Streit über Wahlrechtsreform: Trauerspiel der Union

Der Bundestag soll kleiner werden. Aber statt sich für eine Lösung zu entscheiden, die dem Willen der Wähler:innen entspricht, tricksen CDU und CSU.

Sitze im Bundestag von oben fotografiert.

Corona-Testlauf mit Zetteln: Auf wessen Kosten werden die Sitze demnächst reduziert? Foto: Stefan Boness/Ipon/imago

Hosianna, CDU und CSU haben sich auf eine Wahlrechtsreform geeinigt! Bisher hat die Union versucht, das für sie unangenehme Thema auf die lange Bank zu schieben. Nun scheint sie sich am Freitag Abend nach stundenlanger Diskussion doch noch dazu durchgerungen zu haben, nicht weiter auf Blockade zu setzen. Offenkundig hat der Druck von Grünen, FDP und Linkspartei, die schon längst einen gemeinsamen Vorschlag vorgelegt haben, gewirkt. Das ist erstmal erfreulich.

Alle im Bundestag vertretenen Parteien sind sich einig, dass der Bundestag aufgrund von Überhang- und Ausgleichsmandaten zu groß geworden ist. Mit seinen 709 Abgeordneten liegt er derzeit weit über seiner regulären Größe von 598 Sitzen. Nach der nächsten Wahl könnte er sogar auf mehr als 800 Abgeordnete anwachsen. Die spannende Frage ist allerdings, auf wessen Kosten das Parlament reduziert wird. Genau darum dreht sich der politische Streit.

Die Wahlrechtsreform ist kein Thema, mit dem sich eine Wahl gewinnen lässt. Dafür wirkt die Materie zu trocken, zu bürokratisch. Aber sie ist eminent politisch: Je nachdem für welche Variante sich der Bundestag entscheidet, kann das für den Ausgang einer Wahl entscheidend sein. Denn eine Wähler:innenmehrheit führt nicht unbedingt auch zu einer Mandatsmehrheit. Bei einem knappen Ergebnis kann vielmehr der Umgang mit Überhangmandaten ausschlaggebend sein.

Eigentlich sollte es zumindest unter den demokratischen Parteien den Grundkonsens geben, dass die Zusammensetzung des Bundestags so exakt wie möglich dem Wähler:innenwillen zu entsprechen hat. Der manifestiert sich in einem personalisierten Verhältniswahlrecht wie dem deutschen in den Zweitstimmen.

Das heißt, dass die per Mehrheitswahl vergebenen Direktmandate nicht zu einer groben Verfälschung führen dürfen, weswegen Überhangmandate ausgeglichen werden müssen. Das bedeutet in der Konsequenz: Wer den Bundestag verkleinern will, muss die Direktwahlkreise reduzieren, damit es möglichst wenige, am besten keine Überhangmandate gibt.

Nachdem sich die CSU lange jeglicher konstruktiven Lösung verweigert hatte, hat sie sich nun mit ihrer Schwesterpartei auf eine halbgare Variante geeinigt

Exakt darauf zielt der pragmatische wie praktikable Vorschlag von Grünen, FDP und Linkspartei ab. Danach würde der Bundestag einerseits auf eine Sollgröße von 630 Abgeordneten erhöht und andererseits die Wahlkreise von 299 auf 250 reduziert. Ihr gemeinsamer Gesetzentwurf hat die erste Lesung bereits hinter sich und könnte problemlos schon am Freitag vom Bundestag beschlossen werden. Wird er aber leider nicht. Denn das haben Union und SPD am Mittwochmorgen im Innenausschuss wegen vermeintlich weiterem Beratungsbedarfs verhindert.

Der Grund ist einfach: Vor allem die Union, aber auch die SPD profitieren von den Überhangmandaten. Entsprechend haben sie kein ausgeprägtes Interesse an einer Wahlkreisreduzierung. Nehmen wir nur das Beispiel der CSU: die hat bei der Bundestagswahl 2017 alle 46 Wahlkreise in Bayern direkt gewonnen – bei einem Zweitstimmenergebnis von 38,8 Prozent, nach dem der Partei eigentlich nur 39 Sitze zustünden. Alle „Ideen“ der CSU richteten sich denn bislang ausschließlich darauf, an diesem Ungleichgewicht nichts zu ändern.

Nachdem sich die CSU lange jeglicher konstruktiven Lösung verweigert hatte, hat sie sich nun mit ihrer Schwesterpartei auf eine halbgare Variante geeinigt. Die sieht eine lächerliche Reduzierung der Wahlkreise auf 280 vor, wobei nur zwei in Bayern wegfallen würden. Außerdem sollen bis zu sieben Überhangmandate nicht mehr ausgeglichen werden, was sowohl auf eine Verfälschung des Wähler:innenvotums zu Gunsten der Union als auch entsprechend auf eine Benachteiligung der anderen Parteien hinauslaufen würde.

Das Grundproblem des überdimensionierten Bundestags würde dadurch nicht gelöst. Zudem ist auch noch offen, ob es sich überhaupt um einen wirklich ernstgemeinten Vorschlag handelt. Denn es ist unklar, ob er sich noch bis zur Bundestagswahl im kommenden Jahr realisieren lässt – und ob die Union das überhaupt will. Viel spricht dafür, dass sie nur der SPD den Schwarzen Peter zuschieben will.

Es ist ein Trauerspiel, was die CDU und die CSU da aus durchsichtigen parteiegoistischen Motiven aufführen. Die Frage ist, ob die SPD darauf hereinfällt. Ihre Abgeordneten hätten eine Alternative. Grüne, FDP und Linkspartei haben sie vorgelegt. Die Sozialdemokrat:innen müssten nur das Selbstbewusstsein haben, deren Gesetzentwurf zu einer Mehrheit zu verhelfen. Schade, dass damit leider nicht zu rechnen ist.

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Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Mehrere Buchveröffentlichungen (u.a. „Endstation Rücktritt!? Warum deutsche Politiker einpacken“, Bouvier Verlag, 2011). Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft.

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