„Seapunks“ über Seenotrettung: „Punk bedeutet selber machen“

Drei Brüder nennen sich Sea Punks und wollen mit einem Schiff Geflüchtete im Mittelmeer retten. Sie sprechen über Ungerechtigkeit, Aktivismus – und Punk.

Drei Männer stehen vor einem Schiff, das an Land aufgebockt ist

Die Seapunks vor ihrem Schiff: v.l.n.r Gerson, Raphael, Benjamin Reschke Foto: Stefan Unger

taz: Bad Kreuznach ist weit weg vom Meer. Nur einer von Ihnen hat beruflich mit Schiffen zu tun. Dennoch haben Sie sich dazu entschlossen, mit einem Schiff Menschen aus dem Mittelmeer zu retten. Wie kam es dazu?

Benjamin: Die Idee kam super spontan. Vor circa einem Jahr haben wir mit unserem Vater einen Kurztrip mit dem Wohnmobil gemacht. Abends, nach ein paar Bier, hat Raphael erzählt, dass er ein Schiff gefunden hat. Er meinte, das Schiff sieht aus wie ein Seenotrettungstanker, nur etwas kleiner und älter. Dann haben wir über Seenotrettung gesprochen.

Wir sind alle drei politisch aktiv und kamen dann auf die Schnapsidee, den alten Kahn zum Seenotrettungsschiff umzubauen. Am nächsten Tag war die Idee immer noch da und hörte sich auch noch immer gut an. Wir wollten die Idee nicht einfach liegen lassen. Wenn das jeder macht, passiert ja nichts.

Das Schiff trägt den Namen „Rise Above“. Was hat es damit auf sich?

Gerson: So lautet der Titel eines Songs der Punkband Black Flag. Darin geht es um die Unterdrückung von Schwächeren und darum, sich darüber hinwegzusetzen. Es sind nämlich die Schwächeren, die unter Unterdrückung, gesellschaftlich wie kapitalistisch, leiden und deshalb fliehen müssen. Es geht um die, die keine andere Wahl haben, weil das System so ist, wie es ist.

Sie verknüpfen Musik mit politischem Aktivismus. Benjamin spielt in einer Punkband, sie nennen sich Sea Punks. Welchen Einfluss hat Punk auf Sie und Ihre Arbeit?

Gerson: Punk ist für mich eine Lebenseinstellung, auf politischer und gesellschaftlicher Ebene. Es schwingt immer mit, wie man Dinge angeht. Punk bedeutet auch ein Stück weit, etwas selbst zu machen.

Benjamin: Gerade Punk verkörpert dieses Lautwerden, seine Meinung laut zu äußern. Man darf auch mal wütend auf die Gegebenheiten sein. Für uns hatte das ganze Projekt von vorne rein einen musikalischen Aspekt. Wir hatten schon immer Lust, Soliveranstaltungen zu organisieren und Leute damit abzuholen. Wir wollen zeigen: Hey, du kannst etwas machen – mit oder ohne Kohle.

Während Sie das Schiff umbauen, sterben weiter Menschen im Mittelmeer. Gleichzeitig wird die zivile Seenotrettung behindert. Was löst das in Ihnen aus?

haben gemeinsam mit ihrem Bruder Raphael Reschke, 33, ein Schiff gekauft, um Flüchtende in Seenot auf dem Mittelmeer zu retten. Zusammen nennen sie sich „Sea Punks“. Raphael ist Schiffsmechaniker, Gerson arbeitet als Filmmacher und Benjamin ist Sozialarbeiter.

Benjamin: Wut, aber auch Motivation und Mut. Da bleibt die Punkattitüde, sich dagegen zu stellen und zu sagen „Jetzt erst recht.“ Je mehr Leute dich scheiße finden, umso mehr hat man selbst Bock. Wie es bei Feine Sahne Fischfilet heißt: „Wenn wir sehen, dass ihr kotzt, geht es uns gut.“ Aber andererseits löst das auch Verzweiflung aus. Gerade das Thema Moria geht uns sehr nahe. Da sitzt du daheim, das Lager fackelt ab, und du weißt einfach nicht mehr, was du dazu sagen sollst. Da fällt dir nichts mehr ein.

Verkehrsminister An­dreas Scheuer behindert zivile Seenotrettungsorganisationen und blockierte mit der Reform der Schiffssicherheitsverordnung Anfang März das Auslaufen vieler Schiffe. Wie sind Sie mit den Auflagen umgegangen?

Im März 2020 veranlasste das Bundesverkehrsministerium die Reform der Schiffssicherheitsverordnung und der See-Sportboot-Verordnung. Sportboote, die für Freizeitzwecke gebaut und als solche registriert sind, dürfen nicht für andere Zwecke – etwa der Seenotrettung – eingesetzt werden. Bis dahin galten Seenotrettungsschiffe als Freizeitboote und mussten keine Schiffssicherheitszeugnis vorlegen, wie es etwa kommerziell genutzte Schiffe brauchen. Im April 2019 war die Berufsgenossenschaft Verkehr mit einer entsprechenden Regelung vor dem Oberverwaltungsgericht gescheitert, damals untersagte die Behörde das Auslaufen der „Mare Liberum“. Das Gericht urteilte, Freizeit schließe auch gemeinnützige und humanitäre Tätigkeiten ein. Im März ersetzte das Ministerium „Sport- und Freizeitzwecke“ durch „Sport- und Erholungszweck“, wodurch ein Schiffssicherheitszeugnis für Seenotrettungsschiffe zur Pflicht wird. Im Oktober urteilte das Verwaltungsgericht Hamburg, die Reform des Verkehrsministeriums verstoße gegen geltendes EU-Recht.

