Zwei Milliarden ohne sauberes Wasser: Wer steht auf der Leitung?

Vor zehn Jahren erklärten die UNO den Zugang zu sauberem Wasser zum Menschenrecht. Die Coronapandemie und der Klimawandel zeigen, wie schwer das umzusetzen ist. Dabei fehlt es vor allem an Zugängen

So unterschiedlich kann Wasser aussehen: im einen Becher gefiltertes vom Wasserkiosk, im anderen aus dem Viktoriasee in Kenia Foto: Karim Kara

Von Eva Oer

Wenn sich die Weltgemeinschaft nun in diesen Tagen virtuell zur Generalversammlung der Vereinten Nationen trifft, wird auf der Agenda auch der Name Léo Heller zu finden sein. Der Brasilianer ist seit 2014 Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung und wird wie immer auf dem Treffen der Staaten Auskunft geben.

Die Vereinten Nationen hatten sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung schon im Jahr 2010 mit einer Resolution als Menschenrecht anerkannt. Nun also hat die Resolution ihr 10-Jähriges – aber kann einem wirklich zum Feiern zumute sein?

2,2 Milliarden von etwa 7,8 Milliarden Menschen auf der Erde haben laut Unicef keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Wasser. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung, also 4,2 Milliarden Menschen, mangelt es an sicherer Sanitärversorgung, drei Milliarden Menschen fehlen immer noch einfache Handwaschmöglichkeiten mit Wasser und Seife – diese „entsetzlichen Zahlen“ teilte Heller zum Jubiläum im Juli.

Unsägliche Zustände in einer Pandemie. So konnten sich etwa auch die Menschen im gerade abgebrannten Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos von Anfang an schlechter gegen Corona schützen – wegen völlig überbelegter Infrastruktur konnten sie die einfachste Hygieneregel, das häufige Händewaschen, nicht befolgen.

Also gar kein Fortschritt bei den Menschenrechten? Den sehen Expert*innen schon – aber es dauert. Die Resolution sieht Forscherin Jenny Grönwall vom Stockholm Water Institute trotzdem als „bahnbrechend“ an – denn unter anderem legte der UN-Menschenrechtsrat kurze Zeit danach ebenfalls dar, dass das Recht auf Wasser Teil des existierenden internationalen Rechts sei. „Das Ergebnis ist, dass Regierungen der UN-Mitgliedsländer, die den UN-Sozialpakt unterzeichnet haben, nun verpflichtet sind, das Recht auf Wasser zu verwirklichen“, so Grönwall.

Und UN-Berichterstatter Heller, der sich immerhin zwei Amtszeiten lang damit beschäftigte? „Etwas Fortschritt“ sieht der schon und gibt am Telefon auch Beispiele: „Nach der Annahme der Resolution haben einige Länder diese Rechte in ihre Verfassung übernommen“, sagt Heller. „Einige, nicht allzu viele, vielleicht 15. Aber das war ein großer Erfolg, weil es die Gerichte daran bindet.“ Überdies hätten Staaten die betreffenden Rechte auch teils in nationale Gesetze übertragen. Aber vielerorts könnten die Menschen die Rechte nicht einklagen.

Dabei ist die Wasserversorgung in jeglicher Hinsicht ein drängendes Thema. Der weltweite Verbrauch wächst stetig. Nach Angaben des diesjährigen Unesco-Weltwasserberichts hat er sich in den vergangenen 100 Jahren versechsfacht – und pro Jahr steigt er um etwa 1 Prozent an. Das liegt an der wachsenden Weltbevölkerung, was mit einer zunehmenden Verstädterung einhergeht. Aber auch daran, dass sich der Konsum der Menschen und der Wirtschaft verändert hat.

Gleichzeitig sorgt der Klimawandel mit Dürren, Hitzewellen und anderen Wetterextremen für eine höchst unsichere Versorgungslage. Schon jetzt leiden nach Angaben des Reports vier Milliarden Menschen pro Jahr mindestens einen Monat lang unter heftiger Wasserknappheit. Das World Resources Institute hat 2019 die 17 Länder ausgemacht, die am stärksten unter Wasserknappheit leiden, darunter viele Staaten im Nahen Osten und Nordafrika wie Israel, Libanon und Libyen. Auf Platz 16 steht Indien, das mit seinen 1,3 Milliarden Menschen nach China das bevölkerungsreichste Land der Erde ist.

