Biodiversität in isolierten Lebensräumen: Artenschwund rasanter als gedacht

Das Aussterben von Tieren durch Habitatzerstörung wird unterschätzt, sagt eine Studie. Die Ergebnisse könnten aber beim Artenschutz helfen.

Eine durch Rodung entstandene "Waldinsel"

Durch Rodung entstandene „Waldinsel“ in Brasilien: Hier hat es die Artenvielfalt schwer Foto: Mateus Dantas de Paula

Das Artensterben erfolgt vor allem in isolierten Lebensräumen wie Waldabschnitten noch rasanter als bisher angenommen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die am Mittwoch im Fachmagazin Nature erschien. Die Meta-Untersuchung von 123 Forschungsarbeiten deutet darauf hin, dass gängige Vorhersagemodelle zu stark vereinfachen – und den Artenverlust durch Rodungen, Brände, Trockenlegen oder andere sogenannte Habitatzerstörung oft sogar unterschätzen.

Das betreffe beispielsweise auch den viel zitierten Weltbiodiversitätsrat-Bericht von 2019, erklärt Jonathan Chase, einer der Autoren. „Das liegt daran, dass wir bis jetzt keine stichhaltigen Beweise dafür hatten, wie stark Habitatzerstörung über verschiedene Ökosysteme und Arten hinweg tatsächlich ist“, führt der Leiter der Forschungsgruppe Biodiversitätssynthese des Forschungszentrums iDiv weiter aus.

Es gibt bei der Ermittlung des Artensterbens durch Habitatzerstörung zwei konkurrierende Ansätze. Die passive-sampling-Hypothese geht von einer einfachen, linearen Entwicklung aus: Je mehr Lebensraum zerstört wird, desto mehr Arten verschwinden.

Die eco­system-decay-Hypothese hingegen behauptet, dass Habitatinseln – von Feldern umgebene Regenwaldreste oder auch echte Inseln in Stauseen – andere Dynamiken haben als große Lebensräume. So brauchen manche Arten weitläufige Biotope, um sich wohlzufühlen. Diese These ist nicht neu, und es gab auch schon Studien, die sie belegten – im Kleinen. Nun aber konnte das fünfköpfige Forscher:innen-Team validierte Belege für die ecosystem-decay-Hypothese aufzeigen.

Jahrelange Datenrecherche

In vielen Fällen waren die nötigen Angaben zum Artenreichtum von Pflanzen, Vögeln, Fledermäusen, Fröschen oder Insekten in bereits veröffentlichen Studien nicht zu finden. „Oft haben wir die Autoren kontaktiert. Viele von ihnen haben wirklich alles getan, um uns zu helfen: Sei es, alte Notizbücher von Feldarbeiten herauszukramen, längst abgelaufen Software-Versionen oder auch Hardware zu knacken“, so Chase. Bis alles zusammengesammelt war, vergingen Jahre.

Trotz der dramatischen Ergebnisse üben sich die Studienautor:innen in Optimismus. Ein Teilergebnis nämlich ist, dass der Artenrückgang auch davon abhängt, was sich genau um die Habitatinseln herum befindet. Handelte es sich um „eine vogel- oder bienenfreundliche Landwirtschaft, dann war der lokale Artenverlust geringer“, erklärt Co-Autor Felix May. Co-Autorin Tiffany Knight fügt hinzu: „Was uns überrascht hat, war, dass der Verfall von Ökosystemen in den Studien aus Europa dort schwächer ausgeprägt war, wo Lebensräume oft schon vor vielen Hundert Jahren verlorengegangen waren.“

Für Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle passt das letztlich doch ins Bild: „In Gebieten, wo der Habitatverlust nicht so extrem und eher langsam vonstatten ging, haben Tiere und Pflanzen mehr Zeit, sich anzupassen oder einzuwandern.“ Der Biologe stimmt den Studienautor:innen zu, dass man die Ergebnisse politisch nutzen kann, um Forderungen beispielsweise nach Biotopverbünden und dem Erhalt der biologischen Vielfalt insgesamt Nachdruck zu verleihen.

Die Forderung nach weniger Vereinfachung bei der Vorhersage des Artensterbens betrifft auch Settele, der als Co-Vorsitzender den Bericht des Weltbiodiversitätsrats mit verantwortet. Dessen Schätzungen, dass etwa eine Million Arten weltweit vom Aussterben bedroht seien, war öfter als alarmistisch kritisiert worden. „Nun wissen wir, dass wir sogar zu vorsichtig waren“, so Settele.

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