Shortlist zum Deutschen Buchpreis: Erinnerung an das Literarische

Von Vereinheitlichung der Literatur kann keine Rede sein. Die diesjährige Shortlist zum Deutschen Buchpreis steht für eine erzählerische Erneuerung.

Die sechs Bücher der Shortlist stehen nebeneinander

Die ganze Bandbreite des Erzählens: die zum Deutschen Buchpreis nominierten Bücher Foto: vntr.media

Wer Thomas Hettches „Herzfaden“ aufschlägt und erst mal darin blättert, darf sich gleich ein bisschen wundern. Die Abschnitte sind abwechselnd in zwei unterschiedlichen Farben gesetzt, Rot und Blau.

Das ist mehr als eine Spielerei. Vielmehr klingelt da sofort etwas. Michael Endes „Unendliche Geschichte“ (eine inzwischen verjährte, aber wichtige Zentralerzählung der alten Bundesrepublik) war in zwei Farben gedruckt. Michael Endes „Jim Knopf“-Romane wiederum waren zentral für den Ruf der Augsburger Puppenkiste. Und genau einen Roman über die Augsburger Puppenkiste (und damit zugleich über die alte Bundesrepublik) erzählt Hettche in „Herzfaden“.

Keineswegs nur aufgrund dieses formalen Aspekts steht Hettches Buch auf der diesjährigen Shortlist zum Deutschen Buchpreis. Aber das Formale transportiert eben gleich etwas vom erzählerischen Durchdringungswillen dieses Buches. Was auffällt: Um diesen Willen scheint es den Juror*innen auf dieser Liste insgesamt zu gehen.

Die marketingoffiziellen und nach außen gerichteten Erneuerungsbewegungen in der deutschsprachigen Literatur liefen zuletzt eher über das Inhaltliche: Geschichten von Arbeiterkindern erzählen, von Migrant*innen, Frauenschicksale erzählen. Darunter und daneben hat es zuletzt aber auch – untergründig durchaus spürbar – formale Erneuerungsbestrebungen gegeben: über Erzähltechniken nachdenken, nicht alles in Romanformen pressen, die Bandbreite an Ausdrucksformen experimentell nutzen.

Diese Shortlist ist nun in vielem die Liste, in der diese Bestrebungen an die Oberfläche kommen. Sie ist eine Erinnerung an das Literarische oder eher: eine Einladung zum Literarischen. Und das wirklich Schöne ist, dass dabei inhaltliche und formale Aspekte zusammenkommen.

Von wegen Historienschmöker

Das gilt keineswegs nur für Thomas Hettche. Dorothee Elmiger bedient sich bei ihrem Buch „Aus der Zuckerfabrik“ essayistischer Techniken. Anne Weber erzählt in „Annette, ein Heldinnenepos“ die Geschichte der französisch-algerischen Widerstandskämpferin Anne Beaumanoir gleich ganz in Versen; und es funktioniert.

Christine Wunnicke schreibt in „Die Dame mit der bemalten Hand“ einen historischen Roman, aber nicht als dicken Historienschmöker, sondern als konzentrierte Sache. Bov Bjerg erzählt seinen Herkunfts-, Aufstiegs- und Depressionsroman „Serpentinen“ sich mosaikartig aus schlaglichtartig aufblitzenden Szenen zusammensetzend.

Und Deniz Ohdes Aufstiegsgeschichte „Streulicht“ ist auf den ersten Blick das konventionellste Buch der Liste; auf den zweiten Blick entwickelt aber gerade der Versuch, auf jegliche erzählerischen Tricks zu verzichten, eine ganz eigene experimentelle Kraft.

Am 12. Oktober wird einem dieser Bücher der Deutsche Buchpreis verliehen. Immer wieder hatte es Sorgen gegeben, dieser Preis würde zur Vereinheitlichung und Verflachung der Literatur führen. Wer auch immer den Preis gewinnt, mit dieser Shortlist kann man schon mal sagen: Nö, von Verflachung kann keine Rede sein. Eher im Gegenteil.

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