Neues Album von Deradoorian: Wegsprengen, was dich begrenzt

„Find the Sun“ heißt das neue Album von US-Musikerin Angel Deradoorian. Esoterische Texte und die Kraft der Musik bekommen darin Raum.

Angel Deradoorian reckt die Hände nach oben. Durch Doppelbelichtung entsteht bei dem Foto ein raffinierter Effekt

Hat ihre Mitte gefunden, ist im Flow: Angel Deradoorian Foto: Sean Stout

Die ersten drei Songs auf dem neuen Album von Angel Deradoorian, „Red Den“, „Corsican Shores“ und „Saturnine Night“, besuchen die Ohren überraschend. Eher gemächlich nisten sie sich in die Gehörgänge ein, werden sesshaft und schicken Freakgrüße an den Künstler Captain Beefheart und den Biologen Terrence McKenna.

Zum Auftakt stochert die 34-jährige US-Künstlerin Angel Deradoorian wie eine Krähe im Nebel, nickt Blueshäcksler Beefheart freundlich zu, bis sie sich im Siebenminüter „Saturnine Night“, angetrieben von einem Motorikbeat, von Traditionen und Vorbildern entfernt und auf Fieldresearch-Modus umschaltet: McKennas buchgewordene Expedition zu den Magic Mushrooms in Kolumbien („True Hallucinations“) hat ihr als Inspiration gedient, aber, gesteht Angel Deradoorian, sie gehe dann doch lieber in Kalifornien zum Wandern als im Unbewussten nach Anerkennug zu suchen.

Man hört das auch an „Find the Sun“, ihrem tollen tiefenentspannten Album. Deradoorian hat offensichtlich ihre Balance gefunden, die Musik leuchtet: „Bei mir geht es um Flow, um Energiefelder“, sagt sie dem Online-Magazin American Songwriter. „Fast alle der neuen Songs sind in mittlerem Tempo, im mittleren Energielevel, das spiele ich nicht sofort aus. Ich lasse die Musik behutsam anfangen mit ‚Red Den‘, wobei mir sein Intro hilft, erst dann besinne ich mich auf die Power, ziehe die Räume der Songs bewusst in die Länge und fuhrwerke dann nomadisch in ihnen rum. Dadurch wird die Musik kopfstärker.“

Erst verwackelt, dann brilliant

Die Reihenfolge der zehn Songs von „Find the Sun“ hat der Künstlerin Kopfzerbrechen bereitet, wie gesagt, der Anfang ist verwackelt, später brilliert sie umso mehr. War ihr Debütalbum „The Expanding Flower Planet“ (2015) als gelungene Emanzipation von ihrer alten Band, Dirty Projectors, verstanden worden, ist das Album Nummer zwei, für das sie sich viel Zeit gelassen hat, nun Deradoorians genuiner Beitrag zur „Headculture“, der kalifornischen Psychedelia.

Mit „Find the Sun“ fügt sie ihr ein tastendes, intuitives, vielschichtiges Werk hinzu. Es handelt beileibe nicht vom Dropout. Nein, nicht aussteigen, einsteigen sollen die HörerInnen, es geht darum, in der Spur zu bleiben und Deradoorian kommt dem mit überzeugenden musikalischen Argumenten bei.

Deradoorian: „Find the Sun“ (Anti/Indigo)

https://deradoorian.bandcamp.com/

„Die Sonne leitet mich, sie spendet mir Licht und Zuversicht. Wie der Albumtitel andeutet, geht es mir letztendlich darum, Stärke zu finden. Das ist gar nicht so esoterisch, denn diese Suche ist mit großer Konfusion verbunden. Durch meine Musik sprenge ich das, was mich begrenzt, weg. Ich meditiere nicht jeden Tag, ich spiele auch nicht die ganze Zeit Musik. Aber in allem, was ich mache, ist Achtsamkeit. Das ist eine echte Herausforderung.“

Aufzählungen, Wortwiederholungen

Wer Aufzählungen und Wortwiederholungen mag, kommt in den Songs des Albums auf seine Kosten: „The Power of Intensity / The Power of Delight / The Power of Desire / The Power of Speed“, singt Deradoorian in „The Illuminator“, ruft das Arsenal der Bewusstseinserweiterungsindustrie genüsslich ab. Das Schöne dabei ist, die astrologischen Buzzwords und verschiedenen Eskalationsstufen transzendentaler Meditation werden durch die konzeptuelle Strenge der Musik woandershin transzendiert. In dem drumlosen Song „Monk’s Robes“ etwa in bukolische Idylle, in „Devil’s Market“, wo Deradoorian eigentlich nur „Say no“ deklamiert, geht es sogar Richtung Coffeehouse-Country à la Dan Hicks.

Viele andere PsychedelikerInnen hadern mit der Einsamkeit, während hingegen Angel Deradoorian betont, wie sehr ihr dieser Zustand behagt. „I’m taking my / Time to be alone / focus the Mind / On doing all my Own“ singt sie in dem Song „Corsican Shoes“.

Psychedelia ist historisch ein stark männlich geprägtes Feld, in dem es auch darum geht, dass Männer selbst beim Egoverlieren noch die Aufmerksamkeit der anderen benötigen. Deradoorian zeigt hier ihre weibliche Sichtweise, klingt selbstloser, fokussierter. „Ja, meine Musik ist zu einem gewissen Grad aus weiblicher Perspektive geschrieben. Mir sind Beziehungen zu anderen immens wichtig, und in dem Text von ‚Corsican Shoes‘ weise ich darauf hin, dass man auch jenseits solcher Konstellationen existiert und Grenzen ziehen muss. Viele Menschen haben große Angst davor, sie selbst zu sein, sie wachsen in einem Umfeld auf, in dem nur die Aufmerksamkeit anderer zählt, um Selbstwertgefühl zu bekommen und akzeptiert zu werden.“

Deradoorian hat die Sonne gefunden und putzt sie nun: „Find the Sun“ ist durch und durch psychedelisch, ein hell strahlender Ruhepol in der sturm­um­tosten düsteren Gegenwart der USA 2020. Bleibt zu hoffen, dass dieser Wattebausch nicht von der Windhose der Zeitläufe zermalmt wird.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.