Radikalisierter Corona-Protest: „Das können wir nicht akzeptieren“

Der Coronaprotest radikalisiert sich weiter, Behörden verurteilen die bisherigen Gewalttaten. Ein Experte sieht weitere Delikte voraus.

Ein zerbrochenes und verrußtes Fenster des Robert Koch Instituts in Berlin nach dem Brandanschlag

Ein zerbrochenes und verrußtes Fenster des Robert-Koch-Instituts in Berlin nach dem Brandanschlag Foto: Annette Riedl/dpa

BERLIN taz | Die Vorfälle häufen sich. Eine Demonstration von GegnerInnen der Corona-Maßnahmen am Sonntag in Berlin, wo PolizistInnen angegangen und ihre Einsatzwagen blockiert wurden. Flashmobs, bei denen Protestierende ohne Maske durch Einkaufszentren und Bahnen zogen und mit Sicherheitskräften rangelten. Eine aufgehängte, strangulierte Puppe mit einem „Covid-Presse“-Schild in Minden. Und ein Brandanschlag auf das Robert-Koch-Institut (RKI) und Beschädigungen von Kunstwerken auf der Museumsinsel in Berlin, die beide im Visier des Spektrums stehen. Radikalisiert sich der Corona-Protest weiter?

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) fand am Montag warnende Worte. „Wir beobachten, dass der Regelbruch und die Gewaltbereitschaft zunehmen. Das können wir nicht akzeptieren.“ Die Demonstration am Sonntag in Berlin habe dies erneut gezeigt. Geisel äußerte sich auch besorgt über den Brandanschlag auf das RKI. Die Ermittlungen blieben hier abzuwarten. Sollte es aber einen Zusammenhang mit den Corona-Protesten geben, sei „die rote Linie überschritten“. Das Institut schütze die Bevölkerung vor Krankheiten. „Wie verblendet muss man sein, um Brandsätze gegen eine solche Institution zu werfen? Ich bin erschüttert, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ins Visier genommen und damit die Grundlagen einer aufgeklärten, auf Forschung und Fakten basierten Gesellschaft in Frage gestellt werden.“

Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) beschäftigten die Vorgänge. Ein Sprecher betonte ebenfalls, dass beim RKI und der Museumsinsel die Ermittlungen abzuwarten seien. Das Protestgeschehen aber werde „aufmerksam verfolgt“. Die Corona-Protestierenden seien „äußerst heterogen“, weshalb keine allgemeine Aussage zur Gewaltbereitschaft möglich sei. Einzelne seien aber bereit, „Gewalt zur Verwirklichung ihrer Ziele einzusetzen“. Dies habe sich am Wochenende in Berlin gezeigt oder auch schon bei den Ausschreitungen Ende August vor der Russischen Botschaft. Am gleichen Tag stürmten damals Demonstrierende die Reichstagstreppen, unter ihnen etliche Reichsbürger.

Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang hatte zuletzt vor rechtsextremen Instrumentalisierungsversuchen des Corona-Protests gewarnt. Eine erhöhte Gewaltbereitschaft, auch durch stärkere Beschränkungsmaßnahmen der Regierungen, sei dagegen „noch nicht belastbar prognostizierbar“, sagte seine Sprecherin der taz. In Sicherheitskreisen wird aber darauf verwiesen, dass zumindest die Teilnehmerzahl der Demonstrationen zuletzt deutlich gesunken sei.

„Radikalisierung fällt nicht vom Himmel“

Eine geringere Radikalisierungsgefahr bedeutet das indes nicht, im Gegenteil. Der Bielefelder Sozialforscher Andreas Zick betont, dass die Corona-Proteste von Beginn an auch Gewaltphantasien befördert hätten, befeuert etwa vom Verschwörungsanhänger Atilla Hildmann. „Die Radikalisierung fällt nicht vom Himmel.“ Die Szene inszeniere fortwährend Feindbilder und sich selbst als Widerstandsbewegung. Gegen die Corona-Einschränkungen werde sich immer aggressiver gewehrt, die Regierung zur Gegnerin erklärt, einige wähnten das Grundgesetz außer Kraft. „Da überrascht es nicht, wenn sich Gewaltbereite andocken“, sagte Zick der taz. „Die Gefahr von Gewalttaten ist sehr real, auch weil diese in der Szene als Widerstandsakte legitimiert werden.“

Zu den Anschlägen auf das Robert-Koch-Institut und die Museumsinsel ermittelt die Berliner Polizei noch in alle Richtungen. Auf der Museumsinsel waren rund 70 Kunstwerke mit einer öligen Flüssigkeit bespritzt worden. Der Verschwörungsmythiker Hildmann hatte das Museum zuvor als Kultstätte für Satanisten bezeichnet. Zu dem Anschlag meldeten sich laut einer Polizeisprecherin inzwischen 240 BesucherInnen, die am Tattag am 3. Oktober im Museum waren, mit Hinweisen. Dazu kämen 17 weitere Hinweise. Tatverdächtige gebe es aber weiter ebenso wenig wie beim Anschlag auf das RKI.

Dort hatten Zeugen mehrere Personen gesehen, die Brandsätze warfen und fliehen konnten. Teile der Fassade wurden verrußt, eine Fensterscheibe ging zu Bruch. Die Polizei hält hier ein Bezug zu den Corona-Protesten für möglich, da das Institut in der Szene zentral in der Kritik steht und es einen zeitlichen Bezug zum jüngsten Protestwochenende in Berlin gibt.

Protestierer überkletteren Gitter, ein Polizist wurde gebissen

Zu der Demonstration am Sonntag berichtete die Berliner Polizei inzwischen von 50 Festnahmen und 64 Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, tätlichen Angriffs oder versuchter Gefangenenbefreiung. 18 Beamte seien verletzt worden. Die große Mehrzahl der Protestierenden habe weder Masken getragen noch Mindestabstände eingehalten. Aufforderungen der Polizei seien ignoriert worden, einige Protestierer hätten versucht Absperrgitter zu überklettern, eine Frau biss einem Polizisten in die Hand. In 71 Fällen seien nun Ordnungswidrigkeitenanzeigen wegen Verstoßes gegen die Infektionsschutzverordnung gefertigt worden.

Dass die Protestierenden in Berlin dennoch lange ungestört agieren konnten, führt nun zu Kritik. „Der Polizeieinsatz war ein komplettes Desaster“, erklärte die Berliner Grünen-Bundestagsabgeordnete Canan Bayram. Sie beobachtet die Corona-Demos schon seit Monaten, auch die am Sonntag in Berlin. Dort seien viel zu wenig Beamte vor Ort gewesen, auch bei Provokationen sei kaum eingeschritten worden, kritisiert Bayram. „Es gab keine Strategie, um die Infektionsschutzmaßnahmen durchzusetzen. Auch die Beamten waren so Ansteckungsrisiken schutzlos ausgeliefert.“

Bayram glaubt, dass solche Erfahrungen der Szene Auftrieb geben. „Schon zuletzt wurde der Corona-Protest immer homogener, der Hass auf die Regierung radikalisierte sich“, schildert die Grüne ihre Beobachtungen. „Diese Gefahr wird immer noch massiv unterschätzt.“

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