Serie „Himmelstal“ auf DVD: Die Hölle sind die anderen

Spannender Psychothriller mit bösem Zwilling: Die schwedische Serie „Himmelstal“ basiert auf einem Roman von Marie Hermanson.

Eine Frau sitzt in Krankenhauskleidung auf einem Bett

Helena oder Siri (beide Josefin Asplund)? Keiner weiß mehr, wer wer ist Foto: Leonine

Warum die MacherInnen von „Himmelstal“ sich wohl dafür entschieden haben, aus den männlichen Hauptfiguren der Romanvorlage von Marie Hermanson Frauen zu machen? Vielleicht, weil weibliche Psychopathinnen interessanter, weil seltener, als männliche sind? Vielleicht aber auch, weil sich damit ein anderes aus der Literatur berühmtes weibliches Zwillingspaar hervorragend überschreiben lässt, was dem Plot zusätzliche Doppelbödigkeit verleiht.

Einiges an der Geschichte der Schwestern in der „Himmelstal“-Serie erinnert nämlich stark an Erich Kästners „doppeltes Lottchen“: Die eineiigen Zwillinge Helena und Siri sind getrennt aufgewachsen, eine bei der Mutter, eine beim Vater. Äußerlich kaum zu unterscheiden, sind sie in ihren Persönlichkeiten so unterschiedlich, wie Menschen nur sein können. Helena ist vernünftig, vertrauensvoll und empathisch, Siri dagegen – hier endet die Kästner-Analogie – gefühlskalt, skrupellos und manipulativ.

Die schwedische Schauspielerin Josefin Asplund ist sehr überzeugend in ihrer Doppelrolle. Als Helena sich entschließt, ihre Schwester auf deren dringende Einladung hin zu besuchen, hat sie Siri schon viele Jahre nicht gesehen und ist nicht vorbereitet auf das, was sie erwartet. Siri lebt in einer luxuriösen Klinik mitten in den Alpen, einer geschlossenen Anstalt, in der sie einen Entzug machen soll, nachdem sie bei einem Verkehrsunfall ein Kind schwer verletzt habe.

Das erzählt sie ihrer Schwester, und Helena erfährt später, dass nichts davon stimmt: Sämtliche BewohnerInnen der Einrichtung sind verurteilte SchwerverbrecherInnen mit psychopathischer Veranlagung, die in der Abgeschiedenheit des Hochtals behandelt und erforscht werden.

Rollentausch in der Psychiatrie

Dieses Wissen allerdings kommt für Helena zu spät: Denn Siri hat, die Gutgläubigkeit ihrer Schwester ausnutzend, deren Identität angenommen, um sich aus der Klinik abzusetzen. Die zurückgebliebene Helena kann nichts unternehmen, um die ÄrztInnen davon zu überzeugen, dass sie nicht ihre Schwester ist, da jeder neue Versuch nur für einen besonders perfiden Manipulationsversuch Siris gehalten wird.

Die erste Staffel – sie ist so angelegt, dass eine zweite bestimmt kommt – besteht aus acht Folgen, die bequem an einem einzigen Wochenende weggeguckt werden können. Und es ist sicher nicht verkehrt, sich tatsächlich vorab ein bisschen Zeit dafür zu reservieren, denn jede einzelne Folge endet mit einem Cliffhanger. Helena, die ihre Flucht aus der geschlossenen Anstalt plant, braucht dafür Verbündete und muss diese unter lauter potenziell gemeingefährlichen PsychopathInnen finden.

Manche davon – aber das weiß sie nicht, und wir wissen nicht, welche – sind eingeschleuste Spione, die zum medizinischen Personal gehören. Wer hier also wer in Wirklichkeit ist und ob es überhaupt eine Person gibt, die ist, wer sie zu sein scheint, ist ungefähr genauso unsicher, wie mensch es schon aus „Homeland“ kennt, nur dass der Psychoterror in „Himmelstal“, obgleich ebenso lebensbedrohlich, weniger blutig verläuft.

Klaustrophobischer Kosmos mit Realitätsbezug

Letztlich ist allen alles zuzutrauen. Nicht einmal der Hauptfigur in ihrer Rolle als guter Helena kann man sich wirklich sicher sein. Die meisten DarstellerInnen agieren souverän auf dem schmalen Grat zwischen scheinbar harmloser Selbstbezogenheit und potenziell lauerndem Irrsinn. Nur Matthew Modine als sardonisch dauergrinsender Anstaltsleiter überchargiert seine Rolle ohne Not und muss, wenn sich für das Schmierentheater nicht noch eine Erklärung in der zweiten Staffel findet, als Fehlbesetzung betrachtet werden.

„Himmelstal“. Regie: Óskar Thór Axelsson. Mit Josefin Asplund u. a. Schweden 2019

Aber wer weiß, wann diese zweite Staffel überhaupt wird produziert werden können. Bei Google suchen schon viele Leute danach. Und ziemlich wahrscheinlich wird das Identifikationspotenzial der Serie noch steigen. Denn je mehr die Gesellschaft wieder auf Lockdown-Modus umstellt, desto mehr Analogien zur Realität bietet der klaustrophobische Kosmos von „Himmelstal“: Man kann nicht weg von da, wo man ist, und kann außerdem nicht ausschließen, irgendwann in der Isolierstation für besonders schwere Fälle zu landen.

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