Türkeistämmige Rechtsextreme: Ein erster Schritt

Frankreichs Regierung kündigt an, die rechtsextremen türkischen Grauen Wölfe zu verbieten. Wird Zeit, dass auch Deutschland nachzieht.

Schmierereien an einer Gedenkstätte für die Opfer des Genozids an den Armenier*innen in Lyon

Schmierereien an einer Gedenkstätte für die Opfer des Genozids an den Armenier*innen in Lyon Foto: Jeff Pachoud/afp

Nach dem islamistisch motivierten Attentat auf den Pariser Lehrer Samuel Paty beschließt Frankreich nun, eine Reihe von politischen Organisationen zu verbieten. Darunter die türkischen rechtsextremen Grauen Wölfe. Kurz davor hat es außerdem in Lyon an einer Gedenkstätte für die Opfer des Genozids an den Armenier*innen Schmierereien gegeben. „RTE“ (Recep Tayyip Erdoğan) stand da in gelber Schrift und „Loup Gris“ (Graue Wölfe).

Die Grauen Wölfe, auf türkisch Bozkurt, gibt es auch in Deutschland. Sie sind hier, das mag viele überraschen, die größte rechtsextreme Organisation. Laut Bundeszentrale für politische Bildung gibt es schätzungsweise 18.000 Graue Wölfe oder „Ülkücü“, wie sie sich selbst nennen, was so viel bedeutet wie „Idealisten“. Ihr Zeichen ist der rote Halbmond und ein heulender Wolf.

Die Grauen Wölfe träumen von einem großtürkischen islamischen Reich, das alle Turkvölker vereint und vom Balkan bis nach China reicht. Sie propagieren die Überlegenheit der „türkischen Rasse“. Ihr Hass richtet sich ­gegen Armenier*innen, Jüd*innen, Kurd*in­nen, Griech*innen, Kom­mu­­nist*innen und LGBT-Personen. Die Grauen Wölfe gelten als der paramilitärische Arm der von Alparslan Türkeş gegründeten ultranationalistischen Partei MHP. Alparslan Türkeş wird bis heute noch von Anhängern der Grauen Wölfe als Führer verehrt.

Seit den 1960er Jahren organisieren sich türkische Rechtsextreme in Deutschland. Sie versammeln sich in ihren Kultur- und Sportvereinen, rekrutieren und geben dort ihre Ideologie weiter. Migrantischen Linken, Kurd*innen, Ale­vit*in­nen, Ezîd*innen und anderen Minderheiten sind sie schon lange ein Begriff. Bereits in der Türkei verübten die Grauen Wölfe zahlreiche politische Morde und Pogrome gegen Ale­vit*innen, wie beispielsweise in Kahramanmaraş 1978, Çorum 1980, Sivas 1993.

Anschlag auf den Papst

Auch in Europa gab es Anschläge, so wurde beispielsweise das Attentat auf Papst Johannes Paul II. 1981 in Rom von einem Anhänger der Grauen Wölfe verübt. In Dortmund wurde erst letzten Mai der kleinwüchsige Kurde Ibrahim Demir von einem Anhänger der Grauen Wölfe zu Tode getreten. Im Juli haben Graue Wölfe in Wien eine Demonstration von Kurd*innen und das linke Zentrum Ernst-Kirchweger-Haus angegriffen. Man könnte die Liste fortsetzen.

Frankreich ist nicht das erste Land, dass gegen die Grauen Wölfe vorgeht. So sind seit letztem Jahr beispielsweise in Österreich die Zeichen der Grauen Wölfe und der Wolfsgruß (entspricht dem Schweigefuchs: Zeigefinger und kleiner Finger nach oben gereckt, Ring und Mittelfinger berühren den Daumen) verboten. Auch Deutschland sollte nun endlich nachziehen.

Weshalb man hierzulande bisher aber kaum gegen die Grauen Wölfe vorgegangen ist, kann mehrere Gründe haben. Zum einen sind es die engen Beziehungen zum Nato-Partner Türkei. Die türkische Regierungspartei AKP bildet ein Wahlbündnis mit der rechtsextremen MHP, als deren paramilitärischer Arm die Grauen Wölfe gelten. Nach dem Verbot der Zeichen der Grauen Wölfe in Österreich hat es heftige Proteste des türkischen Außenministeriums gegeben.

Ein anderer Grund mag sein, dass sich sich der Terror der Grauen Wölfe vor allem gegen andere migrantische Gruppen richtet. In der öffentlichen Wahrnehmung werden dann häufig Narrative wie beispielsweise „Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Türken“ reproduziert und unter „Ausländerkriminalität“ subsumiert. Ein dritter Grund, und das betrifft eher Teile des linksliberalen Spektrums, mag sein, dass ein Verständnis dafür fehlt, dass auch nicht weiße Menschen oder People of Color rassistisch und rechtsextrem sein können.

Linke fordert Verbot

Kurz nach den letzten terroristischen Anschlägen in Frankreich forderte die Linkspartei ein Verbot der Grauen Wölfe in Deutschland. Sie seien „eine der größten rechtsextremistischen und verfassungsfeindlichen Organisationen in Deutschland“, sagte Linken-Außenexpertin Sevim Dağdelen. Immerhin.

Ein Verbot der Grauen Wölfe wäre also auch in Deutschland ein erster Schritt. Es wäre ein wichtiges Signal dafür, dass ihre menschenfeindliche, antidemokratische Ideologie hier nicht geduldet wird. Es wäre ein Zeichen für eine pluralistische, offene Gesellschaft und gegen jeden Faschismus, egal woher er kommt.

Ein Verbot alleine wird aber nicht reichen. Die Grauen Wölfe werden sich auch nach ihrem Verbot unter anderen Namen und im Untergrund organisieren. Auch Aufklärung und politische Bildung wird hier wichtig sein. Und darüber hinaus: Rechtsextreme organisieren sich wie Islamist*innen transnational. Um gegen die türkischen Rechtsextremen vorzugehen, sollten die europäischen Staaten zusammenarbeiten. Denn die Grauen Wölfe sind international vernetzt. Diejenigen, die gegen sie kämpfen, sollten es auch sein.

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Kolumnistin, Autorin, Lyrikerin und Journalistin. Schreibt zusammen mit Cemile Sahin die Kolumne OrientExpress

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Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

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■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

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