Ein Berliner Abgesang: Ein letztes Mal Tegel, oder?

Mit keinem anderen Ort in Berlin verbindet unsere Autorin so viele Emotionen wie mit dem Flughafen. Nun fliegt sie wohl ein letztes Mal von dort.

Aufnahme im leeren FLughafengebäude Tegel

Leere Shops, kaum Passagiere: Der Flughafen Tegel fristet einsame letzten Tage Foto: Michael Sohn/ap

Acht Jahre ist es her, seit wir vor dem Terminal C des Flughafen Tegels standen und mit zwei Piccolos auf unseren letzten Flug anstießen. Zum 2. Juni 2012 sollte das Gebäude, das nach dem Luftfahrtpionier Otto Lilienthal benannt wurde und den Berlinern ewig der dritte, dann nur mehr der zweite Heimatflughafen war, schließen. Wir alle wissen, was daraus wurde – die Sektkorken hatten wir jedenfalls zu früh knallen lassen.

Die Male, die ich seither wieder von Tegel aus gestartet und ebendort gelandet bin, habe ich nicht mehr gezählt. Irgendwo schlummerte die Hoffnung, dass eine Schließung mit der Zeit einfach in Vergessenheit gerate und das hexagonförmige Hauptgebäude samt angrenzender Terminals dem Flugverkehr der Hauptstadt erhalten bliebe.

Ein durchaus egoistischer Wunsch, der sich aus Nostalgie und reiner Bequemlichkeit speist – schließlich wohne ich keine zehn Minuten mit dem Bus entfernt. Außerhalb der Einflugschneise wohlgemerkt. Während sich die kritische Dezibelgrenze des Fluglärms ellipsenförmig bis nach Spandau im Westen und weite Teile Pankows im Osten erstreckt, ist Moabit trotz Tegelnähe geschützt.

Vor allem sind es aber die Erinnerungen, die mich emotional werden lassen, denke ich an die Schließung. Erinnerungen an meine Kindheit, in der ich, zu klein für eine lange Zugfahrt, allein in eines der Nachbarländer flog. Immer mit einem durchsichtigen Kuvert um den Hals, das meine Reiseunterlagen und einen Hinweis auf meinen Status als UM (unaccompanied minor) enthielt. Das Abfliegen hier schürte freudige Erwartung an die 1.000 Kilometer entfernt lebende Familie – ein Zurückkommen am selben Ort weckte Wehmut.

Fliegen während Corona

Von hier aus bin ich zu einem Austausch in die USA geflogen; krank und unglaublich aufgeregt. Hier habe ich einen tränenreichen Abschied vor meinem Auslandssemester in Argentinien und Freude bei meiner Rückkehr erlebt. Hier habe ich zahlreiche Besucher*innen abgeholt, umarmt und wieder verabschiedet. Mehr unterschiedliche Emotionen verbinde ich mit keinem anderen öffentlichen Ort in der Hauptstadt.

Nun fliege ich recht sicher (oder?) zum letzten Mal von hier ab. Und das in einer Zeit, die nicht ungewöhnlicher sein könnte. Erstmals empfinde ich wieder etwas Aufregung vor der bevorstehenden Flugreise, weiß ich doch nicht, was mich erwartet. Mit der Maskenpflicht in Gebäude und Maschine rechne ich, aber wie macht sich Corona sonst bemerkbar an einem Ort, der sonst unzählige Menschen täglich versammelt?

Der erste Eindruck erinnert an die pandemische Anfangszeit, in der die Straßen leergefegt waren. Auch hier im Hauptgebäude ist es sonderbar still. Nur wenige ringen sich zu Flugreisen durch. Im Gegensatz zu anderen Lebensbereichen, die sich beinahe wieder unangenehm normal anfühlen, ist hier noch spürbar, dass wir uns in einem Ausnahmezustand befinden.

Die Geschäfte sind geschlossen, teilweise leer und das vermutlich nicht nur einer coronabedingten Insolvenz wegen. Sie sind Vorboten eines nahenden Endes – wie der langsame Tod eines sehr großen Tieres.

Anachronistisches Gefühl

Die Abfluganzeige liest sich ungewohnt eurozentrisch; Kopenhagen, Zürich, Paris, London – und natürlich des Deutschen zweites Wohnzimmer Palma de Mallorca. Weiter weg geht es nur in die Türkei, ein angezeigter Flug in Katars Hauptstadt Doha wurde dagegen gestrichen.

Der Flieger ist winzig mit nur zwei Sitzreihen auf jeder Seite. Ein Abstandhalten ist so von vornherein ausgeschlossen. Glück, keinem ausgefeilten Hygienekonzept, verdanke ich einen Sitzplatz ohne Nachbarn. Es werden Getränke gereicht – wenige Auserwählte einer pseudoexistenten Business-Class erhalten sogar etwas zu essen. Warum man daran bei einem einstündigen Flug trotz Corona festhält, erschließt sich mir nicht.

Über mir leuchtet das Nichtrauchersymbol auf. Es kommt mir anachronistisch vor; wer käme in 2020 noch auf die Idee, sich eine Kippe im Flieger anzuzünden? Anachronistisch fühlt sich ohnehin die ganze Flugreise an, und kurz denke ich, dass vielleicht alle Flughäfen einfach schließen sollten.

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Sophia Zessnik ist seit 2019 bei der taz und arbeitet in den Bereichen Kultur und Social Media. Sie schreibt am liebsten über Alltägliches, toxische Männlichkeit und Menschen im Allgemeinen. In ihrer Kolumne „Great Depression“ beschäftigt sie sich außerdem mit dem Thema psychische Gesundheit.

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