Steigende Coronazahlen in Berlin: Eine Mauer für alle?

Die Brandenburger Regierung denkt über ein Übernachtungsverbot für Berliner nach – und der Berliner Senat über ein nächtliches Alkoholverbot.

Ein Mann in einer Kneipe in Wilmersdorf zapft ein Bier vom Fass

Montagnacht in einer Kneipe in Wilmersdorf. Ist der Hahn bald zu? Foto: Christoph Soeder/dpa

BERLIN taz | „Zwischen uns die Mauer“ hieß am Feiertagswochenende ein Film, der an die Zeit vor dem Mauerfall erinnern sollte. „Zwischen“ hieß da: zwischen Ost-Berlin und West-Berlin. In ein paar Tagen könnte es wieder eine Art Mauer geben, dann aber zwischen Ganz-Berlin und Brandenburg. Denn angesichts drastisch steigender Coronazahlen in der Hauptstadt denkt man in der Brandenburger Landesregierung zwar wegen der starken Verflechtung (noch) nicht an ein Einreise-, aber an ein Übernachtungsverbot für Berliner. Akut könnte das nach jetzigem Stand werden, wenn die Fallzahl in Berlin binnen sieben Tagen pro 100.000 Einwohner über 50 steigt. Am Dienstag waren es 41,5, in Brandenburg hingegen nur 8,6. In Berlin läuft es währenddessen auf ein Alkoholverkaufsverbot ab 23 Uhr hinaus.

Schon bevor am Dienstag die Regierungen beider Länder tagten, hatte Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) zwar angekündigt, Berliner – und damit auch jene aus den vier besonders stark von Corona betroffenen Bezirken – könnten anders als in anderen Bundesländern weiter in Brandenburg übernachten. Das soll aber eben nur gelten, solange ganz Berlin unter der 50er-Grenze bleibt. „Aufgrund der engen Verflechtungen zwischen Berlin und Brandenburg und den Tausenden Pendlern müssen wir jetzt sehr aufpassen, dass diese drastische Entwicklung nicht auf Brandenburg überschwappt“, sagte die Ministerin.

Zuvor hatten die Länder Schleswig-Holstein und Rheinland Pfalz festgelegt, dass einreisende Berliner aus Neukölln, Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Tempelhof-Schöneberg 14 Tage in Quarantäne müssten. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte am Dienstag, es spreche viel dafür, diese Regelung, die auch für einige Städte in Nordrhein-Westfalen gilt, in Bayern gleichfalls anzuwenden. In Berlin ist die Situation aus seiner Sicht „am Rande der Nicht-mehr-Kontrollierbarkeit“.

Innerhalb Berlins gibt es ein Gefälle von der Innenstadt zur Landesgrenze hin. Während der 7-Tage-Wert nach dem Lagebericht des Senats vom Montagabend in Marzahn-Hellersdorf mit 17,4 landesweit und in Steglitz-Zehlendorf mit 26,8 in den Westbezirken am niedrigsten lag, waren die Werte in Mitte und Neukölln – Spitzenreiter mit 87,6 – drei- bis viermal so hoch.

„Grober Unfug“

„Die Lage bei uns ist ernst“, sagt entsprechend auch der Gesundheitsstadtrat von Neukölln, Falko Liecke (CDU), im Gespräch mit der taz. Die Gründe für die hohen Fallzahlen sieht er zum einen in konkreten Feierlichkeiten – es soll beispielsweise Infizierte bei sieben Großhochzeiten Ende September vor allem im Bezirk Tempelhof-Schöneberg gegeben haben, deren Folgen sich nun auf ganz Berlin erstreckten. Auch deshalb bezeichnete Liecke die Erklärung einzelner Bezirke zum Risikogebiet als „groben Unfug“ in einer Großstadt.

Der hohe Anstieg in Neukölln binnen einem Tag könnte zum Teil auch in einem Rückstau der Fallbearbeitung begründet sein, so Liecke. Man sei dabei, das Gesundheitsamt noch einmal deutlich personell zu verstärken. Um ein weiteres rasantes Anwachsen der Fallzahlen zu verhindern, fordert Liecke vor allem spürbare und sichtbare Kontrolle der Party-Örtlichkeiten – gegebenenfalls auch mit Kräften aus anderen, schwächer betroffenen Bundesländern. Lokale, in denen sich wiederholt nicht an die geltenden Regeln gehalten werde, müssten dann „auch mal für 14 Tage geschlossen werden“.

Der Direktor am Institut für Epidemiologie an der Charité, Stefan Willich, kritisierte indes die Fokussierung auf die im Frühjahr festgelegten Schwellenwerte wie die Zahl von 50 Infizierten auf 100.000 Einwohner*innen binnen 7 Tagen. Seine Argumentation im RBB-Inforadio: Weil aktuell mehr getestet werde als im Frühjahr, „ist allein wegen der Anzahl die Wahrscheinlichkeit höher, dass man hier diese Zahl mal überschreite“. Aus seiner Sicht müssten sich die Zahlen zur Einschätzung der aktuellen Lage auf repräsentative Stichproben beziehen, die jetzt erst beginnen.

Der Senat diskutierte währenddessen am Vormittag eine Sperrstunde zwischen 23 Uhr und 6 Uhr. Ob das bedeutete, dass Restaurants, Bars oder Spätverkauf-Läden nur keinen Alkohol mehr ausschenken beziehungsweise verkaufen dürfen oder ob sie dann komplett schließen müssen, blieb bis Redaktionsschluss offen. Konkrete Beschlüsse wollte der Senat erst in einer zweiten Sitzung am Abend fassen und anschließend vorstellen.

Weitere Neuerungen sind dabei dem Vernehmen nach, dass sich nach 23 Uhr nur noch fünf Personen treffen dürfen, die nicht zum selben Haushalt gehören, drinnen generell nur noch 10 statt bisher 25 Menschen privat zusammenkommen dürfen und Ansammlungen in Parks nachts verboten sein sollen – ab wie viel Uhr konkret, war bei Redaktionsschluss noch offen. Die neuen Regeln sind nach taz-Informationen vorerst bis Ende Oktober befristet.

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