Niedersächsische AfD auf Rechtskurs: Bitte unauffällig bleiben!

Die Landespartei rät ihren Mitgliedern, radikale Positionen zu verschweigen, um Waffenscheine und Jobperspektiven nicht zu verlieren.

Zwei Männer und zwei Frauen jubeln, einer davon ist der AfDler Jens Kestner. Er reißt die Arme hoch

Muss die Freude über seine Wahl nicht verbergen, aber vielleicht rechte Positionen: Jens Kestner Foto: Swen Pförtner/dpa

HAMBURG taz | Die AfD Niedersachsen sorgt sich um eine mögliche Beobachtung durch das Bundes- oder Landesamt für Verfassungsschutz. Mit der Wahl von Jens Kestner zum Landesvorsitzenden am 12. September hat der Landesverband den Weg für eine weitere Entwicklung nach rechts geebnet. Interne Handlungsleitfäden, die der taz vorliegen, sollen den Funktionsträger*innen und Mitgliedern der niedersächsischen AfD helfen, als „Beamte, Soldaten und Angestellte des öffentlichen Dienstes“ keine beruflichen Probleme zu bekommen und als „Jäger, Schützen und sonstige Legalwaffenbesitzer“ ihre Waffen zu behalten. Der Tenor der Leitfäden: nach außen möglichst vorsichtig auftreten und Rechtsschutz suchen – auch bei den Gewerkschaften.

In den zwei Leitfäden mit jeweils knapp fünf Seiten wird deutlich: Ein Hinterfragen der eigenen Positionen, welche zur Beobachtung durch die Verfassungsschutzämter führen könnten, ist nicht vorgesehen. Die niedersächsische AfD folgt dem Kurs des Thüringischen Landtagsfraktions- und Landesvorsitzenden Björn Höcke weiter in die politische Fundamentalposition. Das Datum der internen Handreichung offenbart, dass die nicht genannten Autor*innen schon vor der Abwahl der Landtagsfraktionschefin Dana Guth als Landesvorsitzende am vorvergangenen Sonntag diesen Kurs unterstützten.

In dem Leitfaden für „Beamte, Soldaten und Angestellte des öffentlichen Dienstes“ weist die AfD auf das „politische Spannungsfeld zwischen beruflicher Treue und parteipolitischem Engagement“ hin. Offenbar hält sie es zudem für nötig, ihre Mitglieder noch mal daran zu erinnern, dass sie auch wirklich mit ihrem „gesamten Verhalten zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes“ und für „deren Erhaltung“ einzutreten haben.

Die „verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung“ dürften insbesondere von Beamten und Soldaten nicht zu aktiv „bekämpft und diffamiert“ werden. Denn sonst könnten bei Soldat*innen disziplinarische Maßnahmen erfolgen wie etwa die Kürzung der Dienstbezüge, ein Beförderungsverbot, die Herabsetzung in der Besoldungsgruppe oder das Entfernen aus dem Dienstverhältnis. Bei Angestellten des öffentlichen Dienstes seien Abmahnungen bis zur fristlosen Kündigung möglich.

Vorsicht mit Forderungen nach einem Systemwechsel

Die Verfasser*innen des Leitfadens raten deshalb, selbst bei „harschen Anfeindungen durch den politischen Gegner“ sachlich zu bleiben und den Gegner nicht zu verunglimpfen. In einem bestehenden Dienstverhältnis sollte die Aussage, „dass das Demokratieprinzip in Deutschland abgeschafft werden soll“ nicht fallen. Pauschale Forderungen nach einen Systemwechsel seien ebenso zu unterlassen.

Der Leitfaden rät Funktionsträger*innen, pauschale Verurteilungen von Flüchtlingen als „Asylbetrüger“ zu vermeiden

Ausbleiben sollte darüber hinaus, auf dem Feld der Migrationspolitik bestimmte Menschengruppen generell zu verurteilen. Mit anderen Worten: „Pauschalverurteilungen von Flüchtlingen als ‚Asylbetrüger‘ sollten unterbleiben“. Und weil eine menschenverachtende Haltung vielleicht trotzdem bei dem einen oder anderen Gesprächspartner durschschimmern könnte, auch wenn er sich Mühe gibt, Signalwörter zu vermeiden, raten die Autor*innen einfach direkt, „jegliches Gespräch im beruflichen Umfeld über Politik zu vermeiden“.

Außer rhetorischen Hinweisen gibt der Landesverband den Tipp, bei dem Vorwurf eines Treuepflichtverstoßes sofort einen Anwalt hinzuziehen, selbst bei einem Personalgespräch. Die Kosten dafür solle die Allgemeinheit mittragen, denn als eine günstige Alternative zur Rechtsschutzversicherung sei der Beitritt zu einer Gewerkschaft zu empfehlen. Die ständigen Anfeindungen der AfD gegen die Gewerkschaften hindert die Rechten nicht daran, deren Rechtsschutz für Mitglieder ausnutzen zu wollen.

In dem speziellen Leitfaden für „Jäger, Schützen und sonstige Legalwaffenbesitzer“ weist die AfD darauf hin, dass im „Rahmen der Zuverlässigkeitsüberprüfungen“ seit Februar auch eine Abfrage beim Verfassungsschutz über die Betroffenen erfolgen kann. Bisher sei das wegen technischer Probleme noch nicht ganz umgesetzt, aber die Auskünfte würden zukünftig vollumfänglich erfolgen.

Reden ist Silber...

Der Entzug einer Waffenerlaubnis oder eines Jagdscheines könnte sowohl Anhänger*innen des „Flügels“ treffen als auch Mitglieder des Landesverbandes der Jungen Alternative. Beide Strukturen wurden aufgelöst, der Landesverfassungsschutz stuft sie als verfassungsfeindlich ein.

Die anonymen Tippgeber*innen warnen ihre Parteikolleg*innen außerdem vor Denunziationen aus dem Kreise der Jägerschaft und Schützenvereine. Deswegen sollten politische Gespräche „allenfalls mit engen Vertrauten“ geführt werden. Ein Ratschlag sei noch besonders zu beachten: Sollten aus dem Umfeld der Partei tatsächlich verfassungsfeindliche Äußerungen bekannt werden“, einfach widersprechen, sich distanzieren und dokumentieren.

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