Ob es auch in Zukunft genug Wasser für alle Menschen geben wird, „die Frage kann man ganz schnell und sehr direkt mit Ja beantworten, zumindest wenn wir die globale Brille aufsetzen“, sagt der Wasserexperte Dietrich Borchardt vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Grundsätzlich sei bei dem zu erwartenden Bevölkerungszuwachs eigentlich genug Süßwasser auf der Welt vorhanden – auch, um ausreichend Lebensmittel zu produzieren. Allerdings sei es „nicht überall gleich verteilt. Und wir haben eben auch Menschen dort wohnen und wir sehen Bevölkerungswachstum in Regionen, die nicht über das notwendige Wasser regional verfügen.“

Oft ist das Wasser für den täglichen Verbrauch und für die Landwirtschaft nicht sauber genug. Teils habe es natürliche Gründe, wenn Gewässer versalzen seien, teils belaste zum Beispiel die Landwirtschaft das Grundwasser mit hohen Nitratwerten, wie etwa in Niedersachsen.

Die Wasserqualität ist ein großes Problem, weiß Borchardt. Gerade in den Schwellen- und Entwicklungsländern seien in der Vergangenheit zwar die Menschen mit Trinkwasser durch Brunnen und andere Quellen versorgt worden – allerdings sei dabei nicht an die Abwasserströme gedacht worden. Die Ströme würden vielleicht noch abgeleitet, „aber was weit hinterherhinkt, ist dann der Kläranlagenbau“, sagt Borchardt.

Mit der Coronapandemie wurde Händewaschen wichtiger denn je. Vor allem im globalen Süden ist das jedoch oft unmöglich: weil es zu wenig oder kein sauberes Wasser gibt. Besonders Frauen müssen jeden Liter über weite Strecken nach Hause tragen und sich dicht gedrängt in Schlangen für Wasser anstellen.

Der Zugang zu Wasser wird mit der Klimakrise verschärft. Immer öfter wird Wasser privatisiert oder steht im Konflikt mit Großprojekten, die Fortschritt bringen sollen.

Das war für uns Grund zu sagen: Die taz folgt dem Wasser. Gefördert durch das European Journalism Centre (EJC) und Unterstützung der Bill and Melinda Gates Foundation recherchieren fünf taz-Korrespondentinnen in Lateinamerika, Westasien, Südasien und in Afrika entlang des Nils.

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Wo vielleicht im Oberlauf eines Flusses 100.000 Menschen nun über Sanitäranlagen verfügten, könne es auf der anderen Seite sein, dass mehrere hunderttausend Menschen stromabwärts plötzlich mit verschmutztem Wasser umgehen müssen. Borchardt nennt das den „Rebound-Effekt“.

„Das haben die Vereinten Nationen übersehen, das hat die Entwicklungspolitik übersehen, das ist in den Staaten selbst übersehen worden“, sagt Borchardt. Im Auftrag der UN-Umweltorganisation hat er deshalb mit Kolleg*innen an einer Vorstudie zu einer Beurteilung der Wasserqualität weltweit gearbeitet. „Die Ergebnisse dieser Studie haben dann zu einer UN-Resolution geführt, die dann die UN-Umweltversammlung vor zwei Jahren beschlossen hat – nämlich bis zum Jahr 2025 genau dieses Problem auf der UN-Agenda durchzuarbeiten, eine Problem­analyse zu machen, Lösungsoptionen zu entwickeln und nach Prioritäten vorzugehen.“

Die Wasserqualität ist indessen nicht nur für die menschliche Gesundheit wichtig. Denn Gewässer sind Horte der Biodiversität. „Fakt ist, dass Süßwasser, Flüsse, Seen, sogar das Grundwasser, proportional sehr viel mehr Biodiversität aufweisen, als es Land-Ökosysteme oder auch die Meere tun“, sagt Borchardt.

