Hongkong: Peking ordnet Sicherheitsgesetz an

China stellt im eigentlich autonomen Hongkong Subversion, Sezession, Terrorismus und Kollaboration mit dem Ausland unter Strafe. Demokratiebewegung droht Unterdrückung

Demonstration gegen das Sicherheitsgesetz in Hongkong am letzten Sonntag. Fünf Finger stehen für die fünf Forderungen der Demokratie­bewegung Foto: Tyrone Siu/reuters

Aus Peking Fabian Kretschmer

Seit Dienstagnachmittag teilen die Anhänger der Hongkonger Demokratiebewegung einen Aufruf, Blumensträuße an die Ausgänge der Metro-Stationen niederzulegen. Damit sollen symbolisch nicht nur die Opfer der Protestbewegung vom letzten Jahr betrauert werden, sondern auch der Tod des Prinzips „ein Land, zwei Systeme“. Denn das Autonomieversprechen hat Chinas Präsident Xi Jinping nach Ansicht vieler Hongkonger mit der Unterzeichnung des Nationalen Sicherheitsgesetzes am Dienstag beerdigt. Zuvor hatten die Abgeordneten des Ständigen Ausschuss des Volkskongress in Peking das Dekret einstimmig angenommen.

Bei der Plenartagung des Volkskongresses im Mai hatte die Staatsführung das umstrittene Gesetz erstmalig angekündigt. In den letzten Wochen wurde es in ungewöhnlicher Eile ausgearbeitet und nun verabschiedet, damit es pünktlich am 1. Juli – dem 23. Jahrestag der Rückgabe Hongkongs von den Briten an Festlandchina – in Kraft treten kann. Bisher bekannt ist, dass es gegen vier Strafbestände vorgeht: Subversion, Sezession, Kollaboration mit ausländischen Mächten und Terrorismus. Doch zielt Peking vor allem auf die Protestbewegung.

Unklar ist die konkrete Umsetzung: Möchte die Zentralregierung lediglich den radikalen, gewaltbereiten Kern der Bewegung ausschalten? Oder das gesamte prodemokratische Lager mundtot machen? Wird die Kommunistische Partei gar Gerichte in Hongkong installieren? Chinas Staatsmedien haben die westliche Kritik als übertrieben bewertet: Das Gesetz werde nur „eine kleine Anzahl“ an Hongkongern überhaupt betreffen. Stattdessen würde es Recht und Ordnung sowie wirtschaftliche Prosperität wiederherstellen. Das Prinzip „ein Land, zwei Systeme“ solle „in die richtige Richtung gesteuert“ werden.

Doch die bereits bekannten Details lassen einen gegenteiligen Schluss zu: So sollen einzelne Verfahren auch von Gerichten auf dem chinesischen Festland durchgeführt werden. Und das Recht, das Gesetz zu interpretieren, liegt allein bei Chinas Volkskongress in Peking. Laut dem Chefredakteur der Parteizeitung Global Times, Hu Xijin, sei lebenslange Haft die mögliche Höchststrafe.

Das neue Gesetz ist Pekings bislang größter Angriff auf die Autonomie Hongkongs

Die EU-Kommission übte deutliche Kritik. „Diese neue Gesetzgebung steht weder mit dem Grundgesetz Hongkongs noch mit Chinas internationalen Verpflichtungen im Einklang“, so Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel. China müsse mit „sehr negativen Konsequenzen“ rechnen. Doch dass europäische Staaten oder gar die EU als ganzes Wirtschaftssanktionen gegen Peking verhängen, ist unwahrscheinlich. Aus diplomatischer Kreisen in Peking heißt es, Konfrontationen in Fragen der laut Chinas Staatsführung „inneren Angelegenheiten“ würden die Lage nur weiter verschärfen.

Aus Washington kommen bislang die stärksten Vergeltungsmaßnahmen. Die Trump-Regierung hat bereits angekündigt, Visa-Beschränkungen gegen Chinesen im Zusammenhang mit dem Nationalen Sicherheitsgesetz einzuführen. Dem US-Senat liegt zudem eine Gesetzentwurf vor, der Sanktionen gegen chinesische Regierungsbeamte, Geschäfte und Banken vorsieht. Bis Redaktionsschluss hielt Peking den Gesetzestext unter Verschluss: „Erstmals in Hongkongs Geschichte wurde ein Gesetz verabschiedet, doch weiß niemand in der Stadt dessen Bestimmungen, nicht einmal die höchstrangige Regierungsvertreterin. Allein das zeigt, dass Hongkong nicht länger autonom ist“, schreibt Alex Lam von der prodemokratischen Zeitung Apple Daily bei Twitter. Nur sehr wenige Regierungsvertreter Hongkongs sollen das Gesetz zuvor eingesehen haben.

Regierungschefin Carrie Lam gehört nicht dazu, dabei versicherte sie, dass Gesetz würde Hongkongs rechtliche Unabhängigkeit nicht antasten. Dienstagmorgen verweigerte Lam kategorisch, Fragen dazu zu beantworten. Der 1. Juli ist traditionell der wichtigste Demonstrationstag des demokratischen Lagers. Doch dieses Jahr sind die Proteste erstmals verboten. Der Aktivist Joshua Wong, dessen Partei Demosisto sich am Dienstag auflöste, twitterte, das neue Gesetz stelle „das Ende von Hongkong dar, wie die Welt es bisher gekannt hat“.