NSU 2.0
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Grüne Zurückhaltung beim Umgang mit NSU 2.0

Immer noch keine Aufklärung des Drohmailskandals: Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) steht massiv in der Kritik. Nur die Grünen schweigen zum Verhalten ihres Koalitionspartners

Zumindest dem hessischen Innenausschuss muss sich am Dienstag Peter Beuth stellen, hier auf einem Foto in seinem Ministerium Foto: Arne Dedert/dpa

Aus Frankfurt am Main Christoph Schmidt-Lunau

Hessens Innenmi­nister Peter Beuth, CDU, stolpert seit zwei Wochen durch eine schwere Vertrauenskrise. MitSpannung wird sein Auftritt bei der Sondersitzung des Landtagsinnenausschusses erwartet, für den die Abgeordneten am Dienstag die Sommerpause unterbrechen. Denn bislang ist dem Minister kein Befreiungsschlag ­gelungen.

Erst musste er Medienberichte bestätigen, dass die Linke-Politikerin und Fraktions­chefin Janine Wissler seit Monaten unter dem Absender „NSU2.0“ von Rechtsextremisten mit dem Tod bedroht wird. Dann einräumen, dass ihre Daten von einem Polizeicomputer abgerufen wurden. Dass er selbst davon angeblich erst von Journalisten erfahren hat, lastete er in einer wütenden Attacke zunächst dem Landeskriminalamt an. Dann machte er seinen Landespolizeipräsidenten für die Panne verantwortlich, feuerte ihn, ernannte einen Sonderermittler, dazu noch einen neuen ­Polizeichef. Inzwischen hält er sogar für möglich, was er stets kategorisch ausgeschlossen hatte, dass es nämlich in der hessischen Polizei rechte Netzwerke geben könnte. „Der Verdacht wiegt schwer“, so Beuth. Die Landtagsopposition attestiert dem Minister längst Totalversagen, zumal die Reihe der Drohmails an Politikerinnen, Journalistinnen und andere nicht abreißt.

Die Grünen sind aus strategischen Gründen wohl wenig bereit, große Konflikte auf offener Bühne auszutragen

Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder legt dem hessischen Innenminister daher den Rücktritt nahe. „Was muss denn noch alles passieren, um zu beweisen, dass der Staat auf dem rechten Auge blind ist?“, fragt der Politikprofessor. „Was Sachsen und Thüringen im Osten waren, ist Hessen gegenwärtig im Westen. Und wenn jetzt der Feind sogar in den eigenen Reihen steht, hat das natürlich eine noch tiefgreifendere Dramaturgie“, so Schroeder gegenüber der taz.

Doch vom grünen Koalitions­partner, zu dessen politischem Programm der Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus gehört, ist bis heute kein kritisches Wort gegen den Minister überliefert. Die innenpolitische Sprecherin der Grünen erklärte sich zwar für „zutiefst besorgt“, sprach vom „Fehlverhalten Einzelner“, versicherte aber gleichzeitig dem zurückgetretenen Polizeipräsidenten ihren Respekt. Erst nach zwei Wochen fand am Freitag mit Landtagsfraktionschef Mathias Wagner erstmals ein Grüner aus der ersten Reihe deutliche Worte. Der Wechsel an der Spitze der Landespolizei reiche nicht aus, lautete Wagners Botschaft. „Ein Neuanfang ist unerlässlich, damit sich die Opfer der Drohschreiben darauf verlassen können, dass sie geschützt werden und alles zur Ermittlung der Täter getan wird“, sagte er. Und räumte damit indirekt ein, dass in den 21 Monaten seit den ersten NSU-Drohmails an die Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız offenbar nicht genug getan wurde.

