Corona in Tönnies-Fleischfabrik: Regionaler Lockdown droht

Der Fall Tönnies schreckt die Politik auf: Krisenstab und Kabinett in NRW beraten über den Corona-Ausbruch in der Fleischfabrik.

Eine Demonstrantin trägt eine Schweinemaske. Im Hintergrund Ein Haus vom betriebsgelände Tönnies.

Als wären Tierschutzaktivist*innen für Tönnies nicht schon genug: Betrieb dicht, Ruf futsch Foto: Friso Gentsch/dpa

GÜTERSLOH/BERLIN afp/epd/dpa | Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) will nach dem schweren Corona-Ausbruch beim Fleischkonzern Tönnies mit dem zuständigen Krisenstab beraten. Er traf am Sonntagmorgen gemeinsam mit seinem Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) in Gütersloh ein.

Die Politiker wollen zunächst mit Mitgliedern des Krisenstabs sprechen, anschließend ist eine Sondersitzung des Landeskabinetts per Videokonferenz geplant, wie eine Sprecherin der Staatskanzlei sagte.

Die Zahl der Corona-Infektionen bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück im Kreis Gütersloh war bis Samstag Nachmittag auf mehr als tausend gestiegen. Von 3.127 Befunden seien 1.029 positiv, sagte der Landrat von Gütersloh, Sven-Georg Adenauer auf einer Pressekonferenz. Der Leiter des Krisenstabes, Thomas Kuhlbusch, berichtete von große Problemen, an die Adressen der Mitarbeiter zu kommen.

Deshalb hätten sich der Kreis und der Arbeitsschutz Zugriff auf die Personalakten der Firma Tönnies verschafft. „Das Unternehmen hatte es nicht geschafft, uns alle Adressen zu liefern“, sagte Landrat Adenauer. „Das Vertrauen, das wir in die Firma Tönnies setzen, ist gleich Null“, so Kuhlbusch.

Lauterbach fordert regionalen Lockdown

Der Chef des Fleischkonzerns, Clemens Tönnies, entschuldigte sich für die Vorkommnisse. „Ich kann als Unternehmer und als jemand, dem es in erster Linie um die Menschen geht, nur in aller Form um Entschuldigung bitten“. Das Unternehmen stehe in „voller Verantwortung“.

Am Nachmittag wollen sich Laschet und Laumann demnach vor der Presse äußern. Laschet hatte vor einigen Tagen einen Lockdown der Region nicht ausgeschlossen. Landrat Adenauer will dies jedoch verhindern.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach verlangt die umgehende Verhängung eines regionalen Lockdowns durch den Landkreis Gütersloh. „Bund und Länder haben Kontakt- und Ausgehbeschränkungen für den Fall von mehr als 50 Neuinfektionen pro Woche bei 100.000 Einwohnern vereinbart. Wann soll diese Regelung zur Anwendung kommen – wenn nicht jetzt im Landkreis Gütersloh?, sagte Lauterbach dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ am Wochenende.

Hofreiter ruft zum Tönnies-Boykott auf

Die Quarantäne der Beschäftigten könne nicht sauber überwacht werden, es fehlten Adressen Betroffener, und das Unternehmen zeige sich wenig kooperativ, erklärte Lauterbach. Er forderte die komplette Stilllegung der Arbeit in Deutschlands größtem Fleischbetrieb: „Der Betrieb müsste stillstehen, bis akzeptable Hygienebedingungen herrschen.“

Der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sprach sich in der Bild am Sonntag für ein Boykott von Produkten des Fleischkonzerns aus. „Es ist an der Zeit, dass die großen Supermarktketten sich nicht länger mitschuldig machen“, sagte Hofreiter. „Sie sollten Tönnies-Produkte aus ihrem Angebot nehmen.“

Das „Gebaren der Fleischbarone, die nur auf Profit setzen“, und meinten, sich an keine Regeln halten zu müssen, sei ein Skandal, betonte Hofreiter. Jeder habe in der Hand, welche Unternehmen man unterstütze.

Laut einer Umfrage im Auftrag der Zeitung zeigen die Verbraucher in Deutschland eine hohe Bereitschaft, für bessere Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen einen höheren Fleisch-Preis zu zahlen. 77 Prozent seien dazu bereit, nur 11 Prozent lehnten das ab. Das Institut Kantar hatte den Angaben zufolge 505 Menschen befragt.

Warnung vor Diskriminierung der Beschäftigten

Nach Angaben des Landkreises wurde die Fabrik im westfälischen Rheda-Wiedenbrück für 14 Tage geschlossen. Nachlaufarbeiten sind unter Arbeitsquarantäne-Bedingungen allerdings noch möglich.

Die Stadt Verl (Landkreis Gütersloh) hatte am Samstag in einem Stadtteil eine Quarantänezone eingerichtet. Mehrere Mehrfamilienhäuser, in denen Werkvertragsarbeiter der Firma Tönnies untergebracht sind, wurden unter Quarantäne gestellt – auch wenn sie nicht zu den Tönnies-Beschäftigten gehören. Der gesamte Bereich wurde mit Bauzäunen abgeriegelt. In den betroffenen Häusern leben in drei Straßenzügen insgesamt knapp 670 Menschen.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund warnte angesichts der Corona-Ausbrüche der vergangenen Tage vor möglichen sozialen Konflikten. „Wir dürfen Menschen nicht diskriminieren oder benachteiligen, die zum Beispiel im Niedriglohnbereich unter schlechten Wohnverhältnissen die preiswerte Fleischproduktion in bestimmten Betrieben gewährleistet haben“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Landsberg betonte, man dürfe Menschen, die in beengten Verhältnissen wohnen, keinen Vorwurf machen, weil es dort eher zu Infektionen kommen kann. Hier seien insbesondere die Betriebe gefordert, nicht nur für anständige Löhne und Arbeitsbedingungen zu sorgen, sondern insbesondere auch für Wohnverhältnisse, in denen ausreichende Hygienestandards gewährleistet werden können.

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