Schwieriger Zugang zu Abtreibungen: In die Grauzone gedrängt

Immer mehr Frauen wenden sich für eine Abtreibung an die Organisation Women on Web – und meiden so das reguläre Gesundheitssystem. Warum?

Eine Demonstrantin hält ein Schild mit der Aufschrift: Free, safe, legal, Abortion Access Now !!

„Frei, sicher, legal“ sind Abtreibungen in Deutschland nicht: Deswegen muss Women on Web ran Foto: dpa

BERLIN taz | Es liest sich wie ein Protokoll über den Stand reproduktiver Rechte in Deutschland. For­scher*in­nen sind der Frage nachgegangen, wieso einige Schwangere einen Abbruch bei der Organisation Women on Web einer Behandlung im Gesundheitssystem vorziehen.

Üblicherweise gehen Schwangere in Deutschland zum medikamentösen Abbruch in die Arztpraxis, um die erste Tablette zu schlucken, die zweite wird zu Hause eingenommen. Women on Web hingegen ermöglicht, den Abbruch komplett zu Hause vorzunehmen: Die Wirkstoffe Mifepriston und Misoprostol werden der Schwangeren per Post zugeschickt, ein Hilfetelefon steht rund um die Uhr zur Verfügung.

Rechtlich agiert die Organisation in einer Grauzone: Zwar ist es nicht illegal, Tabletten zu versenden und Hinweise zur Einnahme zu geben. Weil die Schwangere die verpflichtende Beratung, die dreitägige Wartefrist und eine Arztbehandlung damit jedoch umgeht, verletzt sie das Strafgesetzbuch.

Dennoch steigen die Anfragen an Women on Web stetig an, seit die kanadische Organisation im April 2019 ihre Arbeit in Deutschland aufgenommen hat. Allein bis zum Jahresende nahmen 1.090 Schwangere an einer Onlineberatung teil, die Voraussetzung für die Zusendung der Tabletten ist. Auf den dabei erhobenen Daten sowie 108 E-Mails der Hilfesuchenden basiert die Studie.

Stigma und Tabu durchbrechen

Ihre Ergebnisse beleuchten vielfältige Gründe. „Knapp die Hälfte der Schwangeren entscheidet sich aus dem Wunsch nach Selbstbestimmung und Privatsphäre für eine telemedizinische Abtreibung“, erklärt Margit Endler, eine der fünf Au­tor*in­nen. „Die Betroffenen wollen selbst entscheiden, ob, wo und wann sie den Schwangerschaftsabbruch durchführen.“

Knapp die Hälfte der Befragten wandte sich jedoch aufgrund äußerer Zwänge an Women on Web. Mehr als ein Drittel erklärte, in einem kontrollierenden Umfeld zu leben, sodass die Abtreibung geheim gehalten werden muss. Fünf Prozent berichteten, in einer missbräuchlichen Beziehung zu sein, 6 Prozent suchten nach einer Vergewaltigung Unterstützung. In 40 Prozent der Onlineberatungen werden zudem finanzielle Nöte als Grund für das Hilfegesuch genannt.

Besonders häufig suchten Minderjährige, Menschen in prekären Verhältnissen und ohne gesicherten Aufenthaltsstatus die Unterstützung.

Aus gutem Grund: Krankenkassen übernehmen die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch im Regelfall nicht. Wenn das Einkommen der Betroffenen unter 1.258 Euro im Monat liegt, springt das jeweilige Bundesland ein. Asylsuchende in den ersten 18 Monaten ihres Aufenthalts und Illegalisierte haben gar keinen Anspruch auf Kostenübernahme. Jugendliche bis 16 Jahre benötigen das Einverständnis der Eltern für eine Abtreibung, in der Praxis wird deren Einverständnis häufig bis zum Alter von 18 Jahren eingefordert.

„Der Schwangerschaftsabbruch muss für alle Frauen von den Krankenkassen übernommen werden“, fordert Endler. Dieser sei „grundlegend für ihre sexuelle und reproduktive Gesundheit“. Das forderten am vergangenen Montag auch zahlreiche Initiativen anlässlich des Safe Abortion Day.

„Telemedizin ist eine Möglichkeit, Schwangerschaftsabbrüche stärker an dem Bedürfnis der Frauen nach Privatsphäre oder Geheimhaltung zu orientieren“, sagt Endler. Zudem müssten die Gründe für die Wahl des illegalen Wegs angegangen werden, ergänzt Alicia Baier, Mitbegründerin der Doctors for Choice. „Stigma und Tabu müssen durchbrochen werden, dafür ist die Entkriminalisierung unerlässlich.“

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