Das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat 2017 eine Wasserstrategie veröffentlicht mit dem Ziel, „das Engagement im Wasserbereich eng an der Agenda 2030 und an den Menschenrechten auf Wasser­ und Sanitär­versorgung auszurichten“.

Doch obwohl Deutschland ein wichtiger Geber im Wassersektor ist, waren zugleich zuvor weniger Entwicklungsgelder in den Bereich geflossen. Wissenschaftlerin Annabelle Houdret vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik, die den Geldfluss untersucht hat, kommt es so vor, als sei nicht mehr genügend politischer Druck da. „Zwischen 2010 und 2016 haben die deutschen Zusagen um ein Viertel abgenommen“, bemängelt sie.

Wichtig sei auch, „wer wie viel Wasser zu welchen Bedingungen bekommt“, so Houdret. Dabei kommt ins Spiel, was in der Entwicklungspolitik „governance“ genannt wird – im Deutschen wird das unter anderem mit „Regierungsführung“ übersetzt.

„Wenn Sie zum Beispiel Gelder bereitstellen, um Wasser in der Landwirtschaft besser einzusetzen, mit Tröpfchenbewässerung und so weiter, und dann haben aber nur die reichen Bauern Zugang dazu – dann verschärft das den Wassermangel für die Kleinbauern natürlich“, erklärt die Wissenschaftlerin. „Und wenn es unzureichende Governance gibt, dann wird dieses Wasser genutzt von den großen Bauern, um einfach ihre bewässerten Flächen auszudehnen, und nicht um Wasser wirklich einzusparen, was dem Grundwassersystem und der Natur zugute käme.“

Könnte sich das Problem der mangelnden Finanzierung genau jetzt ändern – nun, wo die Pandemie den Regierungen weltweit das Thema Wasserversorgung noch einmal mit Krach auf die Agenda geschubst hat?

Nun ja. Wissenschaftlerin Houdret sagt, einerseits sei das Thema so „natürlich höher auf der politischen Agenda, weil wenn man keine Hände waschen kann, kann man auch die Virusausbreitung nicht stoppen“. Andererseits ist die ökonomische Situation der Geberländer durch Coronalockdowns und andere Konsequenzen der Pandemie schlechter geworden. Schwer zu sagen, wie sich das auf lange Sicht auf den Geldfluss auswirke, so Houdret.

Viele Länder seien auch in puncto Wasserqualität an einem „Scheideweg“, sagt UFZ-Forscher Borchardt. Er hat mit seinen Kol­leg*innen herausgefunden, dass in „Lateinamerika, Afrika und Asien noch ungefähr zwei Drittel der Gewässer, der Fließgewässer vor allen Dingen, eine sehr gute Wasserqualität haben“. Diese intakten Ressourcen gelte es jetzt zu schützen – vonseiten der betreffenden Länder, aber auch mithilfe der internationalen Geberstaaten.

Die UN Water meint es gut, doch sie hat zu wenig Macht

In den Vereinten Nationen ist das Thema einerseits sehr präsent, schließlich reicht es vom persönlichen Bedarf des Einzelnen über die Landwirtschaft und die Energieversorgung in äußerst viele Lebensbereiche hinein. Weil Wasser überall drinsteckt, gibt es auch die Einheit UN Water, die die Arbeit der Unterorganisationen koordinieren soll. Doch sie hat eben wenig Macht. „Wasser ist bei den Vereinten Nationen leider in über 30 Unterorganisationen präsent – UN Water, die das eigentlich bündeln sollten, die haben kein politisches Mandat dafür“, beklagt Houdret. Sie wünscht sich eine übergeordnete Struktur, die „auf hochrangiger Ebene die Mitgliedstaaten vertritt“.

UN-Sonderberichterstatter Léo Heller ist seinem Amt gemäß zurückhaltend. Er lobt UN Water als „wichtigen Mechanismus“, auch wenn es „noch nicht genug“ sei. Die Menschenrechte sauberes Wasser und Sanitärversorgung im Besonderen bekommen jedenfalls auch in der Pandemie keine Ex­trawurst bei der UN-Generalversammlung. Heller wird, wie jedes Jahr, einen Zeitslot haben, über die Privatisierung im Wassersektor und ihre Risiken für die Menschenrechte sprechen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.