Nach dem Coronagipfel: Das Virus gehört zum Alltag

Die Verschärfung der Regeln ist keine neue Dimension des Eingriffs. Sie appelliert an die Vernunft mündiger Bürgerinnen und Bürger.

Eine Menschnemenge, viele tragen Mundschutzmasken

Alltagsszene mit Mundschutzmasken: Passant:innen in der Fußgängerzone in Köln Foto: Christoph Hardt/Future Image/imago

Das Virus ist jetzt seit mehr als einem halben Jahr unter uns. Es ist in dieser Zeit nicht ungefährlicher geworden, und es wird auch nicht verschwinden. Aber – und das ist ein großer Gewinn im Vergleich zur Situation in Deutschland im Februar, März oder April – wir wissen dank immenser internationaler Forschungsanstrengungen und transparenter Kommunikation der neuen Erkenntnisse inzwischen sehr viel mehr über seine Eigenschaften; wir sind in der Lage, es einzuschätzen. Wir können in unserem Alltag mit ihm umgehen.

Das ist die Nachricht, die noch vor Monaten schier unglaublich schien: Wir. Können. Mit ihm umgehen. Und wir können uns und andere schützen. Einigermaßen jedenfalls (keine Frage: diejenigen, die das Verweigern von Masken in S- und U-Bahnen für einen revolutionären Akt halten und Abstandsregeln für überflüssig, sind ebenso rücksichts- wie verantwortungslos – aber sie sind in der Minderheit). Und dies alles können wir auch deswegen so gut, weil wir, anders als viele andere Länder, über die Mittel verfügen, Distanz und Hygiene halten zu können.

Auch die Schnelltests, die demnächst für eine erhebliche Erleichterung der derzeitigen Alltagseinschränkungen sorgen dürften, werden, jede Wette, in großem Umfang zuerst hierzulande verfügbar sein – und nicht etwa in Indien oder Afrika, wo die Menschen sie ebenfalls dringend brauchen. Der Bund stellt daneben zur Förderung der Gesundheit Millionenhilfen zur Umrüstung von Lüftungsanlagen bereit, die hoffentlich nicht nur in den Unternehmen, sondern auch in den Schulen ankommen werden. Das ist, bei allem (im Einzelfall berechtigten) Gejammere über die Einschränkungen, die Maßnahmen und die vielen Verluste eine äußerst komfortable, fast möchte man sagen: privilegierte Ausgangsposition, um mehr als glimpflich durch die Pandemie zu kommen.

Ein zweiter Lockdown, den viele fürchten, erscheint derzeit ebenso unwahrscheinlich wie unnötig. Dass Bund und Länder die Regelungen für private Feiern und die Bußgelder für falsche Namensangaben im Restaurant nun trotzdem noch einmal verschärft haben für den Fall, dass die Zahl der Neuinfizierten drastisch ansteigt, die medizinische Versorgung an ihre Grenzen gerät und die Nachverfolgung der Infektionsketten schwierig wird, ist insofern keine neue Eingriffsdimension. Es ist eine Vorsichtsmaßnahme. Und es ist ein Appell: an die Eigenverantwortung und die Vernunft mündiger Bürgerinnen und Bürger, die diese zu Recht für sich beanspruchen.

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Heike Haarhoff beschäftigt sich mit Gesundheitspolitik und Medizinthemen. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr in einem Kinderheim bei Paris ab 1989 Studium der Journalistik und Politikwissenschaften an den Universitäten Dortmund und Marseille, Volontariat beim Hellweger Anzeiger in Unna. Praktika bei dpa, AFP, Westfälische Rundschau, Neue Rhein Zeitung, Lyon Figaro, Radio Monte Carlo, Midi Libre. Bei der taz ab 1995 Redakteurin für Stadtentwicklung in Hamburg, 1998 Landeskorrespondentin für Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern und von 1999 bis 2010 politische Reporterin. Rechercheaufenthalte in Chile (IJP) und den USA (John McCloy Fellowship), als Stipendiatin der Fazit-Stiftung neun Monate Schülerin der Fondation Journalistes en Europe (Paris). Ausgezeichnet mit dem Journalistenpreis der Bundesarchitektenkammer (2001), dem Frans-Vink-Preis für Journalismus in Europa (2002) und dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse (2013). Derzeit Teilnehmerin am Journalistenkolleg "Tauchgänge in die Wissenschaft" der Robert Bosch Stiftung und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

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