Real Madrid im Alarmzustand: Lahme Senatoren

Real Madrid weist bei der Pleite gegen Donezk starke Krisensymptome auf. Trainer Zinédine Zidane wird vor dem Duell gegen Barça bereits angezählt.

Zinédine Zidane im Anzug, im Hintergrund der grüne Rasen

Nicht mehr sakrosankt: mögliche Nachfolger von Zinédine Zidane werden bereits gehandelt Foto: reuters

MADRID/taz | Man könnte es natürlich auf die einfachen Dinge reduzieren. Das kleine Ersatzstadion, in dem Real Madrid derzeit wegen Umbauarbeiten und des Corona-Fanausschlusses spielt. Das verletzungsbedingte Fehlen des furchteinflößenden Kapitäns Sergio Ramos. Wie sollte den Ukrainern und Brasilianern von Schachtjor Donezk da die Angst in die Glieder fahren, die während vieler historischer Schlussoffensiven noch fast jeden Gegner befiel? Und dann annullierte der Videoschiedsrichter in der Nachspielzeit auch noch den vermeintlichen Ausgleichstreffer wegen passiven Abseits.

Selbst geneigte Beobachter von Real Madrid mochten dieses 2:3 (0:3) zum Champions-League-Auftakt allerdings nicht vom Ende, sondern vom Anfang her sehen. Wenn gegen ein Rumpfteam, das ohne acht Covid-infizierte Profis auskommen musste, die Mystik beschworen werden muss, dann liegen fußballerische Schwächen vor. Wenn der Gegner zusätzlich zu den Treffern drei weitere Male allein vor dem Tor auftaucht, gibt es wohl Probleme bei Einstellung und Physis. Wenn man sich seinerseits kaum Chancen herauskombiniert, dann ist das eigene Spiel zu langsam. Und wenn man vier Tage zuvor bei einer 0:1-Heimniederlage gegen Aufsteiger Cádiz schon dieselben Symptome dargelegt hatte, dann steckt Real Madrid offenkundig in der Krise.

Wenn als nächstes Spiel auch noch der Clásico beim FC Barcelona ansteht, dann schrillen endgültig die Alarmglocken. „Schamesröte“ titelt As, „jeden Tag schlimmer“ und „freier Fall“, schlagzeilt Marca. Im Inneren der Aufschlagsseiten wird sogar das vermeintlich Undenkbare diskutiert: eine Entlassung von Trainer Zinédine Zidane, dem gefeierten Architekten von drei Champions-League-Siegen zwischen 2016 und 2018.

Durchaus glaubwürdige Stimmen sehen seinen Stuhl schon im Fall einer deftigen Pleite am Samstag wackeln. Andere zählen noch das Champions-League-Spiel in Mönchengladbach am Dienstag zur Schicksalswoche. Sogar Namen möglicher Nachfolger geistern schon durch die Stadt: Klubikone Raúl, zuletzt Champions-League-Sieger mit Reals A-Jugend. Sowie der ehemalige Tottenham-Trainer Mauricio Pochettino, ein alter Favorit der Klubführung und anders als bei früheren Anwerbeversuchen derzeit ohne Job.

Große Heldentaten passé

Erst vor drei Monaten wurde Real spanischer Meister, da war von solchen Szenarien natürlich keine Rede. Hinweise auf eine seltsame Häufung von Schiedsrichterglück und das schwache Niveau der Konkurrenz konnten als Genörgel abgetan werden. Zwar deutete das Champions-League-Aus gegen Manchester City an, dass die großen kontinentalen Heldentaten erst mal passé bleiben würden. Im Spitzenvergleich wirkt das Mittelfeld zu lahm, der Angriff nicht hochkarätig genug. Aber für den Alltagsgebrauch schien Madrid stabil genug: vorige Saison stellte es mit 25 Gegentreffern die beste Defensive in Europas großen Ligen.

Für den Geschmackder Trainer-Kritikerhat Zidane zu viel Klasse verschenkt

Auf dieser Basis sollte Zidane eine weitere Saison überbrücken, während sich Real im „Warten auf Godot“ übt, wie As die jährlich ausgerufene und dann wieder verschobene Shopping-Offensive auf Kylian Mbappé (Paris St.-Germain), aber auch Eduardo Camavinga (Rennes) oder Paul Pogba (Manchester United) bespöttelt. In Covid-Zeiten ist für solchen Luxus kein Geld da, außerdem muss ja der Stadionumbau bezahlt werden.

Daher kam als Neuzugang nur der Norweger Martin Ödegaard von einer Parkstation in San Sebastián zurück. Andere Leihprofis wie die Außenbahnspieler Achaf Hakimi (vorher Dortmund, jetzt Inter) oder Sergio Reguilón (Sevilla, jetzt Tottenham) wurden weiterverkauft. In Gareth Bale (Tottenham) und James Rodríguez (Everton) gingen außerdem zwei Stars, aber die wollte Zidane so dringend loswerden, dass Real sie gratis abgab und für Bale sogar noch das halbe Gehalt zahlt.

Auch solche Capricen erklären jetzt Zidanes heikle Position: für den Geschmack seiner Kritiker hat er zu viel Klasse verschenkt. Der Trainer kann nur hoffen, dass sich die Mischung aus altgedienten Senatoren und Talenten seines Vertrauens wieder ähnlich am Riemen reißt wie in der Vorsaison. „Ich sehe mich in der Lage, das zu regeln“, sagt er. Viel Zeit bleibt ihm offenbar nicht mehr.

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