Mittelalte Männer ohne Nachwuchs: Wir, die Kinderlosen

Ich mag Eltern. Aber mich nervt deren Abwertung, der Kriegsgewinnerpathos und dass sie sich erst mit Kind erwachsen fühlen.

Eine Familie mit Kleinkind an einem Steg am See

Happy Family – schön, aber kein Muss Foto: imago images

Eigentlich mag ich kleine Kinder und ihre Eltern. Auf der Straße beuge ich mich zu ihnen herunter und frage: „Na du. Kannst du schon sprechen?“ Und sie antworten: „Klar, Boomer.“ Dann beuge ich mich noch tiefer herab, an ihnen vorbei, stecke meinen grauen Kopf in den Kinderwagen hinein und piepse: „Oh, wie süß! Wie heißt es denn?“

Was mittelalte Kinderlose jedoch nervt ist das Kriegsgewinnerpathos, mit dem sie ein bestimmter Elterntypus zu bewerfen pflegt. In so eine hatte sich vor Jahren mal ein Freund verguckt. „Eine Frau ist erst eine richtige Frau, wenn sie ein Kind geboren hat“, haute die eines Tages unvermittelt raus. Beschämt gibt er heute zu, er habe den menschenfeindlichen Müll damals wider jede Vernunft einfach nur blöde weggelächelt; vermutlich in exakt dem Zustand halb-bewusstloser Vernageltheit, in dem man der Angebeteten selbst noch eine kapitale Holocaust-Leugnung durchgewinkt hätte: Interessant, echt so ein ganz eigener Kopf, toll, und auf ne Art dann natürlich auch wieder unheimlich süß...

„Gute Liebe macht Kaffee, schlechte Liebe macht blind“, nennt mein Urologe Zbigniew dieses Phänomen. Seit seinem Kurzauftritt als Klempner in der polnischen Erfolgs-Soap „M jak miłość“ („L wie Liebe“) gilt er auch auf diesem Gebiet als Fachmann. Jedenfalls verschaffte es dem Freund in den Momenten, da er ihr narzisstisch hinterherzuheulen drohte, stets die größte Linderung, wenn er sich den ranzigen Lebensbornkäse ins Gedächtnis zurückrief, den sie ihm einst aufs Brot schmieren wollte.

Erwachsen erst mit Kind?

Der alternde Mann hat es weniger leicht, als viele denken. Die Hormone spielen verrückt, der Andropausen­clown versteht die Welt nicht mehr. Die Frau ist weg, und sein bester Freund ist der Urologe. Alle Folgen der Kolumne "Andropause" gibt's hier.

Fast noch infamer klingt die männliche Variante dieser Denkweise, die ich überproportional oft von spätberufenen Vätern höre oder lese: „Ich finde, erst wenn man(n) ein Kind hat, ist man wirklich erwachsen.“ Da bezeichnen sich also vorzugsweise Charaktere, denen sonst gern schnell der Zacken aus der Krone fällt, zum Teil bis in ihre eigene Andropause hinein freiwillig als nicht erwachsen. Und all das nur, weil sie es kurz vor Ultimo gerade noch auf die Seite der Erleuchteten, oder was sie dafür halten, geschafft haben. Von dort aus winken sie hämisch den unreifen und infertilen Losern am von ihnen aus gesehen falschen Ufer zu.

Das richtet sich hier gar nicht gegen alte Eltern. Einige meiner besten Freunde sind alte Eltern. Sondern gegen die verklärte Selbstaufwertung Einzelner, die verlässlich nur über die Abwertung anderer funktioniert.

Die setzt erstens voraus, dass Kinderlosigkeit für jeden eine bewusst getroffene Entscheidung wäre, die zweitens ohnehin ein Merkmal verantwortungsscheuer Freaks sei, die drittens einsam sterben werden. Nur Letzteres stimmt und auch nur Letzteres haben wir mit ihnen, den Eltern, gemein.

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Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.

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