Gerson: Diese ganze Verordnung hat bei uns erst mal einen richtigen Schlag getan – moralisch wie auch finanziell. Das Budget musste von jetzt auf gleich verdoppelt werden. Wir konnten viele Teile nicht mehr selbst einbauen, und diverse Arbeiten mussten an externe, zertifizierte Firmen abgegeben werden. Außerdem brauchen wir Unmengen an Gutachten. Das hat uns finanziell so zwischen drei und fünf Monaten Einsatzzeit gekostet.

Benjamin: Die Verordnung ist einfach absurd. Vorher sind alle Schiffe als Freizeitschiffe unterwegs gewesen, weil wir aus privater Initiative gehandelt haben. Auch da waren gewisse Sicherheitsbestimmungen vorgeschrieben. Jetzt kommt jemand daher und meint, die Sache sei gar nicht so privat. Wir müssen nun die Bestimmungen eines Kreuzfahrtschiffs oder Öltankers erfüllen. Wie eben jemand, der damit Geld verdient. Nur verdienen wir kein Geld.

Kürzlich hat das Verwaltungsgericht Hamburg Scheuers Reform für europarechtswidrig erklärt. Waren die Umbauten nun alle überflüssig?

Mission Lifeline, ein Verein aus Dresden, wurde 2016 gegründet. Mit Spendengeldern finanzierte der Verein den Kauf zweier Schiffe – die „Lifeline“ und die „Eleoniore“ – und Einsätze zur Seenotrettung im Mittelmeer. Nach eigenen Angaben konnte Mission Lifeline damit über eintausend Menschen das Leben retten. Das zweite Schiff des Vereins, „Eleonore“, wurde vor rund einem Jahr von italienischen Behörden beschlagnahmt, nachdem Kapitän Claus-Peter Reisch entgegen behördlicher Anweisungen in den sizilianischen Hafen Pozzallo einlief. An Bord waren 101 in Seenot gerettete Personen. Der Verein unterstützte die Sea Punks beim Kauf des Schiffs.

Gerson: Nein, das sicher nicht. Viele Umbauten sind noch im Gange, die müssen noch abgeschlossen werden. Wir wollen die auch noch umsetzen, damit wir auf der sicheren Seite sind. Wir dürften zwar sofort rausfahren, aber die Gefahr, in anderen Ländern festgesetzt zu werden, besteht immer noch. Deshalb brauchen wir das Schiffssicherheitszeugnis. Außerdem müssen wir aufpassen. Zwar hat „Mare Liberum“ (ein anderes Rettungsschiff; d. Red.) in erster Instanz einen Erfolg für uns erzielt, in Stein gemeißelt ist aber noch nichts.

Mit Blick etwa auf die Lager in Griechenland: Haben Sie noch Vertrauen in die EU und deren Politik?

Gerson: Die Europäische Union ist an sich die einzig gute Lösung. Auch beim politischen Personal gibt es tolle Leute. In Brüssel sitzen Leute, die wichtige Arbeit leisten, wie etwa Erik Marquardt von den Grünen. Das große Problem ist nicht die EU, sondern der Kapitalismus. Ich würde gern in einem Europa leben, das nicht seinen ganzen Wohlstand auf der Ausbeutung des globalen Südens aufbaut. Wir müssen diesen Leuten ihren Anteil abgeben, den sie durch ihre Arbeit auch verdient haben.

Mich kotzt es an, wenn von Hilfe vor Ort gesprochen wird und damit dann Entwicklungshilfe gemeint ist. Das ist völliger Unsinn. Entwicklungshilfe ist Teil eines immer noch praktizierten kolonialistischen Systems. Wir brauchen fairen Handel, faire Bedingungen für alle Teile der Welt. Dann würde die Flucht von vielen Menschen schon verhindert werden.

Sie zeigen, wie politischer Aktivismus auch ohne Erfahrung laufen kann. Was können Menschen tun, die bislang noch nicht aktiv sind?

Benjamin: Am Ende das Gleiche wie wir. Sie können auch auf so eine verrückte Idee kommen und die dann umsetzen. Wenn wir das können, kann es jeder. Man braucht keine besonderen Fähigkeiten, man muss kein Profi oder Seemann sein. Klar ist so ein Projekt eine große Herausforderung, aber es ist keine große Kunst. Auch wer keine Kohle hat, kann etwas Sinnvolles machen. Am Ende ist es aber egal, was du machst. Ob es Inte­gra­tions­arbeit hier vor der Haustür oder ob es das Veranstalten einer Demo ist. Wenn man eine gute Idee hat und sie umsetzen kann, muss man es einfach machen.

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