Persönliche Erfahrungen mit der Polizei: Kein kollektiver Pranger

Unser Autor kennt Rassismus und Polizeigewalt gut. Warum er trotzdem nicht den kompletten Berufsstand verdammen will, erklärt er hier.

Polizisten mit Helmen, Schildern und Schlagstöckn rennen an einer am Boden liegenden Person vorbei

Genua 2001: Die Polizei und der von ihr erschossene Demonstrant Carlo Giuliani Foto: Charles Rosseau/Ropi

Dieser Text ist Teil einer innerredaktionellen Debattenreihe der taz, ausgelöst durch die Kolumne „All cops are berufsunfähig“. Als pluralistisches Haus verschweigen wir diese Kontroverse um die Arbeit der Polizei und unsere unterschiedlichen Blickwinkel auf diese nicht. Es werden weitere, konträre Texte folgen. Die Beiträge lesen Sie auf unserer Webseite: taz.de/kolumnendebatte.

Im August 1999 nahm ich als Aktivist am Antirassistischen Grenzcamp im sächsischen Zittau teil. Wir wollten ein Zeichen setzen gegen die Flüchtlingspolitik in der Grenzregion zu Polen und Tschechien. Die Grenzzäune gab es damals noch. Wer als Flüchtling versuchte, die Neiße zu überqueren, wurde verhaftet, in Lager gesteckt und abgeschoben. „Kein Mensch ist illegal“, lautete unser Protestslogan.

Zwei Freunde aus meiner Gruppe hatten sich bei einem Verkehrsunfall verletzt. Ich wollte sie zum Krankenhaus fahren. Doch an einer Sperre hielt ein Polizist mich an. „Lassen Sie uns durch, es handelt sich um einen medizinischen Notfall“, rief ich ihm zu. Die Antwort des Polizisten: „Von einem Fidschi lass ich mir gar nichts sagen.“ Ich fühlte mich in diesem Moment wütend und hilflos zugleich. Erst als ein zweiter Beamter dazukam, durfte ich durch.

Eine andere Szene, diesmal im westlichen Teil der Republik, in Göttingen. Die Neonazis marschierten auf, und die Polizei schaute zu. Als wir uns jedoch zur Gegendemo versammelten, blockierten uns die Einsatzkräfte. Auch ich habe da aus vollem Hals „F** the police“ gebrüllt.

Und als der Student Carlo Guiliani bei den Protesten gegen den G8-Gipfel 2001 in Genua von einem Carabiniere erschossen wurde und Polizeieinheiten in der darauffolgenden Nacht eine Schule stürmten, in der wir Aktivist_innen unser Medienzentrum hatten, brüllte auch ich wütend: „Assassini!“ – Mörder. Wie alle, die dabei waren, forderte ich eine Bestrafung der beteiligten Polizisten und ihrer Einsatzleiter.

Diskriminierendes Denken gibt es überall

Doch ich habe auch andere Erfahrungen gemacht. Als Lokalreporter hatte ich 2001 über einen Neonazi-Aufmarsch zu berichten. Nach dem Aufmarsch sah ich mich plötzlich von einer Gruppe Neonazis umzingelt. Einer schlug mir mit der Faust seitlich an den Kopf. Eine Polizistin, die das gesehen hatte, eilte sofort herbei und stellte sich dazwischen. Sie hatte sich selbst in Gefahr gebracht, denn Verstärkung rückte erst kurze Zeit später an. Wäre sie nicht gewesen – ich wäre nicht nur mit einem blauen Auge davongekommen.

Rassismus und Polizeigewalt – ich habe das miterlebt. Dennoch halte ich es für falsch, einen kompletten Berufsstand an den Pranger zu stellen. Denn dann müsste man das mit so ziemlich allen Berufsgruppen tun, nicht zuletzt Journalisten. Wie oft schreiben Zeitungen verächtlich über ganze Personengruppen? Es ist eine Binse: Vorurteile, Rassismus und diskriminierendes Denken gibt es überall.

Den Spruch „Tsching, Tschang, Tschung – Chinesen sind nicht dumm“ habe ich mir erst neulich in einer Sauna wieder anhören müssen. War ganz sicher nicht böse gemeint, allenfalls als schlechter Scherz, über den ich dann mit gekünsteltem Schmunzeln versuchte hinwegzusehen. Unangenehmer fand ich, wie ich vor einigen Jahren in einem schmucken Dorf im Allgäu von den Anwohnern misstrauisch beäugt wurde.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Ich machte einen Abendspaziergang durch die Nachbarschaft, weil mir die verzierten Häuser so gefielen. An der Zahl der Herbergen zu urteilen, müssten sie Touristen gewohnt sein. Doch offenbar nicht ausländisch aussehende. Mit ihren Blicken gaben sie mir sichtlich zu verstehen: Fremde wie ich sind nicht erwünscht.

Selbst im eigenen Umfeld bin ich vor Erwartungen im Zusammenhang mit meiner Herkunft nicht gefeit: Unsolidarisches Verhalten wurde mir vorgeworfen, weil ich die Kolumne „All cops are berufsunfähig“ von Hengameh Yaghoobifarah als „unsäglich“ und „schlimm“ bezeichnete. Dabei sei ich doch auch PoC (Person of Colour).

Bemühen um Sensibilisierung

Manchmal echauffiere ich mich über Rassismus im Alltag, meistens sehe ich darüber hinweg, weil ich es als müßig empfinde, mich über jeden Satz aufzuregen, der mich auf mein Aussehen oder meine Herkunft reduziert. So erlebe ich Rassismus: selten lustig, fast immer nervig, manchmal verletzend.

Trotzdem schätze ich mich einigermaßen glücklich, in einem Staat zu leben, in dem es zivilgesellschaftliche und institutionelle Möglichkeiten gibt, gegen Diskriminierung vorzugehen. In einigen Bereichen, etwa in den Chefetagen, wünschte ich mir mehr Diversität. Aber um Sensibilisierung bemüht man sich vielerorts. Auch bei der Polizei.

Der rot-rot-grüne Senat in Berlin hat erst vergangene Woche ein neues Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet. Macht ein Betroffener glaubhaft, dass er von einer staatlichen Stelle diskriminiert wird, liegt es am Staat, das Gegenteil zu beweisen. Dieses Gesetz wird einem nicht per se davor schützen, nicht doch auf einen rassistischen Polizisten zu stoßen. Doch es gibt einem das Gefühl, dass man den Behörden bei Rassismus nicht hilflos ausgesetzt ist.

Ich empfinde die Polizei hierzulande nicht weniger, aber auch nicht mehr rassistisch als andere Berufsgruppen. Deswegen kollektiv alle an den Pranger stellen? Damit wäre niemandem geholfen. Das ist auch meine Erfahrung.

Felix Lee ist Redakteur für Wirtschaft und Umwelt. Bis 2019 war er acht Jahre China-Korrespondent der taz. Dort erlebte er mit, wie chinesische Polizisten gegen Menschen vorgingen, nur weil sie zur muslimischen Minderheit der Uiguren gehörten. Rechtliche Mittel gegen diese Polizeiwillkür hatten die Betroffenen keine.

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war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz in Peking. Nun ist er in der taz-Zentrale für Weltwirtschaft zuständig. 2011 ist sein erstes Buch erschienen: „Der Gewinner der Krise – was der Westen von China lernen kann“, 2014 sein zweites: "Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Eine Biographie" - beide erschienen im Rotbuch Verlag.

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