Wie erklärt sich angesichts dieser bitteren Bilanz die demonstrative Zurückhaltung der Grünen? Das fragen sich nicht nur die Oppositionsparteien. Auch der grüne Ex-Justizminister von Hesssen, Rupert von Plottnitz, wundert sich: „Ich verstehe nicht, dass man offenbar fast zwei Jahre nach dem ersten Fall keine sichere Methode entwickelt hat, den Urheber von rechtswidrigen Datenabfragen von Polizeicomputern identifizieren zu können“, sagte er gegenüber der taz. Er wundere sich außerdem, dass der Beamte, der zum Zeitpunkt der Abfrage der Daten der Linke-Politikerin Wissler im Polizeicomputer eingeloggt war, im Ermittlungsverfahren offenbar von Anfang an und bis heute nur als Zeuge geführt wird.

Im Sommer 2018 wurde die erste Drohmail verschickt – an die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız, die im NSU-Prozess als Nebenklägerin aufgetreten war. Ihre Daten waren kurz zuvor in einem Frankfurter Polizeirevier abgerufen worden. Die Morddrohung mit der Unterschrift „NSU 2.0“ enthielt nicht öffentlich verfügbare Informationen, die offenbar aus dem Polizeicomputer stammten. Dieses Schema wiederholte sich bei Morddrohungen an die Kabarettistin Idil Baydar im März 2019 und an die Chefin der Linksfraktion in Hessen, Janine Wissler, Anfang 2020. Stets wurden für die Morddrohungen Informationen verwendet, die aus Polizeicomputern stammten. Auch bei Drohungen an die Linke-Bundestagsabgeordnete Martina Renner und die Linke-Fraktionschefin im Berliner Abgeordnetenhaus, Anne Helm, war das der Fall. Wer die Informa­tionen abrief, ist bislang ungeklärt.

Die jüngste „NSU 2.0“-Mail wurde hingegen an viele Adressaten verschickt, u. a. an Medien, Journalisten, den CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), Deniz Yücel und den neuen Sonderermittler in Wiesbaden und neuen hessischen Polizeipräsidenten. Anders als zuvor gab es in dieser Rundmail keine Bezüge auf persönliche Daten.

Die Berliner Abgeordnete Renner sieht, laut „Frankfurter Rundschau“ Zusammenhänge zwischen der hessischen Affäre und anderen rechtsextremen Drohschreiben, die mit „Nationalsozialistische Offensive“ und „Staatsstreichorchester“ unterschrieben waren. So habe das Berliner Landgericht nach NSU 2.0-Drohungen den Prozessbeginn gegen einen Berliner Nazi verschieben müssen, der Morddrohungen unter dem Namen „Nationalsozialistische Offensive“ verschickt haben soll. Renner will, dass der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernimmt. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat mittlerweile das laufende Ermittlungsverfahren zur Prüfung einer Übernahme an die Generalbundesanwaltschaft gesandt.(sr)

Der Kasseler Politikprofessor Wolfgang Schroeder hat eine einfache Erklärung für die Zurückhaltung der Grünen trotz der brisanten Sachlage. „Da gibt es die tiefe Überzeugung, dass grüne Regierungsfähigkeit darin besteht, diese besondere Kooperation mit der Union unfall- und aufmerksamkeitsfrei zu gestalten“, sagt er im Gespräch mit der taz. „Es gibt keine Bereitschaft, große Konflikte auf offener Bühne auszutragen. Umfragen und Wahlergebnisse bestätigen sie darin auch.“

Die offenkundigen Querelen zwischen LKA und Polizeiführung wollen CDU und Grüne jetzt mit einer umstrittenen Gesetzesänderung beenden. Künftig soll an der Spitze des LKA eine politische Beamtin bzw. ein Beamter stehen. Anders als jetzt soll dann die Präsidentin ohne Angabe von Gründen abgelöst werden können. Der grüne Exminister von Plottnitz findet auch das befremdlich. „Ich erinnere mich, dass wir in rot-grünen Regierungszeiten bestrebt waren, den politischen Einfluss auf die Ermittlungsbehörden zurückzudrängen“, sagt er und äußert einen schlimmen Verdacht: „Ich will nicht hoffen, dass es einen Anlass für diese Gesetzesänderung gibt, etwa die Befürchtung, dass die gegenwärtige LKA-Führung nicht entschieden genug gegen mögliche rechtsextremistisch Netzwerke in der Polizei vorgeht.“