Waldbrände im Pantanal in Brasilien: Plaudernde Brüllaffen

Es lohnt sich in diesen Corona-Zeiten, seine Reisenotizen zu durchstöbern. Dabei wird klar, dass so manch ein Naturparadies vermutlich keins mehr ist.

Ein Jaguar zwischen verdorrten Ästen

Ein Jaguar in dem von Waldbränden betroffenen Pantanal Foto: Andre Penner/ap

Mein Vater liebte es, zu verreisen. Von jeder Tour brachte er ein volles Notizbuch mit. „Geistige Notration für schlechte Zeiten“, erklärte er, und wir Kinder schüttelten den Kopf. Als er alt wurde, machten seine Beine nicht mehr mit. Doch nun saß er Tag für Tag an seinem Schreibtisch, studierte seine alten Aufzeichnungen und durchlebte glücklich jede Fahrt ein zweites Mal. Auch heute herrschen ungute Zeiten in Sachen Reisen. Doch auch ich habe über die Jahre Notrationen gesammelt. Und ich teile sie gern. Damit wir nicht vergessen, warum wir gereist sind. Und wieder reisen werden.

„Stahlblaue Morpho-Schmetterlinge trudeln vorbei, als das Kanu den Rio Negro hinuntergleitet. Aus dem vielfältigen Grün des Uferwaldes leuchten knallgelb die Blüten des Ipe-Baumes. Familien stoischer Wasserschweine, überdimensionierten Hamstern nicht unähnlich, wühlen im Schlamm und tauchen erst spät und mit empörtem Husten ab. Ein Schlangenhalsvogel sitzt wie gemeißelt im Baum, schwarz-weiße Scherenschnäbel schnappen in rasendem Flug einen Fisch aus dem Wasser. Farbenprächtige Hühnervögel mit schönen deutschen Namen wie Nachtgesichthokko und Halsringwehrvogel picken im Sand.

Alljährlich von November bis März füllt der Regen im Südwesten Brasiliens eine flache Riesenbadewanne von fast der Größe Rumäniens, das Pantanal. Die Flüsse schwellen an, glucksend und brausend füllen sich die Senken, schließlich stehen bis zu vier Fünftel des Landes unter Wasser, ein amphibisches Paradies, aus dem einzelne Baumgruppen und Hügel ragen.

Ab Juni verdunstet das Wasser.Dann wird es höchste Zeit für die Fische, rechtzeitig Flüsse oder Seen zu erreichen – kulinarische Festtage für Kaimane, denen an immer schmaler werdenden Rinnsalen die Leckerbissen in den aufgesperrten Rachen schnellen. Wie Dutzende dunkle Knubbel ragen ihre Augen knapp über die Wasseroberfläche. Kommt man ihnen zu nahe, tauchen sie ab. Bis zu zweieinhalb Meter lang werden sie, Fischfresser allesamt, die freiwillig Strand und Flussabschnitt räumen, wenn Homo sapiens sich zum Bad begibt.

Seltener ist da schon der Tapir. Schwarzglänzend und kompakt wie eine kleine Lokomotive entsteigt er seinem Morgenbad. Gefährlich ist er nicht. Gefährlicher sind die Pekaris, die vor ein paar Stunden vorbeigezogen sind, wie der Gestank immer noch verrät. Eine Art Wildschweine, die mit ihren mächtigen Hauern sogar Pferde angreifen. Noch gefährlicher sind bloß die wilden Bienen.

Eine Nasenbärenfamilie schnüffelt am Fuß der Bäume, pfiffige Gesichter mit langen Nasen und weißumrandeten Augen, den Schwanz immer schön steil nach oben gereckt. Zwei Schildkröten kopulieren, am tiefsten Punkt einer sandigen Scharte ringelt sich ein Gerippe: „Anakonda“, sagt der Führer. „Verhungert.“ Von fern dringt ein Brausen, wie aufkommender Sturm: Die Brüllaffen plaudern miteinander.

Ein stolzierendes Wahrzeichen

Und überall sind Vögel. Mit schnarrendem „Arra arra“, das Gefieder schimmernd in fast unglaublichem Metallic-Blau, fallen vier Hyazinth-Aras in einen Manduvi-Baum ein. Ein Nandu-Vater führt seine 21 Küken spazieren und zeigt ihnen schon mal, wie man Schlangen aufgreift. Ibisse sicheln mit gebogenen Schnäbeln durch den Schlamm, Geier zerren an einem Pferdekadaver und ein Jabiru-Storch, der größte der Welt und das Wahrzeichen des Pantanal, stolziert auf und ab. Rotstirnblatthühnchen trippeln übers leichte Grünzeug wie der Heiland weiland übers Wasser. „Kleiner Jesus“ nennen sie sie deshalb auch, „Jesus meninho“. 365 Vogelarten wurden bisher im Pantanal gezählt, von 1.784, die man in Brasilien kennt.

Und der Jaguar? Ach ja, der Jaguar. Plötzlich ist er da. Verharrt überrascht 30 Meter weiter vorn auf einem schmalen Uferstreifen am Fluss. „Onca“, sagte der Bootsführer, fast ehrfürchtig. Er hat seinen letzten vor fünf Monaten gesehen, bei seinem Kollegen liegt die Begegnung über ein Jahr zurück. Eine schön gefleckte, alles andere als niedliche Katze steht da, eingefroren für einen Moment, sehr kompakt, sehr muskulös, sehr real. Zwei, drei geschmeidige Sätze dann, schon ist sie im Grün verschwunden.“

Und jetzt brennt auch das Pantanal.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.