruppen wird gewarnt, das Gesetz bringe den „Impfzwang“, den Einsatz der Bundeswehr oder den „Verlust sämtlicher Grundrechte“ mit sich.

Tatsächlich soll das „Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung“ Maßnahme zur Bekämpfung des Coronavirus für die Dauer einer epidemischen Lage regeln, also etwa Ausgeh- und Kontaktbeschränkungen, die Schließung von Geschäften oder auch die Beschränkung von Demonstrationen. Bewirkt werden soll damit eine Rechtssicherheit der Maßnahmen, die schon bislang vielfach getroffen wurden. Für „stark einschränkende Schutzmaßnahmen“ wird ein Schwellenwert von 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner*innen innerhalb von sieben Tagen genannt, für „schwerwiegende Schutzmaßnahmen“ liegt der Wert bei 50 Neuinfektionen. Im Eilverfahren soll das Gesetz am Mittwoch im Bundestag und Bundesrat beschlossen werden.

Flut von Versammlungen

Bis Montagmittag lagen bei der Polizei zwölf Versammlungsanmeldungen vor, davon den Mottos nach zwei bis drei von Gegenprotesten, alle in Nähe des Reichstages. Neben Einzelpersonen haben auch die AfD Brandenburg und Impfgegner des Netzwerks Impfentscheid Veranstaltungen angekündigt. Während die offiziellen Versammlungen frühestens um 9 Uhr starten, kursieren Aufrufe, sich schon ab 6 Uhr in dem Gebiet einzufinden.

Angesichts des Wochentages und der kurzfristigen Mobilisierung scheint eine fünfstellige Teilnehmerzahl unrealistisch, jedoch sind aus vielen Regionen Busse angekündigt. In Sachsen ist der Mittwoch aufgrund des Buß- und Bettages gesetzlicher Feiertag. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus sieht „alle Zutaten für einen dynamischen und potentiell gewalttätigen Verlauf der Proteste“ gegeben.

Polizeipräsidentin Barbara Slowik und Innensenator Andreas Geisel (SPD) kündigten am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses ein entschiedenes Vorgehen der Polizei an. Man werde keine Versammlungen ohne Mund-Nasen-Schutz zuzulassen. Sollte es doch dazu kommen, werde man Versammlungen so schnell wie möglich auflösen.

Die Vergangenheit habe aber gezeigt, dass die Auflösungs-Aufforderung der Polizei von großen Teilen der Querdenken-Teilnehmer*innen mit Widerstandshandlungen beantwortet werde, sagte Slowik. Dass sich Tausende nicht an die Regeln hielten, „das kennen wir sonst nicht und macht es für uns so schwierig“. Das Ziel der meisten Teilnehmer*innen sei, „Bilder zu produzieren und auch die gewalttätige Auseinandersetzung mit der Staatsmacht zu suchen“.

Weiter mit Beißhemmung

Bei Nichteinhaltung der Hygieneregeln werde die Polizei „hart und entschlossen, aber auch mit Augenmaß vor­gehen“, sagte Geisel. „Wir beobachten eine Radikalisierung. Aber nicht jeder, der Zweifel an den Coronabeschlüssen äußert, ist ein Extremist“, so der Innensenator. Die Zweifler dürften nicht durch falsche Zuschreibungen den Rechtsextremisten und Reichsbürgern zugetrieben werden.

Bilder wie in Leipzig oder am 29. August vor dem Reichstag wolle man aber unbedingt vermeiden, sagte Slowik. „Wir werden auch über andere Maßnahmen als die üblichen nachdenken müssen.“ Wasserwerfer sollen aber offenbar nicht zum Einsatz kommen.

Seit Mai gibt es beim Staatsschutz eine Ermittlungsgruppe „Quer“, in der alle Verfahren im Zusammenhang mit Versammlungen zum Thema Corona gesammelt werden. Aktuell seien das 753 Straftaten und 40 Ordnungswidrigkeiten. Die meisten Verfahren seien bei den beiden großen Querdenken-Demonstrationen Anfang und Ende August angefallen. Auch würden den Coronaleugner*innen in Berlin bereits zwei Fälle von Brandstiftung zugeschrieben.

100 weitere Versammlungen sind laut Geisel bis zum Jahresende angemeldet. Polizeipräsidentin Slowik wandte sich mit der Bitte an die Parlamentarier, eine Beschränkung der Teilnehmerzahl bei Versammlungen zu überdenken. Im Fall von Hygie­ne­regelverstößen seien Demonstrationen mit 100 oder 500 Teilnehmern für die Polizei deutlich leichter aufzulösen. Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Linken, wies das zurück. „Das kann keine Lösung sein.“

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